“Kleineren Gewerkschaften keineswegs nur maßlos privilegierte Berufsgruppen repräsentieren”
Besteht die Möglichkeit, zukünftig Streiks einzuschränken oder leichter zu verbieten? Soll es spezielle Streikrechte für Branchen der kritischen Infrastruktur geben? Schon seit geraumer Zeit wird jedoch eine negative Berichterstattung gegen kleine Gewerkschaften mit kontroversen Beiträgen betrieben.
“Wegen ihrer spezifischen Berufsfelder die Macht, große Teile des öffentlichen Lebens lahmzulegen”
>>Staatsfunk “Deutschlandradio” <<
“Wenn es um die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen oder höhere Gehälter geht, dann streiken sie: Die Ärzte, die im Marburger Bund organisiert sind, die Fluglotsen, die sich in der GdF zusammengetan haben, das Kabinenpersonal mit der Ufo, der Unabhängigen Flugbegleiter-Organisation oder die Lokführer, die sich zum großen Teil von der GdL, der Gewerkschaft der Lokomotivführer vertreten lassen: Eine jeweils kleine Gruppe von Arbeitnehmern hat wegen ihrer spezifischen Berufsfelder die Macht, große Teile des öffentlichen Lebens lahmzulegen.”
Mit der Rundfunkgebühr gegen Gewerkschaften?
Der Beitrag dreht sich teilweise um die Tarifeinheit, aber hauptsächlich wird gegen kleine Gewerkschaften und ihrer vermeintlich “zu große Macht” argumentiert. Diese Art der Argumention ist insofern interessant, da darin vermeintlichen oder tatsächlichen Privilegien der Lokführer thematisiert, aber die Vorstandsgehälter des Bahnkonzerns ignoriert werden. Zwischen diesem beiden Lohngruppen liegen Welten und der Bahn-Konzern ist weitestgehend durch den Staat abhängig. Die Fronten sind also ganz woanders zu verorten. Mit Geldern des Rundfunkbeitrags wird also Stimmung gegen Gewerkschaften gemacht und die passenden Gesetze hierfür liegen auch schon in der Schublade bereit.
“Ein Notbetrieb von mindestens 50 Prozent müsse aufrechterhalten werden”
“Gelten sollen die für die Bahn, den Flugverkehr, für Gesundheit und Pflege, für Kitas, Feuerwehren und die Müllabfuhr. Streiks sollen hier künftig mindestens drei Tage vorher angekündigt werden. Ein Notbetrieb von mindestens 50 Prozent müsse aufrechterhalten werden. Warnstreiks dürften maximal vier Stunden dauern. Ein Schlichtungsversuch soll verpflichtend sein, sobald die Arbeitgeber oder Gewerkschaften diesen wünschen.”
“Ein Schlichtungsversuch soll verpflichtend sein”
Besonders im Fokus stehen hier Erfahrungen mit den Streiks der GDL. Das Gesetz soll allerdings auf Bereiche wie Bahn, Flugverkehr, Gesundheit, Pflege, Kindergärten, Feuerwehren und Müllabfuhr eine Anwendung finden. Ein wichtiger Aspekt des beschlossenen Positionspapiers ist die Festlegung eines Notbetriebs von mindestens 50 Prozent in diesen Schlüsselbereichen. Zudem müssen Warnstreiks mindestens drei Tage im Voraus angekündigt werden und dürfen maximal vier Stunden dauern. Sollte es zu einem Arbeitskampf kommen, ist ein Schlichtungsversuch verpflichtend. Vom Streikrecht dürfte am Ende nicht viel übrig bleiben. Explizit wird bei der Begründung des Vorhabens auf die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer und deren Streik verwiesen.
“Abbruch der Tarifverhandlungen” – “Verweigerungshaltung, ein verbessertes Angebot vorzulegen, Arbeitskampfmaßnahmen zur Folge haben wird”
>>Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer<<
“Mit dem Abbruch der Tarifverhandlungen hat die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) den Arbeitgebern des Transdev-Konzerns erklärt, dass ihre Verweigerungshaltung, ein verbessertes Angebot vorzulegen, Arbeitskampfmaßnahmen zur Folge haben wird. … Vom Streikaufruf der GDL sind Lokomotivführer, Zugbegleiter, Werkstattmitarbeiter und Disponenten bei der NordWestBahn GmbH, Transdev Hannover GmbH, Transdev Mitteldeutschland GmbH, Transdev Regio Ost GmbH, Transdev Rhein-Ruhr GmbH sowie die Trans Regio Deutsche Regionalbahn GmbH erfasst.”
Vorbild USA? – “Streikgelder ihrer Gewerkschaft wurden beschlagnahmt und die Gewerkschaft im folgenden Jahr aufgelöst”
Daran sind zwei Dinge interessant und vielsagend. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer weit mehr Bereiche als der Öffentliche-Rechtliche Rundfunk glauben machen will und die Eskalation ging überwiegend einseitig durch die Deutsche Bahn aus. Die Vertreter der Privatbahnen waren sich hingegen offenbar recht schnell einig, also lagen – allen Anschein nach – nicht mal sachlich Gründe vor. Da es sich bei der Deutsche Bahn um einen Staatskonzern handelt, war dieser Streik sicherlich auch in gewisserweise politisch auch so gewollt. Das passende Gesetz konnte jedenfalls recht schnell aus Schublade gezogen werden. Grundsätzlich stellt diese Vorgehensweise gegen Gewerkschaften keine Neuigkeit dar.
