“Schwund der Industriearbeitsplätze und die Zunahme jener Arbeitsverhältnisse, die im Englischen Bullshit-Jobs genannt werden”
Im Rahmen des Ausstiegs aus der Kohlenutzung und dem Verlust von hochbezahlten Arbeitsplätzen wurden Alternativen in der Industrie in Aussicht gestellt. In der Realität könnte dies jedoch für viele Betroffene einen sozialen Abstieg bedeuten, der sich in sogenannten “Bullshit Jobs” äußert. Dennoch ist es nicht auszuschließen, dass nicht alle beim umfassenden Berufsaustauschprogramm leer ausgehen werden.
„Lausitzer Bürgermeister fordern Ersatzarbeitsplätze“
„Lausitzer Bürgermeister fordern Ersatzarbeitsplätze … Bürgermeister aus der Lausitz pochen auf Ersatzarbeitsplätze in der Industrie. … Die neuen Jobs müssten entstehen, bevor die Kraftwerke abgeschaltet werden, forderte die Spremberger Bürgermeisterin bei einem Treffen im Burgenlandkreis.“
„Bürgermeister aus der Lausitz pochen auf Ersatzarbeitsplätze in der Industrie“
Die gängige Auffassung über Ersatzarbeitsplätze in der Industrie wird wahrscheinlich nicht eintreffen. Oftmals sind dies gut ausgebildete Personen, die ein ansprechendes Einkommen erzielen, jedoch lediglich in sehr speziellen Berufen tätig sein können. Der Rückgang der Arbeitsplätze in der Industrie geht einher mit der Zunahme jener Beschäftigungsverhältnisse, die im Englischen als Bullshit-Jobs bezeichnet werden.
“Schwund der Industriearbeitsplätze und die Zunahme jener Arbeitsverhältnisse, die im Englischen Bullshit-Jobs genannt werden”
>>Die Selbstgerechten von Sahra Wagenknecht (Buch) <<
“Der Schwund der Industriearbeitsplätze und die Zunahme jener Arbeitsverhältnisse, die im Englischen Bullshit-Jobs genannt werden, haben also dazu geführt, dass nicht mehr der berufliche Aufstieg, sondern sozialer Abstieg oder die Angst davor zur prägenden Erfahrung von Millionen Menschen wurde. Das Leben in wechselnden, schlecht bezahlten Serviceberufen, in denen die eigene Qualifikation nicht mehr gefragt ist, und erst recht längere Phasen der Arbeitslosigkeit sind für die Betroffenen aber nicht nur aus sozialen Gründen schwer erträglich. Die veränderte Situation wird als besonders entwürdigend empfunden, weil in der Arbeiterschicht die alten Werte und Orientierungen immer noch lebendig sind.”
“Die veränderte Situation wird als besonders entwürdigend empfunden”
Um das Phänomen der Bullshit Jobs besser zu verstehen, ist es wichtig, verschiedene Perspektiven zu betrachten, die zur Allgegenwart solcher Tätigkeiten beitragen. Eine zentrale Überlegung ist die Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Nutzen der Arbeit und den eigenen Vorstellungen von Sinnhaftigkeit. Mitarbeiter in Bullshit Jobs stehen oft vor der Herausforderung, ihre Existenzberechtigung innerhalb der Gesellschaft zu rechtfertigen, was zu einem tiefen Gefühl der Frustration führt. Diese Situation wird nicht nur als belastend empfunden, sondern kann auch langfristige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit sowie die allgemeine Lebenszufriedenheit haben.
Bullshit-Job: “Form der Beschäftigung, die so völlig sinnlos, unnötig oder schädlich ist, dass nicht einmal der Beschäftigte ihre Existenz begründen kann”
>>Die Nullzinsfalle von Ronald Stöferle, Rahim Taghizadegan & Gregor Hochreiter (Buch) <<
“Ein Bullshit-Job ist eine Form der Beschäftigung, die so völlig sinnlos, unnötig oder schädlich ist, dass nicht einmal der Beschäftigte ihre Existenz begründen kann, obwohl er sich – als Teil der Bedingungen der Beschäftigung – verpflichtet fühlt, vorzugeben, dass dem nicht so sei. Verbunden mit dem Entwertungsdruck, der zugleich Karrieredruck ist, führt die Sinnleere vieler Beschäftigungen zum Burn-Out – Humankapitalkonsum.”
