Milzener & Lusizer – Warum Ober- und Niedersorbisch sprachlich so weit auseinanderliegen?
Könnte es neben Englisch noch eine andere verkannte “Weltsprache” geben? Esperanto ist eine Plansprache, welche sich nie wirklich durchsetzen konnte. Doch die Grundidee ist keineswegs tot, sondern mit mit dem Projekt “Standardsorbisch” wird ein ähnliches Ziel verfolgt. Soll nun das Esperanto-Sorbisch als neue Kunstsprache kommen?
“Zur Debatte steht ohnehin nur ein Standardsorbisch”
>>Stiftung für das Sorbische Volk (PDF-Datei) <<
“Als Deutscher spricht man ja immer drei Sprachen: den heimischen Dialekt, den zumindest passiv fast jeder versteht und mit dem dann frühere Gastarbeiter in Italien oder der Türkei den deutschen Gast begrüßen, zweitens das nur noch dialektal gefärbte Umgangsdeutsche, mit dem man sich im ganzen Land zwischen Luxemburg und Siebenbürgen verständigen kann, drittens das Standarddeutsche der schriftlichen Äußerung, der Kanzel, des Gerichtshofs, das jeder versteht und kaum einer spricht. Sprache ist so komplex, daß die Sprachwissenschaft vor den Fähigkeiten des einfachsten Mannes noch immer staunend verstummt. Im Lichte der Graubündner Erfahrungen wären die Sorben eventuell gut beraten, über die Einführung einer gemeinsamen, das Nieder- und das Obersorbische über- wölbenden Standardsprache für die schriftliche Kommunikation nachzudenken. Dies wäre ein längerer Prozeß für gut eine Generation; aber zur Abbildung der Komplexität der Moderne ein günstigerer Weg als die Aufteilung in zwei Sprachen und damit nach alter Lesart in zwei Völkern. Zur Debatte steht ohnehin nur ein Standardsorbisch der schriftlichen Äußerung, der Kanzel, des Gerichtshofs, das jeder versteht und kaum einer spricht.”
“Standardsorbisch” – “Dies wäre ein längerer Prozeß für gut eine Generation”
Diese wissenschaftliche Ausarbeitung ist mit der Überschrift “Empfehlungen zur Stärkung der sorbischen Minderheit” betitelt. Es wird also einfach mal empfohlen, eine neue Kunst-Standsprache also das Standardsorbisch erst zu erfinden und dann zu etablieren. Nieder- und das Obersorbisch scheint demzufolge irgendwie überflüssig zu sein? Begründet wird mit der Tatsache, es gebe ja auch unterschiedliche deutsche Dialekte.
Standardsorbisch & Standardlogik: Ist Niederländisch ebenfalls nur ein deutscher Dialekt?
Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Selbst für Nicht-Sorben wäre es leicht ersichtlich, Nieder- und Obersorbisch gehören zwar einer gemeinsamen Sprachfamilie an, liegen aber für einen Dialekt viel zu weit auseinander. Niederländisch ist ebenfalls kein norddeutscher Dialekt, sondern eine eigenständige Sprache. Mit der gleichen Logik könnte das Niederländisch ins Deutsche einfach eingegliedert werden, es stellt sich nur die Frage: Ob die Niederländer es selbst befürworten würden?
“In jeder größeren Sprachfamilie kann es kleinere Sprachfamilien geben”
“Eine Sprachfamilie kannst du dir – genau wie jede andere Familie – am besten als Baum vorstellen: Dahinter steckt die Idee, dass es eine einzelne Sprache, den Stamm quasi, gibt, aus der alle Mitglieder dieser Familie entwachsen sind. Das Konzept der Zweige ist auch ganz hilfreich, denn normalerweise bilden sich diese neuen Sprachen, indem sie sich voneinander abspalten. In jeder größeren Sprachfamilie kann es kleinere Sprachfamilien geben.”
Standardsorbisch als neue Kunstsprache: Ausdruck des fehlenden Respekts vor der Sorbischen Sprache
Inwieweit solche formal “Pro-Sorbischen” Instituten wirklich sorbische Interessen vertreten, das ist häufig umstritten. Grundsätzlich werden solche Empfehlungen wie das “Standardsorbisch” häufig von außen in die Sorbische Gemeinschaft hineingetragen und kommen öfter vor.
“Der Lehrermangel trifft die sorbischen Schulen besonders hart”
„Der Lehrermangel trifft die sorbischen Schulen besonders hart – tschechische Kollegen sollen jetzt helfen … An den sorbischen Schulen, einer Besonderheit im sächsischen Bildungswesen, fehlen immer häufiger muttersprachliche Lehrer. Die Lücken könnten jetzt Kollegen aus Tschechien schließen.“
“Fehlen immer häufiger muttersprachliche Lehrer”
Was soll mit Vorschlägen wie “Standardsorbisch” oder die Anstellung von tschechischen Lehrer eigentlich den Sorben vermittelt werden? Offenkundig ist nicht nur fehlender Respekt vor der Sorbischen Sprache und ihren Besonderheiten zu erkennen, sondern auch ein wissenschaftliches Desinteresse. Eine echte Aufarbeitung der Sorbischen Geschichte hat bis heute nicht stattgefunden.
“Milzener mit ihrer Stammesburg Budissin und den Lusizern, die im Gebiet zwischen Spreewald und Cottbus”
>>Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (PDF-Datei) <<
“Neben den Milzener mit ihrer Stammesburg Budissin und den Lusizern, die im Gebiet zwischen Spreewald und Cottbus mit ihrer Stammesburg Liubusua (vermutlich in der Nähe des heutigen Lübben) siedelten, waren dies bei Meißen-Strehla die Glomaci-Daleminzer, im Elbtalkessel die Nisaner, zwischen Fürstenberg und Guben die Selpoli, um Schlieben die Zliuvini, zwischen Belgern und der Muldetalmündung die Nizici und um Görlitz die Besunzane. In der Umgebung von Halle, Borna, Köthen, Merseburg, Gera, Bernburg, Altenburg, Delitzsch und Zerbst gab es Siedlungen, deren Bewohner durch natürliche Barrieren wie Sümpfe oder Wälder zwar geographisch voneinander getrennt waren, aber durch Handelsrouten und Saumpfade einen gewissen Kontakt untereinander hatten.”
Milzener & Lusizer – Warum Ober- und Niedersorbisch sprachlich so weit auseinanderliegen?
Das Ober- und Niedersorbisch sprachlich so weit auseinanderliegen geht im Wesentlich auf die Milzener und Lusizern zurück. Diese werden heutzutage als “Stämme” bezeichnet, aber im eigentlichen Sinne müssten sie wie Staaten funktioniert haben. Schließlich können die mittelalterlichen “Staaten” zu dieser Zeit mit Lehnswesen, Leibeigenschaft, Hörigkeit und vielen anderen bizarren Dingen wohl kaum in ein modernes Staatsverständnis im Einklang gebracht werden. Alleine durch die signifikanten Unterschiede zwischen Ober- und Niedersorbisch könnten heute Linguisten ermitteln, wie lange diese Sprachen sich auseinanderentwickelt haben. Aber selbst hieran ist wohl kaum zu denken.