Wie Geheimdienste mit Schwurbel-Prosa und Sockenpuppen die Rechtsstaatlichkeit unterlaufen
„Wie Satire anmutenden Schwurbel-Prosa … “ – Eine Aussage, die seinerzeit die Frankfurter Allgemeine Zeitung über ein Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgericht gefällt hat. Die „Schwurbelpraxis“ von Behörden dürfte ohnehin jeden Menschen schon mal untergekommen sein. Regelrecht grotesk anmutende Urteile oder Beschlüsse lassen schon seit vielen Jahren das Niveau des Rechtsstaates immer weiter sinken. – Aber Halt!
Warum Schwurbel-Prosa und Sockenpuppen gut zu Geheimdiensten passen
Solche Aussagen waren vielleicht früher mal mit der Meinungsfreiheit gedeckt, aber heute stellt es womöglich eine „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ und zugleich Beginn der Operation Sockenpuppe dar. Wie das genau zu verstehen sei: Das kann das Bundesamt für Verfassungsschutz am Besten selbst erklären.
„Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ – Und der fehlende Bestimmtheitsgrundsatz?
>>Bundesamt für Verfassungsschutz<<
„Demokratische Entscheidungsprozesse und die entsprechenden Institutionen von Legislative, Exekutive und Judikative werden in sicherheitsgefährdender Art und Weise delegitimiert und verächtlich gemacht. … Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat daher einen neuen Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ eingerichtet. Innerhalb dieses Bereichs wurde ein bundesweites Sammelbeobachtungsobjekt „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates“ eingerichtet, dem die diesbezüglich relevanten Akteure zugeordnet und nachrichtendienstlich bearbeitet werden.“
Schwurbel-Prosa des Geheimdienstes –„Legislative, Exekutive und Judikative werden in sicherheitsgefährdender Art und Weise delegitimiert“
Diese Linie des Verfassungsschutzes wird schon seit länger Zeit verfolgt. Schon vor vielen Jahren hat die Behörde einfach mal so festgelegt: Zuviel Kritik an staatlichen Institutionen soll irgendwie staatsgefährdend sein. Dabei hat sich der Staat in weiten Teilen faktisch schon selbst aufgelöst: Viele staatliche Kompetenzen – inklusive des Haushaltsrechts – wurden an Europäische Union, Nato oder irgendwelchen UN-Organisationen praktisch abgegeben. Die Parlamente setzen in großen Teilen nur irgendwelche EU-Verordnungen in nationales Recht um. Eigentlich handelt es sich dabei eher um behördlichen – und keine parlamentarischen – Aufgaben.
„Delegitimierung des Staates“ – Warum winkt der Deutsche Bundestag überwiegend EU-Verordnungen durch?
Normalerweise hätte es – nach Willen des Grundgesetzes – darüber eine Volksabstimmung geben müssen. Schließlich ist die Rolle der Parteien laut Grundgesetz eingeschränkt: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ – Aber über die Parteilisten können sie maßgeblich die einzelnen Abgeordneten im Bundestag mitbestimmen. Der Volkswille wurde auf diese Weise marginalisiert, obwohl Artikel 20 etwas ganz anderes festgelegt hat: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ – Doch wer diese offensichtlichen Missstände kritisiert, derjenige läuft Gefahr zum „Staatsfeind“ abgestempelt zu werden. Allerdings ist keine greifbare Definition über „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ jemals getätigt worden.
Schwurbel-Prosa im Rechtsstaat definiert: „Bestimmtheitsgebot – Teil des Rechtsstaatsprinzips“
>>Bundeszentrale für politische Bildung<<
„Bestimmtheitsgebot – Teil des Rechtsstaatsprinzips. Es besagt, dass Gesetze und Verwaltungsakte (VA) so klar und bestimmt formuliert sein müssen, dass der Bürger erkennen kann, was von ihm erwartet wird. Gesetze, die gegen das B. verstoßen, sind theoretisch verfassungswidrig.“
„Gesetze und Verwaltungsakte (VA) so klar und bestimmt formuliert sein müssen“
Sicherlich dürfte es in weiten Teilen des Verfassungsschutzes selbst darüber Klarheit herrschen, dass die Behörde nur für politische Zwecke instrumentalisiert wird. Trotzdem wurde die Operation Sockenpuppe gestartet. Aber es handelt sich dabei um kein echte Operation, sondern nur um eine allgemeine Vorgehensweise.