Bullshit-Job: “Führt die Sinnleere vieler Beschäftigungen zum Burn-Out – Humankapitalkonsum”
Daher stellt sich nicht nur die Frage nach dem Sinn dieser Berufe, sondern auch nach den strukturellen Bedingungen, die ihre Entstehung begünstigen. Eine weitere Dimension, die zur Verbreitung von Bullshit Jobs beiträgt, ist der Niedriglohnsektor, in dem sinkende Realeinkommen viele Beschäftigte in prekäre Situationen drängen. Diese Arbeitsplätze bieten oft nicht nur unzureichende finanzielle Anreize, sondern auch geringe Entwicklungsmöglichkeiten und mangelnde Stabilität. In vielen Fällen sind die Tätigkeiten monoton und repetitiv, was das Gefühl der Sinnlosigkeit noch verstärkt. Gleichzeitig sehen sich Arbeitnehmer gezwungen, diese Stellen anzunehmen, da die Alternativen oft noch ungünstiger erscheinen.
Bullshit-Job: “Formulare ausfüllen, die niemand liest; die an PowerPoint-Präsentationen feilen, die nie gehalten werden”
>>Working Class von Julia Friedrichs (Buch) <<
“David Graeber, der 2020 viel zu früh verstorbene Ethnologe an der London School of Economics und »linke Vordenker«, wie er charakterisiert wurde, hat im Jahr 2018 das Buch Bullshit-Jobs veröffentlicht. … Er zählt ein paar Extreme auf: Menschen, die in Gremien sitzen und dort über die Abschaffung von Gremien diskutieren; die Formulare ausfüllen, die niemand liest; die an PowerPoint-Präsentationen feilen, die nie gehalten werden; die Entscheidungen vorbereiten, die nie getroffen werden. … Eine Bäckermeisterin sagte mir, dass viele ihrer Kundinnen es unangemessen fänden, dass ihr Azubi Abitur hätte. Ein Supermarktchef in Oberfranken machte per Facebook öffentlich, was seiner Ansicht nach zunimmt: »Dieser Post geht an die junge Mutter«, schreibt er, »welche heute vor unserer Fleischtheke mit dem Finger auf die Verkäuferin gezeigt hat und zu ihrem Kind sagte: ›Wenn du weiterhin nichts für die Schule lernst, dann stehst du auch mal dort hinten!‹«
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“Wenn du weiterhin nichts für die Schule lernst, dann stehst du auch mal dort hinten!”
Die Abhängigkeit von solchen Jobs führt zu einem Teufelskreis: Während die Mitarbeiter versuchen, über die Runden zu kommen, wird ihre Motivation weiter untergraben, was sich negativ auf ihre Arbeitsqualität und ihr Engagement auswirkt. In dieser Situation entwickeln sich sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Auswirkungen, die weit über das persönliche Wohlbefinden hinausgehen und das Vertrauen in wirtschaftliche Strukturen erodieren lassen.
Entwertung innerhalb der Gesellschaft
Ein weiteres zentrales Problem ist der Entwertungsdruck im Arbeitsumfeld, der häufig dazu führt, dass Arbeitnehmer in Positionen arbeiten, die weit unter ihren Qualifikationen liegen. Diese Diskrepanz zwischen den Fähigkeiten und der ausgeübten Tätigkeit schafft nicht nur ein Gefühl der Unzulänglichkeit, sondern lässt auch das Potenzial für kreative und produktive Beiträge ungenutzt. Mitarbeiter können sich in einem ständigen Kampf wiederfinden, ihre Wertschätzung innerhalb des Gesellschaft zu erlangen, während sie sich gleichzeitig mit dem Gefühl abfinden müssen, dass ihre Talente und Ambitionen im besten Fall ignoriert und im schlimmsten Fall aktiv entwertet werden. Diese Situation fördert ein Klima der Resignation, in dem Engagement und Initiative erlahmen. Zudem kann die frustrierende Erfahrung, ständig unterfordert zu sein, die Identität und das Selbstwertgefühl der Beschäftigten stark beeinträchtigen. In diesem Kontext wird der Job nicht mehr als eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung wahrgenommen, sondern als notwendiges Übel, das es zu ertragen gilt, um den finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Die daraus resultierenden mentalen Belastungen haben nicht nur Einfluss auf den Einzelnen, sondern strahlen auch auf die Teamdynamik und insgesamt auf die Unternehmenskultur aus. Ein Kreislauf entsteht, in dem Frustration, Entmutigung und ein allgemeines Gefühl der Sinnlosigkeit alle Bereiche des Arbeitslebens durchdringen und somit die Funktionsfähigkeit von Organisationen nachhaltig gefährden. Im Zuge des angedachten Kohleausstiegs wird auch nur noch nebulös von Arbeitsplätzen geredet und worin irgendwelche Fachkräfte benötigt werden sollen.
