Geheime Kulte? – Stellen die Katakomben tatsächlich Rückzugsorte für die frühen Christen dar?

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Bis im Jahr 311 n. Chr. in Nikomedeia das Toleranzedikt des Kaisers Galerius erlassen wurde, befand sich die christliche Religion bestenfalls in einer rechtlichen Grauzone zwischen Erlaubtheit und Verbot. Im schlimmsten Fall erfuhren Christen Verfolgung, erstmals systematisch und im gesamten Reich unter Kaiser Decius 249 n. Chr., dann gezielt unter Valerian 257 n. Chr. und schließlich mit beispielloser Brutalität 303 n. Chr. unter Diokletian und der Tetrarchie. Da die Christen ihre Gemeinschaft und Rituale pflegten und die nichtchristliche Umgebung nur wenig darüber wusste, hielten sich hartnäckig Verschwörungstheorien, die besagten, im christlichen Untergrund würde Unheil zusammenbrauen. Man traute den Christen einiges zu, sogar Kannibalismus, weil man die Wandlung von Brot und Wein in das Fleisch und Blut Christi nicht nachvollziehen konnte.

Die Katakomben waren jedoch keine Zufluchtsorte, sondern Begräbnisstätten, und zwar keineswegs nur für Christen, sondern für viele Menschen, lange bevor sich das Christentum ab der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. auch in Italien ausbreitete. Bereits die Etrusker hatten ihre Verstorbenen in unterirdischen Grabkammern bestattet, während die Römer anfangs die Feuerbestattung bevorzugten und die Asche in Urnen beisetzten, die entweder in individuellen Grabmalen oder in großen Gemeinschaftsgräbern, sogenannten Kolumbarien, deponiert wurden. Sowohl Einzel- als auch Großgräber fanden sich entlang der Ausfallstraßen; noch heute kann ein beeindruckendes Ensemble besichtigt werden, wenn man die Via Appia entlangspaziert.

Feuerbestattung war für Juden keine Option; viele von ihnen lebten bereits vor der Zeitenwende in Rom, verstärkt jedoch nach der Katastrophe des Jüdischen Krieges zwischen 66 und 70 n. Chr. Sie bestatteten ihre Toten in großen, unterirdisch angelegten Grabkammern, die oft mehrstöckig angelegt waren und weit verzweigt waren. Auch die Christen praktizierten ausschließlich Körperbestattung, griffen jedoch zunächst auf die von ihren polytheistischen Nachbarn genutzten öffentlichen Friedhöfe vor den Stadtmauern zurück. Als im 2. Jahrhundert n. Chr. die Mehrheit der römischen Bevölkerung die Feuerbestattung zugunsten der Körperbestattung aufgab, wurde es dort zunehmend eng.

In der dicht bevölkerten Metropole Rom war Platz Mangelware, weshalb die unterirdische Bestattung wirtschaftlich sinnvoll war – trotz des Aufwands, der mit dem Aushöhlen des porösen und daher relativ leicht bearbeitbaren Tuffs verbunden war. Da man auch für die Hypogäen ein Grundstück erwerben und dessen Grenzen beim Aushöhlen der Stollen respektieren musste, gruben sich die Arbeiter, fossarii oder fossores, vermutlich Sklaven, im Laufe der Zeit immer tiefer in den Fels: bis zu fünf Ebenen, wobei die unterste etwa 20 Meter unter Straßenniveau lag. Die Stollen verbinden Grabkammern miteinander; von diesen zweigen an den Wänden rund einen halben Meter hohe und etwa anderthalb Meter lange Nischen ab, die loculi genannt werden. In den loculi wurden die Verstorbenen in Steinsärgen beigesetzt. Sie trugen ihre Kleidung und waren in Leinen eingewickelt. Nach dem Begräbnis wurde die Nische mit einer Steinplatte verschlossen, auf der Name, Alter und Sterbedatum des Verstorbenen vermerkt waren. Familien mit finanziellen Mitteln ließen sich private Räume reservieren, cubicula genannt, in denen Angehörige gemeinsam bestattet wurden. Viele dieser Privatgemächer für Verstorbene sind prächtig mit Wand- und Deckengemälden ausgestattet.

