“Nachrichtliche Wirtschaftsspionage” – Hehlerei mittels Steuerdaten: “Es handelt sich um Diebe, die Diebesgut verkaufen”

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Wie soll man den Erwerb von Daten aus zweifelhaften Quellen bewerten? Begeben sich die beteiligten Personen dadurch nicht auf einen fragwürdigen Weg und riskieren, als Kriminelle verfolgt zu werden?

“Ist es okay, dass der Staat häufig gestohlene Steuer-CDs kauft?”

>>Frankfurter Allgemein Zeitung<<

„Ist es okay, dass der Staat häufig gestohlene Steuer-CDs kauft?

Die einen sagen so, und die anderen sagen anders.

Und Sie sagen?

Ich persönlich habe gar keinen Zweifel daran, dass der Staat Steuer-CDs kaufen darf.

Was ist mit Hehlerei?

Hehlerei im rechtstechnischen Sinn ist das nicht. Denn nicht die CD ist ja gestohlen, sondern die Daten sind unrechtmäßig erlangt. Das ist kein Diebstahl und deshalb keine Hehlerei. Diebstahl, und Hehlerei kann man nur an Sachen begehen. Daten sind aber keine Sachen.

Da ist jetzt ein bisschen spitzfindig, oder?

Nein, das ist normale Juristerei. Es geht im Strafrecht nicht darum, ob eine Handlung irgendwie unmoralisch ist, sondern ob sie den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Das Erlangen der Daten mag im Heimatland strafbar sein, aber der Erwerb solcher Daten in Deutschland ist als solcher nicht illegal. Es sei denn, der Staat würde zum Datendiebstahl konkret anstiften. Das ist aber nicht bekannt. Aber der Staat verlässt sich schon auf Gauner. Ja, aber das ist nichts Ungewöhnliches. Auch im Betäubungsmittelstrafrecht etwa würde ohne V-Leute aus der Szene nichts laufen.“

“Staat verlässt sich schon auf Gauner”

Diese “Erklärung” erscheint äußerst fragwürdig. Schließlich ist es allgemein bekannt, dass die Behörden enorme Beträge für solche Daten bezahlen. Daher scheint es unrealistisch zu behaupten, dass hier keine Anstiftung vorliegt. Es stellt sich die Frage, welchen Nutzen dieser Ankauf überhaupt bringen soll?

Querfinanzierung von Kriminalität: Ankauf von gestohlen Datensätzen mit Steuergeldern?

>>Welt<<

“Aus Brandenburg waren überhaupt nur 19 Namen auf dem Datenträger. Hier hat man bereits den vollen Überblick. Das Ergebnis: alles korrekt versteuert. „Die Überprüfung dieser für Brandenburg relevanten Daten führte zu keiner Einleitung von Strafverfahren“, teilte das Finanzministerium in Potsdam mit. Entsprechend sei auch kein steuerliches Mehrergebnis erzielt worden. … Einen weiteren Anhaltspunkt dafür, dass die eingekauften Steuerdaten weniger brisant sind, als erhofft, liefert die Zahl der bislang eingegangenen Selbstanzeigen. Kein Bundesland berichtet explizit davon, dass sich Steuerpflichtige bei den Finanzbehörden gemeldet haben, um glimpflich aus der Sache herauszukommen.”

Jagd nach Steuerbetrügern: “Das Ergebnis: alles korrekt versteuert”

Besonders bedenklich ist, dass diese Informationen scheinbar durch kriminelle Machenschaften beschafft wurden und der Bürger dafür auch noch zur Kasse gebeten wird. Nach heutigem “Rechtsverständnis” wird somit die kriminelle Szene indirekt mitfinanziert. Dabei sind die meisten Steuersparmodelle völlig legal und werden mit freundlicher Unterstützung der Europäischen Union umgesetzt. Auch ansonsten tauchen ganz grundsätzliche Fragen auf.

“Der Verkauf gestohlener Bankdaten ist – nicht nur in der Schweiz – strafbar”

>>Abgezockt und kaltgestellt: Wie der deutsche Steuerzahler systematisch ausgeplündert wird von Peter Lüdemann (Buch) <<

“Ein Mitarbeiter der Credit Suisse hatte eine erhebliche Menge an Kundendaten gesammelt. Zufällig erfuhr ein Bekannter davon und wies ihn darauf hin, dass man damit Geld machen könne. Dies taten die beiden, indem sie im Jahr Februar 2010 einen Datenträger mit Informationen über deutsche Konteninhaber, die berühmt-berüchtigte »Steuer-CD«, an den deutschen Fiskus verkauften (was der sich immerhin 2,5 Millionen Euro kosten ließ!). Zum eigenen Nutzen geriet ihnen dies nicht. Denn der Geldeingang auf einem ihrer Konten im Ausland wurde als die Bezahlung der geklauten Daten identifiziert und ihre Identität den Schweizer Behörden offen gelegt. Beide wurden zu Haftstrafen verurteilt. Denn eines muss man wissen: Der Verkauf gestohlener Bankdaten ist – nicht nur in der Schweiz – strafbar. Es handelt sich um Diebe, die Diebesgut verkaufen.”

Hehlerei: “Es handelt sich um Diebe, die Diebesgut verkaufen”

In anderen Ländern werden Fragen zu Anstiftung, Diebstahl und Hehlerei anders beurteilt. Das Verhalten der örtlichen Beamten wird ebenfalls unterschiedlich bewertet. Es wurde sogar der Vorwurf der “Nachrichtlichen Wirtschaftsspionage” erhoben.

