Die korrupte Karriere des Verres: Machtmissbrauch und Gier im spätrepublikanischen Rom

Als Verres zum Prätor gewählt wurde, war dies keine Folge besonderer Verdienste, sondern das Ergebnis eines sorgfältig inszenierten Machtspiels, bei dem üppige Bestechungsgelder eine zentrale Rolle spielten. Die politischen Sitten in Rom waren zwar seit jeher von Klientelwesen und Abhängigkeiten geprägt, doch Verres trieb das Streben nach persönlichem Vorteil auf eine neue, kaum noch zu überbietende Spitze. Er verstand es meisterhaft, sich mit der Mehrheit im Senat zu arrangieren, ihre Interessen zu bedienen und sich so die Unterstützung der wichtigsten Entscheidungsträger zu sichern. Diese Loyalität wurde nach Ende seiner Amtszeit prompt belohnt: Die lukrative Proprätur auf Sizilien, einer der damals bedeutendsten Provinzen des Imperiums, fiel ihm quasi in den Schoß. Die Insel war ein Juwel innerhalb des römischen Machtbereichs, geprägt von riesigen Landgütern, die von einer Vielzahl an Sklaven bewirtschaftet wurden. Als Hauptlieferant für das Getreide, das die Bevölkerung Roms ernährte, war Sizilien ein strategischer Brennpunkt, dessen Kontrolle ein enormes Machtpotenzial bedeutete.
Amtsmissbrauch in Zeiten der Unsicherheit
Verres blieb länger als üblich auf seinem Posten, angeblich, weil Unruhen wie der Spartacusaufstand das gesamte italienische Festland in Aufruhr versetzten. Doch in Wirklichkeit nutzte er das Machtvakuum und die allgemeine Unsicherheit, um auf Sizilien schalten und walten zu können, wie es ihm beliebte. Schon in der Vorbereitungsphase für das spätere Gerichtsverfahren gegen ihn versuchte sein Netzwerk im Senat, die Abläufe zu manipulieren: Man wollte verhindern, dass Cicero als Ankläger auftrat, und plante, das Verfahren solange hinauszuzögern, bis Verres’ Unterstützer Schlüsselpositionen einnahmen. Die Kontrolle über die Gerichtshöfe spielte Verres dabei gezielt aus, indem er dafür sorgte, dass diese wieder ausschließlich mit Senatoren besetzt wurden – ganz im Gegensatz zu eigentlich geltenden Gesetzen, die eine breitere Beteiligung vorgesehen hatten. Trotz all dieser Hürden gelang es Cicero, die Anklage durchzubringen.
Ciceros Kampf um Gerechtigkeit und die Reise nach Sizilien
Als der Prätor Glabrio Ciceros Klage annahm, setzte er einen straffen Zeitplan fest. Cicero nutzte die Zeit, um selbst nach Sizilien zu reisen und sich ein eigenes Bild von den Verhältnissen zu machen. Er sammelte umfassendes Beweismaterial und führte zahlreiche Gespräche mit direkt Betroffenen. Was er zusammentrug, war ein erschütterndes Sittenbild von Machtmissbrauch, Erpressung und Gewalt. Verres hatte nicht nur von den Städten Siziliens, sondern auch von einzelnen Bürgern hohe Bestechungsgelder gefordert. Im Gegenzug befreite er beispielsweise die Bewohner von Messana von der Pflicht, Schiffe für den Kampf gegen Piraten bereitzustellen. Gleichzeitig versagte sein Flottenbefehlshaber Kleomenes derart, dass Piraten ungehindert die wichtige Hafenstadt Syrakus plündern konnten.
Willkür und Gewalt gegen vermeintliche Feinde
In einer Atmosphäre allgemeiner Angst und Unsicherheit ließ Verres Sklaven verhaften und beschuldigte sie fälschlich der Kollaboration mit Spartacus, nur um sie gegen hohe Zahlungen wieder freizulassen. Schiffe mit wertvoller Fracht wurden unter dem Vorwand konfisziert, sie würden Feinde des römischen Staates unterstützen. Die Willkür kannte keine Grenze: Der römische Bürger Publius Gavius, der durch Zufall Zeuge dieser Machenschaften wurde, wurde von Verres nicht nur gefoltert, sondern auch öffentlich gekreuzigt – ein unfassbarer Tabubruch, da jedem römischen Bürger besondere Schutzrechte zustanden. Diese Grausamkeit schockierte nicht nur die Zeitgenossen, sondern blieb als warnendes Beispiel für den Verlust elementarer Rechtsprinzipien im Gedächtnis.
