Lausitzer Geschichte: Kamenz im Hussitenkriege

Screenshot twitter.com Screenshot twitter.com

Im Jahre 1415 war Huß in Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Der schwache und furchtsame Kaiser Sigismund hatte nicht den Mut gefunden, sein gegebenes Wort einzulösen und Huß zu retten. Darum verachteten ihn auch die Hussiten und erkannten ihn nicht als König von Böhmen an; denn einen wortbrüchigen Mann wollten und konnten sie nicht als Landesvater haben.

___________________

Von Friedrich Bernhard Störzner

___________________

Dafür sollten nun die Hussiten gezüchtigt werden. Die Widersetzlichkeit derselben wurde mit Waffengewalt beantwortet. Die Oberlausitz hatte die Verpflichtung, Truppen zu Sigismunds Heere zu stellen. Auch die Stadt Kamenz war dazu angehalten. Kamenz sandte seine Schützen nach Böhmen, die das Prager Schloß mit erobern halfen und nach 14wöchentlicher Abwesenheit wieder heimkehrten. Die Bewohner der Lausitz rüsteten von jetzt ab gegen einen etwaigen Einfall der Hussiten. Kamenz setzte seine Mauern, Gräben, Türme und Zugbrücken in stand. Im August 1421 stellte die Stadt zur Armee des Kaisers Sigismund abermals 50 Mann. Nicht ohne Verluste zogen sich dieselben im Dezember desselbigen Jahres nach der Vaterstadt zurück, um den eigenen Herd verteidigen zu helfen. Im Jahre 1423 befinden sich wieder 50 Kamenzer Bürger mit auf dem Kriegsschauplatze bei Rumburg und Schluckenau in Böhmen, sowie 1424 bei Görlitz. Hier verstümmelten die Hussiten die Gefangenen und verbrannten sogar mehrere lebendig.

Im nächsten Jahre trieben die Oberlausitzer den Feind nach Böhmen zurück, nachdem die Hussitenführer mit 18 000 Mann die Vorstädte Löbaus verbrannt und Heinrich von Wildenstein Königswarthe in Asche gelegt und das Kamenzer Gebiet geplündert hatten. 1426 drangen mit den übrigen Oberlausitzern 60 wackere Kamenzer mit in Böhmen ein und beteiligten sich am 16. Juni mit an der mörderischen und blutigen Schlacht bei Außig. Sie erlitten freilich bedeutende Verluste. Die Lausitz rüstete von neuem; denn der Kampf wurde jetzt immer ernster, da die Hussiten abermals die Grenze überschritten hatten und furchtbare Rache zu nehmen drohten. Kamenz stellte diesmal 200 Schützen, die wohlausgerüstet waren und zum Hauptheere bei Zittau 1427 stießen.

Doch die Hussiten waren im Vorwärtsdringen nicht mehr aufzuhalten. Die Oberlausitzer mußten der Uebermacht Prokops weichen, obgleich sie mutig und tapfer sich geschlagen hatten. Ostritz, Kloster Marienthal und Hirschfelde gingen in Flammen auf, auch Lauban mußte die Wut der fanatischen Mordbrenner empfinden. Die Bewohner wurden erbarmungslos niedergemetzelt, weder Greis noch Kind schonte man, selbst die in die Kirchen Geflüchteten ereilte das Verhängnis. Die Nonnen jagte man aus dem Kloster und schleuderte sie sodann in die Flammen. Das Würgen von seiten der Hussiten war furchtbar und ist kaum zu beschreiben. Angst und Entsetzen ergriffen die Bewohner der Lausitz. Man befürchtete das Schlimmste. Im Jahre 1428 bestürmte Prokop Budußin.

