Ostdeutschland & Polen – Sind noch heute Entschädigungsansprüche für veruntreutes Vermögen durchsetzbar?

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Das Land Polen hat gegenüber Deutschland immer noch Forderungen wegen der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Und was genau hat das mit der Treuhand im Zuge der Wiedervereinigung zu tun?

“Nach der Einheit gingen Millionen Jobs durch die Privatisierung der DDR-Wirtschaft verloren”

>>Spiegel<<

“Nach der Einheit gingen Millionen Jobs durch die Privatisierung der DDR-Wirtschaft verloren. … Insgesamt war die Treuhand für mehr als 23.000 Unternehmen verantwortlich, sie funktionierte wie eine Superholding, deren Zweck im Prinzip die eigene Zerschlagung war. Millionen Jobs gingen dabei verloren. Zahllose Ostdeutsche im arbeitsfähigen Alter waren in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre vom Treuhand-Regime direkt oder mittelbar betroffen.”

“Insgesamt war die Treuhand für mehr als 23.000 Unternehmen verantwortlich” – “Zweck im Prinzip die eigene Zerschlagung war”

Die wirtschaftlichen Folgen dieser Zeit spiegeln sich noch in der Gegenwart wider. Die allgemeine Erklärung hierfür lautet ungefähr so, dass es für solch ein Szenerio keine Erfahrungswerte gegeben haben soll. Aber stimmt dies?

“Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen vom 24. März 1952” “Integration beider Teile Deutschlands nach einer Wiedervereinigung vorzubereiten”

>>Deutsche Digitale Bibliothek<<

“Geschichte des Bestandsbildners: Durch Erlass des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen vom 24. März 1952 wurde ein Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands (FB) als unabhängige und überparteiliche Institution mit Sitz in Berlin gegründet mit der Aufgabe, die wirtschaftliche und soziale Lage und Entwicklung in der DDR zu beobachten und zu analysieren sowie die wirtschaftliche und sozialpolitische Integration beider Teile Deutschlands nach einer Wiedervereinigung vorzubereiten.”

“Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen vom 24. März 1952 wurde ein Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands”

Die Pläne zur Wiedervereinigung haben also schon wenige Jahre nach der Gründung der BRD in der Schublade gelegen. Der Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands wurde beim Gesamtdeutschen Ministerium ins Leben gerufen, um Pläne und Szenarien zu entwerfen, die im Falle einer tatsächlichen Vereinigung umgesetzt werden könnten. Diese Konzepte wurden sorgfältig ausgearbeitet und lagen bereit, als 1989/1990 die politische Wende in der DDR begann. Die Erfahrungen des Beirates bildeten eine solide Grundlage für das weitere Vorgehen. Die Ideen flossen nahtlos in die bundesdeutsche Politik ein und trugen maßgeblich zum erfolgreichen Anschluss Ostdeutschlands bei. Der Begriff “Anschluss” kann diesem Kontext als durchaus passend geltend.

“Der Forschungsbeirat konnte dabei auf Erfahrungen aus der Hitlerzeit zurückgreifen”

>>Heise.de<<

“Der Forschungsbeirat konnte dabei auf Erfahrungen aus der Hitlerzeit zurückgreifen. Im März 1938 war Österreich annektiert worden. Und ab September 1939 begann die Zerstückelung Polens und die Annexion seiner westlichen Provinzen. … Zu den etablierten Maßnahmen gehörte immer eine Währungsunion. Dabei wurde die Währung des Gebiets, das übernommen werden sollte, kurz vor ihrer Liquidation noch einmal künstlich aufgewertet, “um das annektierte Territorium schlagartig von seinen ökonomischen Außenbeziehungen abzutrennen und seine Kapital- und Warenmärkte für einen radikalen Durchdringungsprozess seitens der Unternehmen der Annexionsmacht zu öffnen”.

“Währung des Gebiets, das übernommen werden sollte, kurz vor ihrer Liquidation noch einmal künstlich aufgewertet”

Ähnliche Auswirkungen waren auch bei der Einführung der West-Mark in Ostdeutschland zu beobachten. Eine Schocktherapie war also unausweichlich – Ostdeutschland befand sich nach Jahrzehnten sozialistischer Planwirtschaft plötzlich im Kapitalismus wieder. Die Treuhand konnte also ihr Werk verrichten. Interessanterweise hat es rund 50 Jahre vor der Wiedervereinigung eine “Haupttreuhandstelle Ost” gegeben.

“Haupttreuhandstelle Ost” – “Sie sollte die konfiszierten polnischen Betriebe verwalten, verwerten und an Deutsche übertragen”

>>Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen von Ulrike Herrmann (Buch) <<