Brutalität gegen Kritiker und römische Bürger
Ein weiteres Beispiel für die Skrupellosigkeit des Verres war der Tod des Kaufmanns Gaius Servilius, der offen Kritik an den Zuständen geübt hatte. Nach seiner Denunziation wurde er von Verres’ Liktoren auf dem Forum von Lilybaion brutal zusammengeschlagen. Die rohe Gewalt gipfelte darin, dass er, schwer verletzt, vom Ort des Geschehens getragen werden musste und später an seinen Verletzungen starb. Solche Methoden zielten darauf ab, jeden Widerstand im Keim zu ersticken und die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen.
Kunstraub als persönliche Leidenschaft
Doch Verres’ Begierde erstreckte sich nicht nur auf Geld und Macht, sondern auch auf die wertvollen Kunstschätze Siziliens. Mit systematischer Gründlichkeit ließ er Gemälde, Skulpturen, religiöse Artefakte und andere Kostbarkeiten aus Tempeln und Privathäusern entfernen. Besonders die berühmte Statue der Artemis von Segesta wurde zum Symbol für seinen Raubzug. Die Bürger der Stadt, die diese Statue als Erbstück einer langen und bewegten Geschichte betrachteten, mussten erleben, wie sie unter Androhung von Gewalt und Repressalien herausgegeben werden musste. Die moralische Verwahrlosung des Statthalters zeigte sich darin, dass er weder vor religiösen noch vor kulturellen Tabus Halt machte.
Gewalt gegen Heiligtümer und religiöse Traditionen
Auch die Stadt Henna blieb nicht verschont. Hier ließ Verres sogar im Inneren eines bedeutenden Tempels eine Statue der Demeter entfernen und entwendete den Kopf einer weiteren Statue, die zu groß war, um sie komplett wegzuschaffen. Diese Taten trafen die Bewohner Siziliens ins Mark, denn sie bedeuteten einen Angriff auf die religiösen Grundlagen ihrer Gemeinschaft. Für die Menschen war es wichtiger, dass der Frevel an ihren Heiligtümern gesühnt wurde, als dass sie für materielle Verluste entschädigt wurden. Die Empörung über diese Sakrilegien war so groß, dass viele Sizilianer auf eigene Kosten nach Rom reisten, um vor Gericht gegen Verres auszusagen.
Ciceros Prozessstrategie und der Fall des Verres
Cicero brachte all diese Vergehen in einem gewaltigen Plädoyer vor Gericht zur Sprache. Er forderte, dass die Beweisaufnahme sofort beginnen solle, um Verschleppungstaktiken der Verteidigung zu verhindern. Der Richter gab nach, und so kamen zahlreiche Zeugen zu Wort, die ein vernichtendes Bild von Verres’ Amtsführung zeichneten. Die Liste der Vorwürfe war lang und reichte von Erpressung und Raub über Gewalt bis hin zu Justizmord und Sakrileg. Die Beweislast war so erdrückend, dass selbst der erfahrene Anwalt Hortensius seinem Mandanten schließlich zur Flucht riet. Verres floh ins Exil, durfte jedoch den Großteil seines Vermögens behalten, während die Provinz Sizilien und ihre Bewohner mit den Folgen seiner Herrschaft zurückblieben.
Nachwirkung und Bedeutung des Falls
Der Prozess gegen Verres wurde zu einem Fanal für die spätrömische Republik. Er machte deutlich, wie weit Korruption, Amtsmissbrauch und persönliche Bereicherung das politische System bereits durchdrungen hatten. Zugleich zeigte der Fall, wie gefährlich es war, wenn Einzelne ohne wirksame Kontrolle über das Schicksal ganzer Provinzen bestimmten. Die Rolle Ciceros als Ankläger wurde zum Vorbild für spätere Generationen von Juristen und Politikern. Der Fall Verres steht bis heute sinnbildlich für den Missbrauch von Macht im Dienst persönlicher Interessen – ein warnendes Beispiel, das weit über die Antike hinausreicht.