“Beendigung des Streiks der Fluglotsen im September 1981 ein Gesetz von 1947 an, das eine Klausel für ein Streikverbot in einem nationalen Notfall enthielt”
>>Die Brandstifter von Annika Brockschmidt (Buch) <<
“Reagan, ein überzeugter Gegner von Roosevelts New Deal, ließ Sozialprogramme kürzen, vor allem solche zur Armutsbekämpfung. Gestrichen wurden unter anderem Ausgaben für Ausbildungs- und Beschäftigungsprogramme, für den staatlichen Sozialdienst, sogar für Essensmarken beim Schulessen. … Reagan wandte zur Beendigung des Streiks der Fluglotsen im September 1981 ein Gesetz von 1947 an, das eine Klausel für ein Streikverbot in einem nationalen Notfall enthielt. Er ließ unter Berufung auf dieses Gesetz nach Ablauf eines Ultimatums 11000 Fluglotsen entlassen. Die Streikgelder ihrer Gewerkschaft wurden beschlagnahmt und die Gewerkschaft im folgenden Jahr aufgelöst. «Das läutete das Ende der gesellschaftlichen Bedeutung von Gewerkschaften in den USA ein. […] Starke Gewerkschaften waren zuvor das Rückgrat der Mittelschicht, insbesondere der unteren Mittelschicht», analysieren Komlos und Schubert.”
“Starke Gewerkschaften waren zuvor das Rückgrat der Mittelschicht, insbesondere der unteren Mittelschicht», analysieren Komlos und Schubert”
Tatsächlich blieb das Streikverbot gegen die Fluglotsen nicht auf jene beschränkt, sondern hat am Ende viele weitere Bereiche betroffen und die Auswirkungen sind noch in der Gegenwart in der USA zu spüren. Hierzulande haben insbesondere kleine Gewerkschaften einen Zulauf zu verzeichnen, während sich viele Mitglieder bei großen Gewerkschaften sich schlicht nicht mehr vertreten fühlen.
“DGB-Gewerkschaften” – “Orientieren die sich bei der Lohnfindung meist am unteren Rand der Möglichkeiten”
>>Sind wir noch zu retten? von Klaus Schweinsberg (Buch) <<
“Danach galt bisher der Grundsatz: ein Betrieb- ein Tarifvertrag. Nunmehr wächst der Anreiz für kleine, hoch spezialisierte Berufsgruppen, sich wie Lokführer, Fluglotsen, Piloten oder Krankenhausärzte in Spezialgewerkschaften zu organisieren und so eigene Tarifverträge durchzusetzen. … Ein Wettlauf mit den DGB-Gewerkschaften zeichnet sich ab. Noch orientieren die sich bei der Lohnfindung meist am unteren Rand der Möglichkeiten. Denn das von ihnen hochgehaltene Branchenprinzip nimmt jeweils einen ganzen Wirtschaftszweig in den Fokus. Das Ergebnis sind Mindeststandards, die von allen Firmen verkraftbar sind. … Die neue Konkurrenz verändert das Tarifgeschäft von Grund auf. Nicht länger sind die Fußlahmen der Maßstab für das Ganze, sondern produktivitätsstarke Spitzenkräfte. … Auf kurze Sicht dürfte sich der Staat auf allen Ebenen als der stärkste lnflationstreiber hervortun. Der Preis für die Gesundheit steigt durch höhere Krankenkassenbeiträge, wahrscheinlich auch noch durch weitere Zusatzbeiträge. Der Saft aus der Steckdose wird teurer.”
“Saft aus der Steckdose wird teurer” – “Staat auf allen Ebenen als der stärkste lnflationstreiber hervortun”
Da der Staat viele Dinge des täglichen Lebens teurer macht, sind Streiks am Ende schon vorprogrammiert. Vielmehr sollten sich die DGB-Gewerkschaften mehr um die Interessen ihrer eignen Mitglieder kümmern, als die Inflationspolitik des Staates zu verteidigen. Insbesondere die GDL ist hierfür ein Paradebeispiel.
“GDL auch aus anderen Berufsgruppen als den Lokführern Zulauf erhielt, ist ja nicht gerade ein Beleg für deren Zufriedenheit mit der DGB-Gewerkschaft”
>>Gute-Macht-Geschichten von Stephan Hebel & Daniel Baumann (Buch) <<
“Dass die kleineren Gewerkschaften keineswegs nur maßlos privilegierte Berufsgruppen repräsentieren, die den Hals nicht voll bekommen können, übersehen die Befürworter der gesetzlichen Zwangsregel konsequent. Dass beispielsweise die GDL auch aus anderen Berufsgruppen als den Lokführern Zulauf erhielt, ist ja nicht gerade ein Beleg für deren Zufriedenheit mit der DGB-Gewerkschaft. Und insgesamt macht es die zunehmende Differenzierung von Berufsgruppen und die von Unternehmen forcierte Aufspaltung in unterschiedliche Einzelbetriebe nachvollziehbar, dass auch bei den Interessenvertretungen eine Differenzierung eingetreten ist. Dieser Entwicklung mit einem Gesetz begegnen zu wollen, ist zumindest eine gewagte Idee.”
“Kleineren Gewerkschaften keineswegs nur maßlos privilegierte Berufsgruppen repräsentieren”
Die Gewerkschaften sollten vielmehr effiziente Möglichkeit gegeben werden, um für die Interessen ihrer Mitglieder einzutreten und Veränderungen durchzusetzen. Immerhin ist das Versammlungsrecht im Grundgesetz verankert.