Korruption im antiken Römischen Reich

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Als Verres im Jahr 74 v. Chr. zum Prätor gewählt wurde, sollen erhebliche Bestechungsgelder geflossen sein. Er führte sein Amt parteiisch und ganz im Sinne der Mehrheitsmeinung im Senat, was seine Kollegen nach dem Ende seiner Amtszeit mit der lukrativen Proprätur auf Sizilien belohnten. Diese Provinz, die über große Latifundien verfügte, auf denen zahlreiche Sklaven arbeiteten, hatte sich zum wichtigsten Getreidelieferanten für das stets hungrige Rom entwickelt und war daher für das expandierende Imperium von enormer Bedeutung.

Gegen die Gepflogenheiten amtierte Verres ein zweites Jahr als Statthalter, da Italien Ende der 70er Jahre durch den Spartacusaufstand erschüttert wurde, der erst 71 v. Chr. unter Kontrolle gebracht werden konnte. Bereits im Vorfeld versuchten Verres’ Unterstützer im Senat, Einfluss auf das Verfahren zu nehmen. Sie setzten alles daran, Cicero das Mandat zu entziehen und die Zulassung des Verfahrens hinauszuzögern, da Hortensius selbst als designierter Konsul für 69 v. Chr. vorgesehen war und der zuständige Prätor dann ebenfalls ihrer Seite nahestehen würde. Verres trug zudem dazu bei, dass die Repetundengerichtshöfe mittlerweile wieder ausschließlich mit Senatoren besetzt waren, anders als es die lex Acilia vorgesehen hatte. Cicero setzte sich jedoch durch.

Der Prätor Glabrio ließ im Februar 70 v. Chr. Ciceros Anklage zu, setzte den Prozess noch für dasselbe Jahr an und gewährte ihm als Vertreter der Geschädigten 110 Tage Zeit zur Vorbereitung seiner Anklage. Cicero nutzte diese Zeit für eine zweieinhalbmonatige Reise durch Sizilien, um belastendes Material gegen Verres zu sammeln und Informationen aus erster Hand zu erhalten. Das Sündenregister des ehemaligen Proprätors, das Cicero auf diese Weise zusammentrug, war beeindruckend: Verres nahm Bestechungsgelder von der Stadt Messana an und befreite deren Bürger von der Pflicht, ein Schiff samt Besatzung für den Kampf gegen die im Tyrrhenischen Meer agierenden Piraten bereitzustellen. Sein Flottenbefehlshaber Kleomenes versagte derart, dass es den Piraten gelang, die bedeutende Hafenstadt Syrakus zu plündern. Vor dem Hintergrund der in Italien tobenden Kämpfe gegen Spartacus ließ er Sklaven auf Sizilien verhaften und beschuldigte sie fälschlicherweise, mit den Rebellen zusammenzuarbeiten.

Erst gegen Zahlung hoher Bestechungssummen ließ er sie wieder frei. Schiffe mit wertvoller Ladung ließ Verres unter dem Vorwand kapern, sie würden den abtrünnigen Sulla-Gegner Quintus Sertorius beliefern, der in Spanien einen Bürgerkrieg gegen die Zentralregierung in Rom führte. Als einer der Betroffenen, der römische Bürger Publius Gavius, dem die Flucht aus den Steinbrüchen von Syrakus gelungen war, den Skandal um die gekaperten Schiffe öffentlich machte, ließ ihn Verres auspeitschen und kreuzigen, obwohl römische Bürger durch das Gesetz vor solchen Strafen und derartigen Übergriffen geschützt waren. In seiner zweiten Rede gegen Verres schildert Cicero den Justizmord an Gavius in eindringlichen Worten.

Noch am Kreuz habe er geschrien: «Ich bin ein römischer Bürger», civis Romanus sum. Dieser Satz wurde nicht zufällig von John F. Kennedy in seiner berühmten Berliner Rede am 26. Juni 1963 als kraftvolles Plädoyer für die Freiheit zitiert. Ein weiterer römischer Bürger, Gaius Servilius, ein Kaufmann aus Panormos (Palermo), wurde von Verres’ Liktoren auf dem Forum von Lilybaion so brutal behandelt, dass er später an seinen Verletzungen starb. Servilius hatte sich kritisch über Verres geäußert und war daraufhin denunziert worden. Unverzüglich wurde er vorgeladen. Als der Kaufmann sich gegen die Behandlung durch die Obrigkeit zur Wehr setzen wollte, wurden die Liktoren handgreiflich. Während er in diesem Sinne noch sprach, umringten ihn sechs Liktoren – kräftige Männer mit Erfahrung im Prügeln – und schlugen unbarmherzig mit Ruten auf ihn ein. Schließlich begann der Oberscherge Sextius mit dem Knauf seines Stockes heftig auf die Augen des Unglücklichen einzuschlagen, bis dieser blutüberströmt zu Boden sank.