“In den letzten Monaten des Jahres 1940 tat Erhard einen weiteren Großkunden auf – die »Haupttreuhandstelle Ost«, die im annektierten Polen tätig war. Mehrfach bereiste Erhard die besetzten Gebiete und sprach dort mit den »verschiedensten und maßgebendsten Stellen«, wie er im Oktober 1941 in einem Brief an den Nürnberger NS-Bürgermeister Eickemeyer herausstrich. Erhard kannte also das Grauen, das sich in Polen abspielte. Die polnische Elite war bereits im Herbst 1939 ermordet worden, um jeden Widerstand zu brechen: 20 000 Politiker, Priester, Professoren, Lehrer und Adlige wurden als Geiseln erschossen oder bestialisch niedergemetzelt. Diesen Massenmord umschrieb Erhard später in einem Gutachten euphemistisch als »Evakuierung der sogenannten polnischen Intelligenz«. … Allein bis Mai 1941 wurden 320 000 Polen aus dem Warthegau und aus Westpreußen in Güterzüge gepfercht und in den Osten Polens abtransportiert, wo es für sie weder Nahrung noch Unterkünfte gab. Gleichzeitig wurden 160 000 Juden in das Ghetto von Lodz gezwängt und später ermordet. Auf seinen Reisen ist Erhard nicht entgangen, wie ausgemergelt und krank die Polen waren. 1941 verlangte er vom IWF eine einjährige Gehaltsfortzahlung, falls er krank würde, denn er habe »in polnischen Quartieren schlafen oder in Wartesälen zwischen der polnischen Zivilbevölkerung übernachten« müssen, wodurch »ein Schutz vor Infektionskrankheiten nicht gewährleistet« gewesen sei. Erhards neuer Großkunde, die »Haupttreuhandstelle Ost«, war Teil dieser brutalen Gewaltherrschaft: Sie sollte die konfiszierten polnischen Betriebe verwalten, verwerten und an Deutsche übertragen.”

“Die polnische Elite war bereits im Herbst 1939 ermordet worden, um jeden Widerstand zu brechen”

Jegliche Erwähnungen bezüglich des Dritten Reiches sind mit Vorsicht zu machen, aber eine gewisse Handschrift der “Haupttreuhandstelle Ost” ist durchaus wiederzuerkennen. Denn im Zuge der Wiedervereinigung haben ebenfalls riesige Vermögen den Besitzer gewechselt.

“So übernahm die Treuhand am 1. Juli 1990 mehr als 7800 Einzelbetriebe mit vier Millionen Beschäftigten”

>>Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert von Ulrich Herbert (Buch) <<

“So übernahm die Treuhand am 1. Juli 1990 mehr als 7800 Einzelbetriebe mit vier Millionen Beschäftigten. Ihr wurden zudem Grundflächen übereignet, die insgesamt etwa die Hälfte des Territoriums der DDR ausmachten. Die Treuhand sollte nun die Betriebe vorrangig privatisieren, gegebenenfalls bei der notwendigen Sanierung helfen und, sollten sich einzelne Unternehmen dennoch als nicht marktfähig erweisen, zur Not auch stilllegen. Ursprünglich hatte die Treuhand mit einem enormen Privatisierungsgewinn gerechnet – «der ganze Salat ist 600 Milliarden wert», hatte Rohwedder im Herbst 1990 geschätzt.”

“Ursprünglich hatte die Treuhand mit einem enormen Privatisierungsgewinn gerechnet”

Teilweise kann diese Summe auf einzelne Bürger herunter gerechnet werden.

“Die Zahl »600 Milliarden« wird bis heute immer wieder zitiert”

>>Der deutsche Goldrausch Die wahre Geschichte der Treuhand von Dirk Laabs (Buch) <<

“Die Zahl »600 Milliarden« wird bis heute immer wieder zitiert. Sie wird von vielen Autoren benutzt, als würde sie den tatsächlichen Wert der DDR widerspiegeln. Eine einfache Rechnung wird aufgemacht: Die DDR war 600 Milliarden D-Mark wert. Die Treuhand hat 245 Milliarden Verlust gemacht. Wo sind die 845 Milliarden geblieben? Vgl. als nur eines von sehr vielen Beispielen: Otto Köhler: Die große Enteignung, München 1994. Köhler rechnet dort vor, dass die Treuhand pro DDR-Bürger 60 000 D-Mark zum »Verschwinden« gebracht habe.”

“Die Treuhand pro DDR-Bürger 60 000 D-Mark zum »Verschwinden« gebracht habe”

Die Frage ist bis in die Gegenwart präsent geblieben, weil sich diese Region nie vollständig von den Auswirkungen dieses abrupten Wandels erholt hat. Eine ruinierte ostdeutsche Industrie sowie strukturelle Probleme prägen bis heute das Bild vieler “neuer Bundesländer“. Diese langfristigen Folgen es zeigen deutlich. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch den heutigen Rechtsstaat und Entschädigungsansprüche. Beispielsweise hat das Land Israel vom NS-Unrecht sehr umfangreich profitiert. Und natürlich steht die logische Frage mit der Gleichbehandlung im Raum: Warum soll sich Polen mit weniger zufrieden geben?

“Jeder Pole hat schon davon gehört” – “Frage der Reparationen wurde eine Zeit lang zu einem wichtigen Element der polnischen Politik”

>>Polen.pl<<

“Jeder Pole hat schon davon gehört. Die Frage der Reparationen wurde eine Zeit lang zu einem wichtigen Element der polnischen Politik, sowohl außen- als auch innenpolitisch. … Auf deutscher Seite war es nicht so sehr in den Medien präsent, und wenn es in der Öffentlichkeit auftauchte, wurde es bisweilen mit der Bemerkung abgetan, dass es bereits vor vielen Jahren erledigt wurde. Wenn dem so ist, warum kehrt die polnische Seite zu ihm zurück? Warum ist das Kapitel nach Ansicht der Polen nicht abgeschlossen?”

“Warum ist das Kapitel nach Ansicht der Polen nicht abgeschlossen?”

Im Zuge einer Entschädigung müsste die hypothetische Frage beantwortet werden: Wie würde Polen heute – ohne die Folgen der Besatzung und Enteignung im Zuge des Weltkriegs – dastehen? Eine vergleichbare Debatte könnte auch im Zukunft ebenso in Ostdeutschland stattfinden.