Auch Christen begannen seit dem 2. Jahrhundert zur Bestattung in den als cryptae bezeichneten unterirdischen Anlagen überzugehen, ohne dass dort strenge religiöse Exklusivität herrschte. In vielen Katakomben lagen Altgläubige neben Christen; hin und wieder kam es vor, dass Christen zuvor überwiegend von Polytheisten genutzte Anlagen im Laufe der Zeit übernahmen. Der Begriff „Katakomben“ leitet sich ab von dem Flurnamen catacumbas aus dem Griechischen katá kýmbas, was „bei den Höhlen“ bedeutet, für ein Grundstück an der Via Appia. Später – vermutlich erst im Mittelalter – setzte sich dieser Name für alle unterirdischen Grabanlagen der Stadt am Tiber durch.

Innerhalb des seit dem 3. Jahrhundert durch die Aurelianischen Mauern markierten Stadtgebiets waren Bestattungen grundsätzlich untersagt. Daher lagen alle Katakomben außerhalb dieser Mauern – im Uhrzeigersinn von Norden nach Süden – an der zur Adria führenden Via Salaria (Priscilla-Katakombe), an der Via Nomentana (Agnes-Katakombe), an der Via Labicana (Katakombe der Heiligen Marcellinus und Petrus) sowie an der Via Appia (Sebastian-Katakombe, Calixtus-Katakombe und Domitilla-Katakombe). Den frühen Christen dienten diese Katakomben ausschließlich für Begräbniszwecke und nicht als Orte des Kultes, auch nicht während Zeiten der Verfolgung. Es ist denkbar, dass man sich für Begräbnisfeiern in die unterirdischen Gänge zurückzog, nachdem Kaiser Valerian 257 n. Chr. ein Versammlungsverbot für Christen erlassen hatte und ihnen die Nutzung öffentlicher Friedhöfe untersagt wurde.

Das Leben in den Katakomben nahm erst im 4. Jahrhundert richtig Fahrt auf, als der Märtyrer- und Heiligenkult blühte und überall im Untergrund Funde gemacht wurden. Die inzwischen wohlhabende Kirche ließ die unterirdischen Grabanlagen prächtig ausgestalten und brachte überall Inschriften an, um den Pilgerströmen den Weg zu weisen.

Natürlich stellt sich die Frage, ob alle Christen denselben Mut und Gottvertrauen wie Perpetua und Felicitas hatten, die 203 n. Chr. im Amphitheater von Karthago ihr Leben ließen. Hatte denn niemand Angst, als Verfolger Christen aus ihren Häusern holten? Bekannten sich alle Gläubigen vor dem Richterstuhl offen zu ihrem Glauben? Gab es niemanden, der heilige Schriften auslieferte, als dies von den Behörden gefordert wurde? Natürlich waren viele voller Furcht; etliche wankten auch in ihrem Glauben. Manche fielen ganz vom christlichen Glauben ab; andere trafen sich offensichtlich nur heimlich in kleinen Gruppen.

Tertullian, ein Autor zahlreicher christlicher Streitschriften an der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert, beklagt in einer seiner Schriften, dass viele Christen nur „mit Zittern und Zagen“ zum Gottesdienst kamen, der üblicherweise in den Hinterzimmern von Privathäusern stattfand und nicht in prunkvollen Kirchen. Das Pamphlet trägt den vielsagenden Titel De fuga in persecutione („Über die Flucht in der Verfolgung“). Diese Brüder und Schwestern machten sich möglichst unauffällig in kleinen Gruppen auf den Weg und achteten darauf, dass sie dabei nicht beobachtet wurden. Tertullian selbst hatte das Vertrauen darauf, dass „Gott der Herr über allem ist“. Dennoch fehlte offenbar vielen seiner Glaubensgenossen – einschließlich etlicher Würdenträger – diese Stärke im Glauben.