“Ankauf der Steuersünder-CD mit Daten deutscher Kunden” – “Nachrichtliche Wirtschaftsspionage”

>>Steuerflucht: Das Milliardengeschäft mit dem Schwarzgeld von Hans-Lothar Merten (Buch) <<

“Ende März 2012 erließ die Schweizer Justiz gegen drei Steuerfahnder Haftbefehl. Diese hatten zwei Jahre zuvor den Ankauf der Steuersünder-CD mit Daten deutscher Kunden der Credit Suisse verhandelt. „Nachrichtliche Wirtschaftsspionage“, so lautet der Vorwurf aus Bern. Denn ganz offensichtlich waren die Daten geklaut worden. Die Beamten sollten künftig vorsichtshalber ihre nächsten Urlaube lieber in Österreich als in der Schweiz verbringen. Der Vorgang, dass deutsche Beamte wegen der Ausübung ihres Berufs von einem anderen Staat belangt werden, ist ungewöhnlich. Es ist nun einmal ihre Pflicht, deutsche Steuersünder zu jagen. Doch es geht gar nicht um die drei Steuerfahnder, denn sie haben pflicht- und auftragsgemäß gehandelt. Es geht vielmehr um das Verhältnis zweier souveräner Staaten und um die Grundsatzfrage, ob der Staat sich rechtlich zweifelhafter Methoden bedienen darf, um seine Gesetze durchzusetzen. Zum Beispiel, indem er Diebesgut als Beweisstück nutzt und überdies Geld dafür bezahlt, um in dessen Besitz zu kommen.”

“Ob der Staat sich rechtlich zweifelhafter Methoden bedienen darf, um seine Gesetze durchzusetzen”

In der Tat könnten diese Aktivitäten des Datenhandels als wirtschaftskriminell betrachtet werden. Denn solche Finanzinformationen könnten für illegalen Insiderhandel genutzt werden. Anstatt die Bürger durch umstrittene Methoden von Dritten ausspionieren zu lassen und möglicherweise kriminelle Netzwerke indirekt mit Steuergeldern zu unterstützen, sollte der Schwerpunkt auf den Datenschutz gelegt werden.

“Nahezu alle Unternehmen sind auf eine Infrastruktur angewiesen, die ihre Daten vor dem unbefugtem Zugriff und damit auch vor Wirtschaftsspionage schützt”

>>Überwachtes Netz: Edward Snowden und der größte Überwachungsskandal der Geschichte von Markus Beckedahl & Andre Meister (Buch) <<

“Die deutsche Politik könnte indes mit gutem Beispiel vorangehen und die hiesigen Dienste einer wirkungsvolleren demokratischen Kontrolle unterwerfen. Die Stärkung des Rechtsstaats könnte zum Exportschlager werden, wenn andere Länder es der Bundesrepublik gleichtun, und dem »Wirtschaftsstandort« Deutschland zugute kommen: Denn nicht nur die IT-Branche, sondern nahezu alle Unternehmen sind auf eine Infrastruktur angewiesen, die ihre Daten vor dem unbefugtem Zugriff und damit auch vor Wirtschaftsspionage schützt. Als erstes müsste das Parlamentarische Kontrollgremium reformiert werden. Deren Mitglieder sollten fortan auch eigenständig die Arbeit der Geheimdienste unter die Lupe nehmen dürfen – ohne dass es dazu einer Mehrheitsentscheidung des Gremiums bedarf. Die Bundesregierung könnte zudem umgehend einen unabhängigen Sachverständigen bestimmen. Seine Hauptaufgabe würde darin bestehen, endlich Licht ins Dunkel des Geheimdienstskandals zu bringen. Dabei sollte er eng mit dem EU-Parlament zusammenarbeiten: Dieses hat bereits Anfang Juli den Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres damit beauftragt, die Ausspähung von EU-Bürgern durch den NSA und das GCHQ sowie anderer Dienste zu untersuchen. Langfristig ist entscheidend, dass an die Stelle des unkontrollierten digitalen Abhörkomplexes völkerrechtlich abgesicherte Strukturen für eine freie, ungehinderte Kommunikation treten. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, hat dahingehend bereits einen ersten Vorschlag gemacht: die Einführung eines Zusatzprotokolls zu Artikel 17 des UN-Paktes für bürgerliche und politische Rechte, der den Einzelnen vor willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffe in sein Privatleben schützt. Staaten, die sich nicht zu diesem bekennen, müssten dann nachweisen wie sie trotzdem Datenschutz, Privatsphäre und Fernmeldegeheimnis garantieren. Den Regierungen sollte klar sein, dass ein Staat, der seine eigenen Bürger (und die Bürger anderer Staaten) systematisch ausspioniert, nicht nur das Vertrauen in seine Nachrichtendienste, sondern am Ende auch in die Demokratie selbst untergräbt. Um eine solche Entwicklung zu verhindern hilft nur eines: die transparente, rechtsstaatliche Überwachung der Überwacher.”

“Die transparente, rechtsstaatliche Überwachung der Überwacher”

Infolgedessen sollte der Fokus des Staates an anderer Stelle liegen. Immerhin hat das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Verfassungsrang und Wirtschaftsspionage ist eine strafbare Handlung, die entsprechend strafrechtlich geahndet werden sollte.