Doch die wackeren Bürger begrüßten ihn von den festen Mauern und von den trotzigen Türmen herab mit Steinen, mit siedendem Pech und Wasser. Die Hussiten mußten die Belagerung dieser wohlverschanzten Stadt endlich aufgeben. Prokop schnaubte vor Wut und nahm nun seinen Weg, den rauchende Trümmerhaufen bezeichneten, nach der Kamenzer Gegend. Ein zweites Hussitenheer wandte sich nach Löbau. Dasselbe verlor darauf bei Zittau im Kampfe gegen den Landvogt Albrecht von Colditz nicht weniger als 1000 Mann und zog sich nunmehr nach Böhmen zurück. Prokop drang aber weiter nach Westen zu vor. Schrecken ergriff die Bewohner der Kamenzer Pflege. Die Leute flüchteten in die nahen Wälder oder suchten, wenn es noch möglich war, Schutz hinter den festen Mauern der Stadt Kamenz. Die Verwirrung war grenzenlos, das Entsetzen groß. Elstra, Pulsnitz, das Kloster Marienstern, ferner die Herren von Kamenz und von Ponikau sandten dem raubgierigen Feinde Geldgeschenke entgegen, um Schonung zu erhalten. Bis in die Königsbrücker Gegend glichen die Dörfer rauchenden Trümmerstätten.

An Kamenz ging das Unheil noch einmal vorüber, doch im nächsten Jahre sollte es umso schlimmer werden. Das Jahr 1429 begann mit neuen Greueltaten der Hussitten. Am 1. Januar legten diese die Stadt Löbau in Asche, und die umliegenden Ortschaften erlebten namenlosen Jammer. Die Städte beschränkten sich neun bange Monate hindurch auf die Bewachung ihrer Wälle. Es herrschte Schwüle vor dem Sturme und Gewitter. Die Hussiten entfalteten plötzlich von neuem eine lebhaftere Tätigkeit. In Bischofswerda, Pulsnitz, Königsbrück, Wittichenau und Kloster Marienstern loderten auf einmal mächtige Feuersäulen empor und röteten den ganzen Himmel viele Nächte hindurch. Die Hussiten verkündeten ihr Nahen. In den Herzen der Kamenzer wuchs die Angst sehr. Schon der 3. Oktober führte die Mordbrenner vor die Tore der Stadt Kamenz. Sie forderten, daß man die Tore öffne, aber die tapferen Kamenzer, in voller Uebereinstimmung mit einer großen Anzahl „Eingeflüchteter“ und mehrerer Ritter, wiesen dieses Ansinnen einmütig zurück.

Dadurch wurden natürlich die Hussiten sehr gereizt und schwuren der Stadt den Untergang. Sie bereiteten zur Bestürmung von Kamenz alles vor. Am 4. Oktober wurde die Stadt von den Hussiten wiederholt berannt, aber Tore und Mauern erwiesen sich als stark und fest genug. Dazu kam noch die Umsicht und Tapferkeit der Bürger. Von allen Türmen, Bastionen und Mauern hagelten Steine und Geschosse auf die anstürmenden Feinde nieder. Hunderte wurden niedergestreckt. Der Tag verging, und die Nacht brach an. Die heldenmütigen Bürger bereiteten alles vor auf einen neuen und heftigeren Angriff der Hussiten. Diese Umsicht war gut gewesen; denn schon am frühen Morgen des 5. Oktober gingen die wütenden Feinde wiederum zum Angriff vor. Die Hussiten schleppten Sturmleitern herbei, um mit Hilfe derselben die Mauern der Stadt zu übersteigen, aber die Bürger von Kamenz verdoppelten ihre Kräfte. Selbst Frauen und Kinder nahmen an der Verteidigung der Stadt lebhaften Anteil.

Sie schleppten Steine, siedendes Pech und brennenden Schwefel herbei und schleuderten große Massen von der Stadtmauer hinab auf die grimmigen Feinde, welche an den Sturmleitern emporzuklettern versuchten. Es war ein mörderischer Kampf, aus dem die wehrhaften Kamenzer abermals als Sieger hervorgingen. Am 6. Oktober bestürmten die Hussiten Kamenz von neuem und zwar mit großem Mute, aber auch diesmal unterlagen sie der heftigen Gegenwehr. Der Tod hielt unter den Hussitten eine reiche Ernte, und die Schar schmolz sichtlich zusammen. Freilich der Tod hatte auch unter den heldenmütigen Kamenzern manches Opfer gefordert. Viele waren ferner schwer verwundet und konnten an der Verteidigung der so sehr bedrohten Vaterstadt sich nicht mehr beteiligen. Doch die Bürger von Kamenz waren auch diesmal die Sieger im Kampfe geblieben. Da der Feind nicht in die Stadt einzudringen vermochte, so zerstörte er die außerhalb der Ringmauer liegenden Gebäude durch Brand. Auch die am Schloßberge stehenden Häuser wurden ein Raub der wütenden Flammen. Von dem tagelangen Kampfe waren die Bürger freilich sehr ermüdet, und der Schlaf forderte seine Rechte. Ein großer Teil der Einwohner gab sich der Ruhe hin, während der andere Teil treulich Wache hielt; denn daß der Kampf noch nicht zu Ende sei, sagten sich alle. So nahte die Mitternacht, und die ruhende Stadt sollte jetzt Furchtbares erleben.

