Lausitzer Mythen: Der Pelzmann
Es war einmal ein Mann, der hieß Karl Heinrich von Grünau, welcher am 9. Decbr. 1744 zu Schmölln bei Bischofswerda in einem Alter von 106 Jahren starb.
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Wunderbare Ereignisse begegneten ihm auf seines Lebens Pfade, aber noch wunderbarere Gerüchte verbreiten über ihn die Volkssagen.
Hier nur dasjenige, was man über ihn, nicht ohne Mühe, zu sammeln vermocht.
Er erblickte am 25. Novbr. 1638 in Thüringen, oder im Voigtlande (unbestimmt ist es hier, das Wahre anzugeben, weil er beider Länder Bewohner stets seine lieben Landsleute nannte,) – manche geben Meißen als sein Vaterland an – das Licht der Welt, und kam in eben nicht zu frühen Jahren (denn zu jenen Zeiten verlangte man, wie sich der Verfasser des Rittersaals ausdrückt, starke, handveste und bengelhafte Kerle, von geziemenden Jahren, zu Hofbedienungen) an den kurfürstl. sächs. Hof zu Dresden, wurde daselbst im Pagenhause erzogen und trat im 36sten Jahre seines Alters in die Dienste des damaligen Kurprinzen und nachherigen Kurfürsten Johann Georg III., den er in allen seinen Feldzügen in den Jahren 1673, 1679 gegen Frankreich – 1683 gegen die Türken, beim Entsatz von Wien, begleitete, sich in seinem Gefolge befand, als er 1684 nach Venedig reisete und 1688 dem Feldzuge am Rhein, so wie 1691 dem Kriege gegen Frankreich beiwohnte. Im 40sten Altersjahre wurde er Leibpage und Tafelsteher bei seinem Herrn.
Da man aber doch nicht bis zu einem Methusalems-Alter Page bleiben kann, so nahm der biedere Grünau, welcher nach dem damaligen Zeitgeiste des Adels, außer Pferde bändigen, Jagden anstellen und Waffen handhaben, wohl weiter nichts begriffen haben mochte – da er keine Beförderung vor sich sahe, nach seines Herrn Ableben, im Jahre 1691 seinen Abschied, entfernte sich aus der großen Welt und wendete sich nach Schmölln, wo er von einem mäßigen Ruhegehalt, entfernt vom Hofgetümmel, in stiller Ruhe und Häuslichkeit den Rest seiner Tage beschließen wollte.
Von seinen fast an’s Unglaubliche grenzenden Lebenserrettungen bemerkt man – außer, daß er aus allen Gefechten, denen er mit ausgezeichnetem Muthe beiwohnte, unverletzt zurückkehrte – nur Folgendes: Daß er am 12ten August 1675 auf der Bergveste Königstein berauscht aus einer Schießscharte unter der Friedrichsburg kletterte, sich auf einen – kaum eine Elle breiten, abschüssigen Felsvorsprung legte und sanft entschlummerte, wo ihn der Kurfürst durch Stricke bevestigen und durch Trompeten- und Pauckenschall erwecken ließ, wovon diese seine Ruhestätte noch bis jetzt den Namen des Pagenbettes führt; wie er mit seinem scheu gewordenen Pferde 1677 über die dresdener Brücke in die Elbe setzte und 1680 auf einer Jagd im rathener Grunde in einen tiefen Abgrund stürzte.
Schon durch diese glücklich überstandenen Abenteuer erschien er in den Augen so Mancher als ein Mann, dem übernatürliche Kräfte zu Gebote stünden.
