Mechanismen der Skandalisierung im Parlamentarismus versus Direkte Demokratie
„Wie entstand das Wort Reptil? Ich nannte Reptile die Leute, die im Verborgenen gegen unsere Politik, gegen die Politik des Staates intriguieren. Und nun hat man das Wort umgewendet und nennt Reptile gerade diejenigen, die das aussprechen, was die Regierung will.“ – Otto von Bismarck konnte also ganz gut die Frage beantworten: Wie repräsentative Politik funktioniert.
„Nennt Reptile gerade diejenigen, die das aussprechen, was die Regierung will“
Die Direkte Demokratie gegen solche verborgenen politischen Strukturen recht immun. Aber lässt sich wirklich die Politik zu Bismarcks-Zeit mit den aktuellen Parlamentsbetrieb vergleichen? Tatsächlich arbeiten noch heute viel Akteure unscheinbar im Hintergrund und üben viel – durch Skandalisierung – viel Einfluss aus.
Ämterverlust bei Politikern: „Skandalisierung auf Recherchen von Journalisten“
>>Die Mechanismen der Skandalisierung von Hans Mathias Kepplinger (Buch) <<
„So verloren von 1949 bis 1993 Politiker, deren Skandalisierung auf Recherchen von Journalisten oder einzelnen Informanten beruhte, deutlich häufiger ihr Amt als Politiker, die aufgrund der Aktivitäten von internen und externen Kontrollorganen, z. B. Staatsanwaltschaften und Finanzbehörden, skandalisiert wurden. Oft kann man den Anteil der verschiedenen Akteure an einer Skandalisierung kaum bestimmen. Das ist für ihren Erfolg aber sekundär, weil die Erfolgschance einer Skandalisierung letztlich von Journalisten abhängt. Wenn sie sich, egal aus welchen Gründen, die Vorwürfe nicht zu Eigen machen, bleibt jeder Skandalisierungsversuch aus dem vormedialen Raum erfolglos.“
„Vorwürfe nicht zu Eigen machen, bleibt jeder Skandalisierungsversuch aus dem vormedialen Raum erfolglos“
Wie im einzelnen die Skandalisierungen funktionieren sollen: Dieses „Studienfach“ dürfte wohl kaum an einer staatlichen Universität ohne weiteres zu studieren sein. Schon der langjährige Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte ein ganz „besonderes Interesse“ an seine politischen Freunden und Feinden gezeigt.
„Geheimdienst routinemäßig nach eigenem Gusto zur Bespitzelung politischer Konkurrenz“
„Der undemokratische Adenauer – So setzte er den Geheimdienst routinemäßig nach eigenem Gusto zur Bespitzelung politischer Konkurrenz in und außerhalb der CDU ein. Regelmäßig berichtete er im Parteivorstand, was eigens bezahlte Spione aus den Innereien von FDP, CSU und SPD berichteten.“
„Was eigens bezahlte Spione aus den Innereien von FDP, CSU und SPD berichteten“
„Unter führenden Christdemokraten war es den Papieren zufolge kein Geheimnis, dass Adenauer die SPD ausspionierte. Bei einer Besprechung mit ausgewählten Parteifreunden zum Thema Rundfunk im Sommer 1960 erklärte der Kanzler, er sei „im Besitz einer Niederschrift der Verhandlungen im Vorstand der SPD“. Es gebe nämlich einen „Parteigeheimdienst“ der CDU, der ihn über die SPD-Spitze informiere: „Wir haben jemanden, der uns von ihrem Parteivorstand berichtet, das ist ja ganz klar.“
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Konrad Adenauer: „Wir haben jemanden, der uns von ihrem Parteivorstand berichtet, das ist ja ganz klar“
Logischerweise macht das Bespitzeln nur Sinn: Sofern die Informationen sich als nützlich erweisen und im passenden Moment zum Einsatz kommen können. So kann eine missliebige politische Figur in passenden Moment über ihre eigenen Skandale stolpern. Im diskreten Hintergrundgesprächen werden brisante Informationen an ausgewählte Journalisten durchgesteckt.
„Und dann sind da noch die vielen Gesprächskreise“ – „Allen voran die mit Journalisten“
>>Gerhard Schröder Die Biographie von Gregor Schöllgen (Buch) <<
„Und dann sind da noch die vielen Gesprächskreise, allen voran die mit Journalisten – große und kleine Kreise, national und international besetzte, Hintergrundgespräche und förmliche Runden, weniger exklusive, ziemlich exklusive und sehr exklusive, wie der sogenannte Wohnzimmerkreis. Schon zu Bonner Zeiten ins Leben gerufen, wird er maßgeblich von Günter Bannas organisiert.“
Exklusive Hintergrundgespräche – „Wie der sogenannte Wohnzimmerkreis“
Diese Hintergrundgespräche finden logischerweise nicht zum reinen Selbstzweck statt. Diese Kontakte werden dann im passenden Moment reaktiviert und genutzt, um seinen politischen Konkurrenten auszustechen.