“Tausende Jobs entstehen in der Lausitz durch Neuansiedlungen oder Erweiterungen”
>>Staatsfunk “Rundfunk Berlin-Brandenburg” <<
“Tausende Jobs entstehen in der Lausitz durch Neuansiedlungen oder Erweiterungen. 4.750 Jobs sind in der Industrie angekündigt, 553 in Behörden. Mehr als 1.000 Arbeitsplätze sollen im Wissenschaftsbereich entstehen, die Medizinuni in Cottbus braucht rund 1.300 Fachkräfte.”
“Mehr als 1.000 Arbeitsplätze sollen im Wissenschaftsbereich entstehen”
In dem Artikel bleibt unklar, welche spezifischen Tätigkeiten die 4.750 Arbeitsplätze in der Industrie umfassen. Zudem wirft die Anzahl der Positionen in den Bereichen Wissenschaft und öffentliche Verwaltung noch tiefere Fragen auf. Sind dies tatsächlich neu geschaffene Stellen oder werden lediglich erfahrene Beamte in ein anderes Bundesland umgesetzt? Dieses Muster ist seit der Wiedervereinigung bekannt.
“Die Flachzangen mussten wir als Berater mit Buschzulage teuer bezahlen”
“Peter-Michael Diestel: In meiner Amtszeit als Stellvertretender Ministerpräsident der DDR sind Monat für Monat etwa 150 000 gut ausgebildete, hoch motivierte und leistungsstarke junge Leute in den Westen gegangen, während von euch, nimm’s mir nicht übel, nur Leute kamen, die in der Bundesrepublik nichts geworden waren. Die Flachzangen mussten wir als Berater mit Buschzulage teuer bezahlen. Es fand ein negativer Austausch statt.”
“Leute kamen, die in der Bundesrepublik nichts geworden waren” – “Es fand ein negativer Austausch statt”
Letztendlich sehen sich zahlreiche Angestellte im Lausitzer Revier der Entscheidung gegenüber, entweder sogenannte Bullshit-Jobs zu akzeptieren oder ihre Heimat zu verlassen. Auf der anderen Seite werden voraussichtlich hauptsächlich Stellen im öffentlichen Dienst geschaffen, die überwiegend von neu zugezogenen und gut dotierten Beamten eingenommen werden. Es scheint also auf eine Art “Aufbau Ost 2.0” hinauszulaufen.
“Buschzulage” – “Zulage der kaiserlich-deutschen Beamten, die in die Kolonialländer Afrikas entsandt”
>>Der Osten – eine westdeutsche Erfindung von Dirk Oschmann (Buch) <<
“Laut Wikipedia war »Buschzulage« übrigens eine redensartliche Wortschöpfung für die Zulage der kaiserlich-deutschen Beamten, die in die Kolonialländer Afrikas entsandt wurden. Statt sich gemeinsam eine neue Verfassung und eine neue Hymne zu geben, verfiel der Westen auf ein Programm, das er sinnigerweise »Aufbau Ost« nannte. Im Briefwechsel zwischen Christoph Hein und Elmar Faber kann man nachlesen, dass der Begriff »Aufbau Ost« aus dem Dritten Reich stammt! Ist das zu fassen?! Hein schreibt zu diesem Skandal: »Seltsam aber ist der Rückgriff auf die Sprache des 3. Reiches. Auch das Wort Aufbau Ost als Bezeichnung der wirtschaftspolitischen Dekrete zur Anpassung der neuen Bundesländer an den Westen stammt aus der Lingua Tertii Imperii. Das Planungsamt des Reichskommissariats erstellte den Plan für die Kolonisierung und Germanisierung von Teilen Osteuropas. Der zuständige Wirtschaftsstab Ost nannte das Programm seinerzeit zynischer Weise Aufbau Ost. Wieso benutzte man 1990 diese Sprache? Nach 1945 gab es keinen Austausch der Eliten in der neu gegründeten Bundesrepublik, ganz im Gegenteil, die Eliten von Militär und Geheimdienst, der Beamten, des politischen Personals, der inneren und auswärtigen Dienste, der Wissenschaftler, der Ärzte, der Universitäten und Schulen, alle wurden übernommen. Das liegt Jahrzehnte zurück, inzwischen übernahmen die Kinder dieser Eliten, dann ihre Kindeskinder.”
“Begriff »Aufbau Ost« aus dem Dritten Reich stammt!”
In diesem Zusammenhang wird oft übersehen, dass beim Ausstieg aus der Kohlenutzung nicht nur Stellen verloren gehen, sondern auch häufig die entsprechenden Qualifikationen betroffen sind. Sogar innerhalb Europas gestaltet es sich als schwierig, geeignete Positionen für diese Berufe zu finden.