MENU

Ist Gold wirklich ein barbarisches Relikt?

Screenshot youtube.com Screenshot youtube.com

Die Aussage, dass “Gold ein barbarisches Relikt sei”, lässt sich leicht entkräften: Keynes hat dies so nicht formuliert. Was er tatsächlich äußerte, ist jedoch von größerem Interesse. In seinem 1924 veröffentlichten Werk Ein Traktat über Währungsreform erklärte Keynes: “In Wahrheit ist der Goldstandard bereits ein barbarisches Relikt.”

Hierbei bezog er sich nicht auf Gold selbst, sondern auf den Goldstandard – und im Kontext des Jahres 1924 war seine Einschätzung durchaus zutreffend. Das notorisch unzureichende System der Golddevisenwährung, das in verschiedenen Varianten von 1922 bis 1939 galt, hätte niemals implementiert werden sollen. Zudem hätte es schon lange vorher aufgegeben werden müssen, bevor es mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zusammenbrach. Keynes war vor allem ein Pragmatiker. Als im Juli 1914 der Erste Weltkrieg begann, war er einer der vehementesten Befürworter des klassischen Goldstandards, der seit 1870 in Anwendung war.

Die meisten Länder, die in den Krieg zogen, gaben den Goldstandard sofort auf, um mit ihrem verbliebenen Gold den Krieg zu finanzieren. Auch das Schatzamt seiner Majestät, des Königs von England, sowie die Bank von England verfolgten diesen Ansatz. Keynes argumentierte im Wesentlichen, dass die Menge des als Zahlungsmittel verwendeten Goldes begrenzt sei, während Kredite flexibel seien. Wenn man am Goldstandard festhielte und Londons Rolle als Zentrum der globalen Finanzwelt bewahrte, würde dies die Kreditwürdigkeit Großbritanniens steigern. So konnte London sich die notwendigen Mittel leihen, um den Krieg zu finanzieren. Und genau das geschah dann auch. Das House of Morgan in New York organisierte enorme Kredite für Großbritannien, jedoch keine für Deutschland und Österreich.

Nur durch diese Finanzierung war es Großbritannien möglich, bis zum Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg im Jahr 1917 durchzuhalten. Im darauffolgenden Jahr wurde der Sieg errungen. 1925 erwog Winston Churchill als damaliger britischer Finanzminister die Rückkehr Großbritanniens zum Goldstandard mit der gleichen Parität wie vor dem Krieg. Keynes informierte Churchill darüber, dass dies zu einer verheerenden Deflation führen würde.

Obwohl Keynes sich gegen den Goldstandard aussprach, betonte er, dass im Falle einer Wiedereinführung für Großbritannien es entscheidend sei, den Goldpreis auf einem angemessenen Niveau festzulegen. Er empfahl eine deutlich höhere Parität für Gold als vor dem Krieg. Churchill ignorierte jedoch Keynes’ wertvollen Rat. Das Resultat war eine massive Deflation und eine Depression in Großbritannien, und zwar bereits viele Jahre bevor die Weltwirtschaftskrise den Rest der Welt erschütterte.

Im Juli 1944, etwa neun Monate vor seinem Tod, setzte sich Keynes in Bretton Woods für eine neue globale Währung ein, die er “Bancor” nannte – der theoretische Vorläufer des heutigen “Special Drawing Right” (SDR). Den Bancor wollte er durch einen Rohstoffkorb absichern, zu dem auch Gold gehörte. Dies wäre zwar kein strenger Goldstandard gewesen, hätte jedoch dem Gold dennoch eine bedeutende Rolle im Währungssystem zugewiesen. Keynes’ Plan wurde auf Drängen der Vereinigten Staaten zugunsten eines Dollar-Gold-Standards verworfen, der von 1944 bis 1971 bestand.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Zu Beginn seiner Laufbahn war Keynes ein Befürworter von Gold; in der Mitte seiner Karriere agierte er als kluger Berater bezüglich Gold; und gegen Ende seiner Karriere trat er erneut für einen Goldstandard ein. Dazwischen sprach er sich zu Recht gegen die Einführung eines fehlerhaften Systems der Golddevisenwährung aus. An diese differenzierte Sichtweise von Keynes zum Thema Gold sollte man denken, wenn das nächste Mal jemand die Phrase vom “barbarischen Relikt” äußert.