Während er noch dalag, setzten die Schläger ihren Übergriff fort, bis er sich schließlich bereit erklärte, alle Verfahren zu akzeptieren. Letztlich war er so zugerichtet worden, dass man ihn für tot hielt und vom Platz trug, kurze Zeit später verstarb er tatsächlich. Besonders hatte es Verres auf die Kunstwerke dieser kultur- und geschichtsreichen Insel abgesehen. Der vierte Teil von Ciceros zweiter Rede gegen Verres behandelt das, was Verres selbst als eine Liebhaberei bezeichnete – studium –, seine Freunde aber als Krankheit – morbus – und Leidenschaft – insania –, während die Sizilianer es einen Raubzug – latrocinium – nannten.

Bereits in seinen vorherigen Ämtern hatte Verres aus Kilikien und Griechenland zahlreiche Kunstschätze in seine Liegenschaften in Rom und Italien bringen lassen. Auf Sizilien betrieb er systematisch Kunstraub: Schmuckstücke, Textilien, Gemälde, Statuen, Möbelstücke sowie Waffen und wertvolle Gefäße – alles was nicht niet- und nagelfest war, versuchte der Statthalter mit schmutzigen Tricks in seinen Besitz zu bringen. Während seiner Recherchen auf Sizilien betrieb Cicero regelrechte Provenienzforschung, um Verres das Handwerk zu legen. In Segesta wurde seit alter Zeit eine eiserne Statue der Göttin Artemis aufbewahrt; für die Römer war sie Diana – «die man seit alter Zeit in höchstem Ansehen hielt und die zudem mit seltener Kunstfertigkeit hergestellt worden war». Cicero rekonstruiert detailliert die wechselvolle Geschichte dieses Kunstwerks.

Die Karthager hätten nach ihrem Sieg über Segesta im Krieg die Stadt zerstört und das Bild nach Karthago gebracht, wo es wegen seiner Schönheit weiterhin verehrt wurde. Jahrhunderte später habe Scipio Aemilianus – der Sieger über Karthago im Dritten Punischen Krieg – den Sizilianern alle Kunstwerke zurückgegeben, die Karthager auf der Insel gestohlen hatten; darunter auch die Artemis von Segesta. Die Segestaner hätten sie wieder in den Tempel zurückgestellt und auf einem hohen Sockel platziert; dort sei der Name ihres Wohltäters Scipio eingraviert gewesen. Als Cicero während seiner Amtszeit als Quästor Segesta besuchte, wurde er voller Stolz zuerst zu dieser Statue geführt. Alter und Heiligkeit schützten die Artemis jedoch nicht vor Verres’ Begehrlichkeiten: Kaum sah er die Statue, wollte er sie haben. Zunächst versuchte er es freundlich: Er befahl den städtischen Beamten, die Artemis abzubauen und ihm zu übergeben; einen größeren Gefallen könne man ihm nicht tun. Als die Segestaner erklärten, dies sei ihnen strengstens verboten und beriefen sich zudem auf Scipio als ihren Wohltäter, drohte Verres ihnen mit Konsequenzen. Der Statthalter ließ nicht nach in seinen Forderungen; schließlich befasste sich auch der Stadtrat mit dem Thema und wies Verres ebenfalls eine Absage erteilte ihm jedoch keine Zustimmung mehr.

Der wütende Proprätor auferlegte den Segestanern verschiedene Lasten und schikanierte die Bürger der Stadt weiter; als er damit drohte, er werde Segesta auslöschen lassen, gaben sie schließlich nach und händigten ihm unter großem Jammer sowie Seufzen der gesamten Bürgerschaft unter Tränen das Standbild aus.

