Gefahrene Geschwindigkeiten auf Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbeschränkung

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Wissenschaftler der Bergischen Universität Wuppertal haben mit anonymisierten Daten aus Navigationsgeräten und aus Flottensoftware (sog. Floating Car Data) die Geschwindigkeiten analysiert, mit denen im April 2017 Autobahnabschnitte ohne Geschwindigkeitsbegrenzung befahren wurden. Die Analyse soll helfen, die Auswirkungen eines generellen Tempolimits auf deutschen Autobahnen bestimmen zu können.

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Von Martin Randelhoff

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Für 20,8 % des deutschen Autobahnnetzes war 2015 ein statisches Tempolimit (dauerhaft oder temporär) angeordnet, 6,2 % sind mit einer Verkehrsbeeinflussungsanlage ausgestattet, die unter günstigen Verkehrsbedingungen kein Tempolimit anzeigt und 2,6 % mit einer Verkehrsbeeinflussungsanlage, die immer ein Tempolimit anzeigt (Stand jeweils 2015). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass auf 70,4 % des deutschen Autobahnnetzes keine Geschwindigkeitsbeschränkung gilt (Baustellen ausgenommen).

Die in der Analyse verwendeten Floating Car-Daten umfassen Positionsdaten, die mit der exakten Zeit, der gefahrenen Geschwindigkeit, der Richtung sowie einer Fahrzeug-ID gespeichert werden.3 Das betrachtete Autobahnnetz umfasst die Netzteile, auf denen keine Geschwindigkeitsbegrenzung angeordnet war. Das Netz wird in einzelne Segmente mit einer Maximallänge von 100 Metern zerlegt, insgesamt 185.799 Segmente.3 Aufgrund der nur geringen Beeinflussung der Verkehrslage durch Wetterbedingungen und Ferien wurde der April 2017 für die Analyse gewählt. Informationen zu Baustellen lagen nicht vor, sodass der Datensatz nicht um temporäre Geschwindigkeitsbeschränkungen aufgrund von Bautätigkeiten bereinigt werden konnte. Insgesamt wurden 629.252 einzelne Pkw identifiziert, die im April 2017 auf Autobahnabschnitten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung unterwegs waren.3

Im Rahmen der Analyse wurden zum einen die Geschwindigkeiten aller Fahrzeuge auf den einzelnen Netzsegmenten betrachtet und zum anderen die Maximal- und Durchschnittsgeschwindigkeiten einzelner Fahrzeuge auf Autobahnabschnitten ohne Tempolimit.

Netzsegmente

Für die einzelnen Netzsegmente (Maximallänge 100 Meter) wurde die Durchschnittsgeschwindigkeit in Form des harmonischen Mittels6 der gemeldeten Geschwindigkeit aller Fahrzeuge in dem jeweiligen Segment ermittelt. Wenn mehr als ein Datenpunkt pro Fahrzeug vorhanden ist, d.h. ein Fahrzeug ein Netzsegment mehrmals durchfahren hat, wird die durchschnittliche Geschwindigkeit des Fahrzeugs auf dem jeweiligen Netzsegment berücksichtigt.

Die Durchschnittsgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnabschnitten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung lässt sich in zwei Gruppen teilen: eine innerhalb der Ballungsräume und eine in ländlichen Räumen. Etwa 75 % aller Segmente weisen trotz fehlender Geschwindigkeitslimitierung eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 130 km/h oder weniger auf. Nur einige Autobahnen, die Großstädte miteinander verbinden und überwiegend in ländlichen Gebieten verlaufen (z. B. Ulm – München, Berlin – Rostock) weisen eine höhere Durchschnittsgeschwindigkeit als 130 km/h auf. Fernpendler, die eine höhere Durchschnittsgeschwindigkeit fahren, dürften hier einen größeren Anteil am Verkehrsaufkommen stellen. Zudem dürfte die Verkehrsstärke seltener die Kapazitätsgrenze erreichen (stockender Verkehr, Stau).