Entfernt von der Menschheit – welche er doch keineswegs haßte – lebte er nun, seine Zeit unter Lesung nützlicher Bücher, Sammeln von Steinen und Kräutern, Ausflüge in die Umgegend, Jagden u. dgl. vertheilend, skeletirte manche Thiere, stopfte andere aus, hatte zwei gezähmte Schlangen und bewahrte Eidechsen, Molche, Kröten u. dgl. in Gläsern. Einige Menschengerippe standen an den berußten Wänden seiner niedern Wohnung, von deren Simsen bleiche Todtenschädel hinabgrinseten. Oft hörte man ihn mit Jemandem – den man doch nirgends erblickte – sprechen, und sah ihn durch die Gartenthürspalten unter einem alten Wachholderstrauch in den Mitternachtsstunden Kräuter kochen und Schlangen braten, wobei er unverständliche Worte murmelte. Alles natürlich – denn er, als ein launiger, scherzhafter Mann, liebte es, die Neugierigen am Narrenseile herumzugängeln; die Kräuter, womit er manchen Kranken erquickte, kochte er zur Nachtzeit, um neugierigen Lauschern, die nur Faulheit oder Furcht bei Nacht ins Bette bannte, zu entgehen, im Garten, um Feuerunglück zu vermeiden.
Daß es nun in dieser seiner Junggesellenwirthschaft eben nicht elegant ausgesehen haben möge, läßt sich ohne Bemerkung wohl von selbst denken; denn Bälge, Häute und Felle von erlegtem Wildpret lagen mit Kräutern, Wurzeln und alten Büchern vereint, im wilden Gemisch unter einander, indeß Flinte, Büchse, Pistolen, Hirschfänger, Schwanenhälse, Tellereisen und Jagdnetze an den Wänden prangten, welches denn – nebst seiner altfränkischen Tracht, die er stets beibehielt – Abergläubige und Furchtsame – die außerdem noch einen Rabenstein, eine Springwurzel bei ihm bemerkt und ihn Natternbrühe hatten trinken sehen – bei dem ihnen angebornen und durch mancherlei Erzählungen genährten Aberglauben an übernatürliche Kräfte, in ihm, wo nicht einen mit dem Satanas Verbundenen, doch wenigstens einen Zauberer erblicken ließ. – Grünau lachte bestimmt der Thoren. –
Auch ereignete sich nach seinem Tode noch ein Umstand, der den Glauben, daß er – wie man sagt – wohl mehr, als Brot habe essen können, noch mehr bestätigte. Als sich nämlich nach seinem Hintritt, außer den die Inventur besorgenden Gerichtspersonen, noch mehrere Afterkluge in seiner Behausung versammelten, blätterte Einer von ihnen in einem alten, bestaubten, mit Holzschnitten verzierten und Schlössern verwahrten Buche, als plötzlich – die Uhr verkündete so eben die zwölfte Mittagsstunde – ein Schwarm Dohlen, Krähen, Elstern, Sperlinge u. dgl. sich auf dem Hofraum versammelte, von denen sogar einige ungeduldig an die Fenster pickten. Bestürzt enteilten die Gegenwärtigen der Stube, das Buch wurde in den Kamin geworfen, wo es mit einem lauten Knall zerplatzte, einige Gewehre zufällig von den verrosteten Nägeln herabfielen und die Vögel unter wildem Geschrei fortflogen. Der Grund dieser Erscheinung war, weil der geschöpfliebende Alte dieses Geflügel gezähmt hatte und ihm um diese Zeit ihr Futter reichte.
Doch was helfen alle natürliche Erklärungen bei dem, der nun einmal Geister erblicken will und sie daher überall findet? Nur das Entfernte sucht der Mensch, wobei er das ihm vor der Nase Liegende überblickt; denn noch vor ungefähr funfzig Jahren erzählte man sich in dortiger Gegend viel Wunderbares von dem Pelzmann – wie er insgemein wegen seiner Tracht genannt wurde – denn da sollte er im Dorfe herumwandeln, an Thür und Fenster – vornämlich um Weihnachtszeit – klopfen und die Leute, jedoch nur auf unschädliche Art äffen, vorzüglich aber, wenn sich etwas Wichtiges in der Familie des Guthsbesitzers ereignen sollte, oder ein ungünstiges Schicksal dem Dorfe drohe, selbiges durch Andeuten verkündigen und warnen. Man sagte daher: Der Pelzmann habe sich gezeigt, der Pelzmann gehe um u. s. w., und harrte mit Furcht der Dinge, die da kommen sollten.