“Denkfehler” – “Statt wahrzunehmen, dass die eigenen Reallöhne fallen, vermutet man lieber, dass die Hartz-IV -Empfänger zu viel kassieren”
Was hat es mit sogenannten Aufstockern auf sich? In der heutigen Gesellschaft ist es ein trauriges Phänomen, dass immer mehr Menschen trotz harter Arbeit nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt angemessen zu bestreiten. Arm durch Arbeit wirft einen kritischen Blick auf die Problematik der Aufstocker, die trotz einer Vollzeitbeschäftigung auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.
“Aufstocker” – “Trotz eigener Erwerbstätigkeit sogenannte ergänzende Leistungen”
>>Schamland – Die Armut mitten unter uns von Stefan Selke (Buch) <<
“Armutsquoten liefern das einprägsamste Bild von der Armut innerhalb der eigenen Gesellschaft. So kommt die Bertelsmann-Stiftung in einer Studie zu dem Ergebnis, dass relative Armut in Deutschland »weit verbreitet« ist. … Auch wenn immer wieder darüber gestritten wird, ob durch die Anwendung bestimmter Berechnungsmethoden Deutschland »arm gerechnet« wird und die Kennzahlen mal nach oben, mal nach unten korrigiert werden: Der Trend lässt sich nicht wegrechnen oder -diskutieren. Etwa 7 Millionen Menschen erhalten in Deutschland Arbeitslosengeld II oder andere Transferleistungen. 1,3 Millionen Menschen beziehen trotz eigener Erwerbstätigkeit sogenannte ergänzende Leistungen – die wachsende Zahl der »Hartz-IV-Aufstocker« gilt als »Working Poor«. Sie sind arm, obwohl sie arbeiten.”
“Armutsquoten liefern das einprägsamste Bild von der Armut innerhalb der eigenen Gesellschaft”
Für Menschen, die staatliche Unterstützung aufstocken müssen, gibt es zusätzlich die oft sehr unangenehme Prüfung ihrer Bedürftigkeit. Dabei wird überprüft, ob sie tatsächlich nicht angemessen von ihrem Einkommen leben können.
“Verdienen sie häufig derart wenig, dass sie durch ihr Einkommen ihr Leben nicht mehr eigenständig bestreiten können”
>>Die Abstiegsgesellschaft von Oliver Nachtwey (Buch) <<
“Sie geraten zudem in neue Abhängigkeiten: So verdienen sie häufig derart wenig, dass sie durch ihr Einkommen ihr Leben nicht mehr eigenständig bestreiten können und (als »Aufstocker«) verstärkt auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen sind. Die Reduzierung staatlicher Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt führt somit in der Nebenfolge zu einer Zunahme sozialpolitischer Interventionen.”
“Neue Abhängigkeiten” – “Verstärkt auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen sind”
Die Situation der Aufstocker zeigt deutlich auf, wie unzureichend das System ist und welche behördliche Gleichgültigkeit dort herrscht. Eine gerechte Entlohnung und existenzsichernde Arbeitsbedingungen für alle zu gewährleisten, dieses Ziel wurde offenbar schon lange aufgeben. Zugleich werden diese Menschen aus der Arbeitslosenstatistik einfach herausgerechnet.
“Aufstocker” – “Ebenso wie die offiziellen Arbeitslosen müssen auch diese Menschen in die Jobcenter kommen”
>>Die Hartz-IV-Diktatur: Eine Arbeitsvermittlerin klagt an von Inge Hannemann (Buch) <<
“Nun muss man wissen, dass sich der Betreuungsschlüssel, so wie ihn die BA errechnet, nur aus den reinen Arbeitslosen zusammensetzt. Für die Mitarbeiter in den Jobcentern hat dies allerdings keine Relevanz, da ihr tatsächlicher Schlüssel statt bei den genannten 75 im Schnitt bei 300 Beschäftigungssuchenden liegt. Denn tatsächlich haben sie viel mehr «Kunden» als nur die in der offiziellen Statistik der BA aufgeführten «Arbeitslosen», zum Beispiel diejenigen, welche sich in Maßnahmen oder Erziehungszeit befinden, ebenso Menschen, die Angehörige pflegen, arbeitsunfähig oder Aufstocker sind. Im Schnitt spreche ich hier von rund 900000 Menschen, die auf diese Weise aus sämtlichen Berechnungen, wie zum Beispiel dem Betreuungsschlüssel, herausgerechnet sind. Denn ebenso wie die offiziellen Arbeitslosen müssen auch diese Menschen in die Jobcenter kommen und sind somit in der Beratung der Mitarbeiter.”
“Betreuungsschlüssel” – “Tatsächlicher Schlüssel statt bei den genannten 75 im Schnitt bei 300 Beschäftigungssuchenden liegt”
Aufstocker – oder Arm durch Arbeit ist augenscheinlich keine relevante Größe mehr. Es ist bedauerlich, dass trotz des wirtschaftlichen Wohlstands in unserem Land so viele Menschen in prekären Verhältnissen leben müssen. Dies führt außerdem nicht nur zu einem Verdrängungseffekt regulärer Arbeitnehmer, sondern verdeutlicht auch die steigenden Lebenshaltungskosten, denen viele Menschen mit ihrem Einkommen nicht mehr gerecht werden können.
“Aufstocker müssen den Gang zur Arbeitsagentur antreten, was viele als erniedrigend erleben”
>>Hurra, wir dürfen zahlen von Ulrike Herrmann (Buch) <<
“Das »Lohnabstandsgebot« ist also gewahrt, demzufolge Beschäftigte immer mehr verdienen sollen als die Langzeitarbeitslosen. Man kann das Beispiel variieren, wie man will: Auch in allen anderen denkbaren Kombinationen von Einkommen und Kinderzahl gilt stets, dass sich Arbeit lohnt, wie der Steuerzahlerbund ermittelt hat. Allerdings beträgt der Abstand oft nur noch wenige Hundert Euro, und die Aufstocker müssen den Gang zur Arbeitsagentur antreten, was viele als erniedrigend erleben. … Denn je mehr die Erwerbstätigen mit ihrem Einkommen an die Erwerbslosen heranrücken, desto stärker ist das Bestreben, sich von den Langzeitarbeitslosen abzugrenzen. Der Denkfehler ist schnell gemacht: Statt wahrzunehmen, dass die eigenen Reallöhne fallen, vermutet man lieber, dass die Hartz-IV -Empfänger zu viel kassieren.”
“Denkfehler” – “Statt wahrzunehmen, dass die eigenen Reallöhne fallen, vermutet man lieber, dass die Hartz-IV -Empfänger zu viel kassieren”
Geringverdiener, Aufstocker und normale Arbeitnehmer werden bewusst gegeneinander ausgespielt. Wenn die Erwerbstätigen mit ihren Einkommen näher an die Arbeitslosen heranrücken, steigt der Wunsch, sich von Langzeitarbeitslosen abzugrenzen. Ein Denkfehler liegt darin, dass man nicht bemerkt, dass die eigenen Reallöhne sinken, sondern lieber annimmt, dass Hartz-IV- oder Bürgergeld-Empfänger zu viel Geld erhalten.