„Keine Hintergrundgespräche geben, in denen ich irgendwelche Sottisen über ihn ablassen würde“
„Wann immer eine Grenze erreicht sei und nach meiner Einschätzung etwas in die falsche Richtung laufe, würde ich erst mit ihm sprechen. Und es werde auch keine Hintergrundgespräche geben, in denen ich irgendwelche Sottisen über ihn ablassen würde. Wir hatten beide miterlebt, wohin es führt, wenn die Führungspersönlichkeiten der Partei gegeneinander arbeiteten. Das konnten wir uns in der außerparlamentarischen Opposition noch viel weniger leisten.“
„Wenn die Führungspersönlichkeiten der Partei gegeneinander arbeiteten“
Das Führungspersönlichkeiten einer Partei über die Bande sich gegenseitig bekämpfen: Das dürfte wohl kaum jemanden überraschen. Aber diese „schmutzige Krieg“ muss nicht zwangsläufig zum Rücktritt führen, manchmal kann eine brisante an die Presse durchgesteckte Information auch nur als Warnung verstanden werden. Nichtsdestoweniger sind auch Geheimdienst selbst in das politische Geschehen als aktive Spieler eingebunden.
„BND muss Informationen zu Hintergrundgesprächen rausgeben“
„BND muss Informationen zu Hintergrundgesprächen rausgeben … Das Bundesverwaltungsgericht hat den Auskunftsanspruch der Presse gegenüber dem Bundesnachrichtendienst (BND) gestärkt. Der Geheimdienst müsse einem Journalisten bestimmte Auskünfte über Hintergrundgespräche mit anderen Medienvertretern erteilen, … Müller-Neuhof kritisierte eine „selektive Informationsvermittlung“ des BND in diesen Hintergrundgesprächen. „Es geht darum, etwas Licht ins Dunkelfeld dieser Form der behördlichen Öffentlichkeitsarbeit zu bringen“, sagte er. Auch andere Bundesbehörden oder Ministerien lüden zu solchen vertraulichen Gesprächsrunden ein.“
„Geheimdienst müsse einem Journalisten bestimmte Auskünfte über Hintergrundgespräche mit anderen Medienvertretern erteilen“
Laut eigener Selbstauskunft soll der Bundesnachrichtendienst lediglich Informationsgewinnung betreiben: Aber die Hintergrundgespräche mit ausgewählten Journalisten spiegeln da ein ganz anderes Bild wider. Außerdem gibt es auch politische Affären – inklusive Rücktritte – die zumindest erklärungsbedürftig erscheinen.
Edathy-Affäre: „Bilder von nackten Jungen heruntergeladen zu haben“
„Edathy-Affäre – Der Prozess gegen Sebastian Edathy wurde eingestellt. Der frühere Bundestagsabgeordnete hat zugegeben, Bilder von nackten Jungen heruntergeladen zu haben. … 7. Februar 2014: Edathy legt mit sofortiger Wirkung sein Bundestagsmandat nieder. Der Innenpolitiker war seit 1998 Mitglied des Bundestags und Vorsitzender im NSU-Untersuchungsausschuss.“
Geheimdienste und die aktive Schwächung des Parlamentarismus
Selbstverständlich will niemand Kinderpornografie beschönigen, doch ungeachtet dessen kommen auch andere kritische Fragen auf: Wie konnten Journalisten überhaupt an diese Informationen gelangen? Staatsanwaltschaft und Polizei dürfen bei laufenden Ermittlungsverfahren solche Details nicht preisgeben. Und auf einer öffentlich-einsehbaren Whistleblower-Webseiten waren seine „Vorlieben“ ebenfalls nicht zu finden. Zumal der Zeitpunkt seines Rücktrittes merkwürdig passend erscheint: Als Vorsitzender im NSU-Untersuchungsausschuss fiel er durch viele kritische Fragen gegenüber den Geheimdiensten auf.
Edathy-Affäre – Wie sollen Journalisten an die Informationen gekommen sein?
Wobei es keinesfalls zwangsläufig der gesamte „Geheimdienst“ hinter der Aktion muss. Viele Agenten können auf eine umfangreiche Datenbank zugreifen und der Datenschutz wird dort – salopp formuliert – recht sportlich gehandhabt. Aber zumindest hat man es vermutlich wohlwollend zur Kenntnis genommen. Auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Geheimdienste über Informationen zu Hintergrundgesprächen herausgeben müssen: Das wird eher mit einem milden Lächeln betrachtet.
„CDU-Abgeordneter Pfeiffer legt Sprecheramt nach Hackerangriff nieder“
>>RedaktionsNetzwerk Deutschland<<
„CDU-Abgeordneter Pfeiffer legt Sprecheramt nach Hackerangriff nieder – Er gilt als einer der wichtigsten Energiepolitiker der Union, doch jetzt legt der Bundestagsabgeordnete Joachim Pfeiffer sein Sprecheramt nieder. … Pfeiffer begründete die Entscheidung mit einem hochkriminellen Hackerangriff auf seine Person und seine Vertragspartner, aber auch mit dem Verhaltenskodex, den die Unionsfraktion als Reaktion auf den Maskenskandal beschließen will.“
„Pfeiffer begründete die Entscheidung mit einem hochkriminellen Hackerangriff auf seine Person und seine Vertragspartner“
Der besagte Politiker hatte sich zuvor kritisch über die Regierungspolitik geäußert und ganz offen Ministerpräsidenten und Kanzleramt kritisiert. Hinter solchen charismatischen Politikern können sich natürlich auch andere Abweichler sammeln und so neue Mehrheiten im Parlament entstehen lassen. Allerdings dürfte das Schicksal des ehemaligen Bundestagsabgeordnete Joachim Pfeiffer vielen aktiven Politikern nicht entgangen sein. Oder anders: „Bestrafe einen, erziehe Hunderte.“ Doch solche politischen Mechanismen können in dieser Form bei der Direkten Demokratie nicht greifen.