„Sockenpuppe“ – „“Sie schaffen so Legionen von Internet-Persönlichkeiten“
>>Global Hack von Marc Goodman (Buch) <<
„Sie schaffen so Legionen von Internet-Persönlichkeiten, das sind fiktive Accountinhaber, und zwar vollautomatisch. Das geht so leicht und billig, dass mit betrügerischer Absicht hunderttausende nichtexistente Identitäten das Licht des Internets erblicken. … Schon hat die Sockenpuppe einen Namen, ein Geburtsdatum, eine E-Mail-Adresse und ein Gesicht und damit alles, was man braucht, um sich einen Account bei Facebook, Twitter oder Instagram zu verschaffen. Als letzten Schritt verleiht man den Sockenpuppen noch ein bisschen vorgetäuschte Individualität, indem man ihnen per Script beibringt, Freundschaftsanfragen zu senden, die Tweets anderer Nutzer zu retweeten und willkürlich Likes über andere Seiten zu verstreuen. Ehe man sich’s versieht, hat man Tausende von Sockenpuppen unter seinem Kommando.“
„Als letzten Schritt verleiht man den Sockenpuppen noch ein bisschen vorgetäuschte Individualität“
Man muss sich darüber im Klaren sein: Weite Teile der sozialen Medien nur aus Sockenpuppen bestehen, deshalb sind diese Angaben dort immer mit äußerster Vorsicht zu genießen. Auf diese Weise können – quasi aus dem Nichts – große Internetphänomene entstehen. Dazu werden einfach die bestehenden Sockenpuppen aktiviert und diese Schicken einfach „ihre aufregende Neuigkeit“ in die Welt hinaus. Natürlich lassen sich auf diese Weise nicht alle Massenphänomene erklären, aber bestimmte wiederkehrenden Muster sind doch sehr verräterisch.
„Recherchenetzwerk Antischwurbler“ – „Wer oder was das Netzwerk ist, kam keine Antwort“
„An einer der Recherchen war ein vom „Tagesspiegel“ nicht näher erklärtes „Recherchenetzwerk Antischwurbler“ beteiligt. Auf eine WELT-Nachfrage, wer oder was das Netzwerk ist, kam keine Antwort. Nun heißt es: „Viele Leserinnen und Leser haben uns gefragt, wer sich dahinter verbirgt. Das Netzwerk ist eine Gruppe von derzeit acht Personen. … Mit der Zusammenarbeit handelte sich der „Tagesspiegel“ den Vorwurf ein, die Trennlinie zwischen Journalismus und Aktivismus zu überschreiten.“
„Recherchenetzwerk Antischwurbler“ – „Trennlinie zwischen Journalismus und Aktivismus zu überschreiten“
Dieses ominöse „Recherchenetzwerk Antischwurbler“ ist nahezu Zeitgleich mit der damals neuen Geheimdienstkategorie „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ aufgetaucht. Außerdem haben beide das identische „Feindbild“ gemein. In diesen geheimdienstlichen Kontext fügt sich auch der Artikel der besagten Zeitung ein: Natürlich haben sich schon viele Journalisten über ihre guten geheimdienstlichen Kontakten selbst gerühmt, was sogar schon Gegenstand von Gerichtsurteilen war. Aber die Begrifflichkeit „Schwurbler“ oder „Antischwurbler“ ist gar nicht so von Bedeutung: Vielmehr ist es interessant, welche Personen diese Begriffe in den dazu passenden Geheimdienstkontext des Verfassungsschutz verwenden. Auf diese Weise werden neue Schlagworte gesetzt, um missliebige Personen – aus Sicht des Geheimdienstes – zu diskreditieren.