In diesem Kontext erinnert Cicero geschickt einen der Prozessbevollmächtigten des Verres – den jungen Publius Cornelius Scipio Nasica – daran, was sein entfernter Vorfahre Scipio Aemilianus für die Segestaner getan hatte: Es sei eine Schande gewesen, dass ein Nobody wie er – nach den Maßstäben Roms feiner Gesellschaft – ausgerechnet einen Aristokraten wie Scipio mit solch einem Stammbaum daran erinnern müsse, welche Verantwortung Scipio Aemilianus aufgrund seines Sinns für Gerechtigkeit seinen Nachkommen auferlegt habe. Scipio Nasica sollte sich später tatsächlich als würdig erweisen; denn er warnte Cicero während seines Konsulatsjahrs vor dem Attentat durch Catilina.

Ein weiterer Vorfall illustriert noch drastischer Verres’ krankhaftes Streben danach, Kunstwerke von außergewöhnlichem Wert in seinen Besitz zu bringen: In der zentral-sizilianischen Stadt Henna (Enna) befand sich ein Heiligtum der Demeter – der Göttin des Ackerbaus –, das nicht nur auf Sizilien berühmt war sondern auch weit darüber hinaus Pilger anzog. Im Tempel standen mehrere Statuen: eine große marmorene Statue von hervorragender Qualität sowie eine aus Metall – mäßig groß aber sehr schön gearbeitet –, beide mit Fackeln; zudem gab es zwei weitere Götterbilder vor dem Tempel: eine Statue der Demeter sowie eine des Helden Triptolemos – wunderschöne große Werke.

Die metallene Demeterstatue aus dem Inneren des Tempels ließ Verres abmontieren und wegschaffen; da die beiden Standbilder vor dem Tempel jedoch zu sperrig waren dafür ließ er lediglich einer kleinen Nike von Demeter den Kopf abschlagen und nahm diesen mit. Für die Bürger von Henna stellte dieser Frevel den Höhepunkt einer von Skandalen überschatteten Amtszeit des Proprätors dar. Nicht nur Steuerforderungen oder das Wegnehmen ihres Eigentums oder ungerechte Urteile beklagten sie; auch nicht seine gewalttätigen Übergriffe oder Kränkungen waren ihr Hauptanliegen gewesen. Die Majestät Demeters sowie die altehrwürdige Verehrung dieses Heiligtums wollten sie dadurch gesühnt sehen dass dieser dreiste Schwerverbrecher zur Rechenschaft gezogen werde.

Cicero brachte Bewohner Siziliens nach Rom um vor Gericht diese sowie viele andere ungeheuerliche Vorkommnisse zu bezeugen; um zu verhindern dass sich das Verfahren bis ins nächste Jahr hinzog beantragte er dass die Beweisaufnahme direkt nach seinem Anklageplädoyer beginnen könne bevor die Gegenseite Gelegenheit zur Erwiderung erhielt; Glabrio genehmigte diesen Antrag: «Ihr», rief Cicero am 5.August 70 v.Chr., «könnt den Schandfleck von eurer Ehre abwaschen! Ihr könnt diesen Stand über Jahre hinaus wieder retten!» Dann fasst er zusammen was gegen Verres erhoben wird.

Hierin also besteht meine Anklage für diesen ersten Termin: Ich behaupte: Gaius Verres hat zahlreiche Grausamkeiten sowie andere Verbrechen an römischen Bürgern wie auch an Bewohnern verbündeter Gemeinden begangen; hat sich an Göttern sowie Menschen frevlerisch versündigt; hat schließlich 40 Millionen Sesterzen widerrechtlich in Sizilien angeeignet.

Die Beweisaufnahme dauerte bis zum 13.August; Cicero hörte Zeugen an: Sie bestätigten Punkt für Punkt seine Vorwürfe und zeichneten ein düsteres Bild von Verres’ Statthalterschaft; angesichts dieser Beweislage war klar dass es für den ehemaligen Statthalter verloren war: Hortensius empfahl seinem Mandanten sofortige Flucht aus der Stadt ins Exil nach Massilia (Marseille). Immerhin durfte er sein beträchtliches Vermögen mitnehmen; weshalb das Gericht am Ende lediglich drei Millionen Sesterzen pfänden konnte – eine bescheidene Summe angesichts des Schadens von 40 Millionen Sesterzen den er auf Sizilien angerichtet hatte.”