Die unheimliche Stille wurde urplötzlich unterbrochen durch das Wimmern und Schreien der Bewohner der Burglehnshäuser. „Nach Augenblicken brüllten dort Fluch und Verzweiflung. Verrat hatte die Burg geöffnet. Das vermauerte Schloßtor wurde von den Hussiten aufgebrochen, und unbemerkt waren sie von einer Seite, die man nicht mit Wachen besetzt hatte, da hier ein Eindringen des Feindes wegen der vorliegenden Burg unmöglich schien, in die Stadt gelangt.“ Als die Kamenzer bemerkten, was geschehen war, waren schon Tausende von Hussiten in die Stadt eingedrungen.

Sämtliche Wachen wurden niedergemetzelt, die Schlafenden aus den Betten gerissen. „Weder Kind noch Greis, weder Mütter noch Jungfrauen fanden Erbarmen.“ Was nicht durch das Schwert der Hussiten umkam, fand in den Flammen das Ende; denn die Stadt wurde von den Feinden zuletzt noch an allen Ecken angebrannt. Ueber 1200 Leichen bedeckten die Gassen, die Wohnungen und die Stufen der Altäre; denn auch die in die Gotteshäuser Geflüchteten wurden nicht verschont. Es war von den Hussiten wiederum eine schreckliche Bluttat verübt worden. Von den Ratsherren der Stadt blieben nur vier am Leben. Der Jammer war groß. Als die hussitischen Mordbrenner endlich abzogen, glich Kamenz einem rauchenden Schutthaufen, bedeckt mit Hunderten von Leichen.

Die in der Gefahr entkommenen Bürger kehrten, nachdem die Hussiten die Kamenzer Gegend endlich verlassen hatten, in die Trümmerstadt zurück. Nur langsam erhoben sich die Häuser von neuem. „Der Landesherr, König Sigismund, welcher in Ungarn gegen die Türken kämpfte und zugleich durch innere Feinde beunruhigt wurde, gab der niedergedrückten Stadt Kamenz 1431 dadurch einen Beweis seiner Teilnahme, daß er auf dem Reichstage zu Nürnberg derselben das Anlegen eines Zolles gestattete. Bruso von Kamenz und dessen Mutter, welche, im Besitze der Burg, den Hussitensturm erlebt hatten, verkauften diesen ihren Erbsitz 1432 an die Stadt Kamenz, wodurch die Herrschaft über das Kamenzer Ländchen für das Geschlecht derer von Kamenz aufhörte und von nun an im Namen des Königs durch den Kgl. Landvogt in Budißin gehandhabt wurde.“ – Die Bürger trugen das ihnen verhaßte und gegen 500 Jahre alte Felsenschloß, die Burg von Kamenz, kurze Zeit darauf ab; denn diese Feste hatte der Stadt „zahlloses Ungewähr“ und endlich die hussitischen Mordbrenner zugezogen.

Auf den Trümmern der Burg steht heute das schöngelegene Schloßrestaurant, von dem man einen entzückenden Ausblick in das Elstertal und auf die stattliche Hauptkirche von Kamenz hat. Reste von Wällen sind noch deutlich wahrzunehmen. Als im Jahre 1818 ein Felsenkeller am Schloßberge „aufgegraben“ wurde, fand man einen verrosteten Torschlüssel, den man noch heute aufbewahrt und für den ehemaligen Schlüssel zur Burg Kamenz hält. – An die Hussitenzeit erinnert eine Inschrift über der Eingangstüre zum Schloßrestaurant. Diese Inschrift lautet:

Am Schloßberg prangt’ in Ritterzeit,
Der Herrn von Kamenz Herrlichkeit,
Als herzog der Hussiten Macht,
Da ward das Schloß zu Fall gebracht.

Anno: 1432.