Neben der Durchschnittsgeschwindigkeit sind die Geschwindigkeitsspitzen von Belang. Hierfür werden aus den fahrzeugbezogenen Geschwindigkeitsmeldungen sogenannte Perzentile generiert. Dafür werden alle Geschwindigkeiten in aufsteigender Reihenfolge sortiert. Zur Bestimmung des unteren 25 %-Perzentils wird bspw. die Geschwindigkeit aus der Liste entnommen, die von 25 % der Pkw im jeweiligen Segment nicht überschritten wird. Für die Bestimmung des oberen 10 %-Perzentils wird entsprechend der Geschwindigkeitswert gewählt, der von 90 % der Pkw im jeweiligen Segment nicht überschritten wird.

Es zeigt sich, dass die maximal gefahrenen Geschwindigkeiten auf Autobahnsegmenten ohne Geschwindigkeitsbeschränkung in ländlichen Räumen signifikant höher liegen als in Ballungsräumen. Die vergleichsweisen kurzen Distanzen, der Charakter einer Autobahn in Ballungsräumen mit engeren Abständen zwischen Zu- und Abfahrten, die höhere Verkehrsstärke, etc. lassen das Fahren mit hoher Geschwindigkeit nur bedingt zu.

Es fällt auf, dass dass die empfohlene Geschwindigkeit von 130 km/h auch auf Autobahnabschnitten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung im Durchschnitt selten überschritten wird. Etwa 74 % der 100 m-Autobahnsegmente ohne Geschwindigkeitsbegrenzung weisen eine reale Fahrgeschwindigkeit von weniger als 130 km/h auf. Nur bei 1 % der betrachteten Segmente wird mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 140 km/h gefahren.

Gleichzeitig sind auf den gleichen Autobahnsegmenten signifikant höhere Maximalgeschwindigkeiten zu beobachten. Die Durchschnitts- und Maximalwerte der einzelnen Segmente geben jedoch nur Aufschluss über die räumliche Verteilung der gefahrenen Geschwindigkeiten und nicht über das Fahrverhalten der einzelnen Verkehrsteilnehmer*innen.

Fahrzeugebene

Betrachtet man einzelne Fahrzeuge, zeigt sich, dass etwa 55 % der identifizierten 629.252 Pkw bei ihrer Fahrt in Autobahnabschnitten ohne Tempolimit eine Maximalgeschwindigkeit von über 140 km/h erreicht haben. Dies bedeutet, dass ein Großteil der Fahrzeugführer*innen zumindest einen Teil ihrer Fahrt in Autobahnabschnitten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung mit einer Geschwindigkeit über 130 km/h zurücklegt. Die meisten Fahrzeuge fahren jedoch nicht dauerhaft schneller als 130 km/h, etwa 30 % erreichen die Richtgeschwindigkeit aus z.B. verkehrsbedingten Gründen nicht.

Betrachtet man jede einzelne Fahrt der einzelnen Fahrzeuge auf Autobahnsegmenten ohne Tempolimit ist bei 21 % der Fahrzeuge eine Durchschnittsgeschwindigkeit über 130 km/h zu beobachten, nur 9 % der Fahrzeuge fahren im Schnitt schneller als 140 km/h. Der Großteil der Autofahrer*innen schöpft folglich die zulässige Geschwindigkeit nicht voll aus.

Wieso das Ganze?

Die durchgeführte Auswertung hat nicht den Zweck, Pro und Contra eines allgemeinen Tempolimits auf deutschen Autobahnen zu diskutieren. Vielmehr soll sie wichtige methodische Hinweise für eine Wirkungsabschätzung und Hinweise für die Interpretation statistischer Analysen geben.

Zum einen zeigt sich, dass eine Geschwindigkeitsverteilung von geschwindigkeitsbeschränkten Abschnitten (120 km/h) auf geschwindigkeitsunbeschränkte Abschnitte (z.B. UBA (2020): Klimaschutz durch Tempolimit: Wirkung eines generellen Tempolimits auf Bundesautobahnen auf die Treibhausgasemissionen) nur bedingt aussagekräftig ist, da es aufgrund der äußeren Umstände (Lage des Autobahnabschnitts, Verkehrsstärke, etc.) eine hohe Varianz der gefahrenen Geschwindigkeiten im Netz gibt. Zum anderen zeigen die Häufigkeitsverteilungen der Durchschnittsgeschwindigkeiten, dass die Auswirkungen eines allgemeinen Tempolimits auf die CO2-Emissionen womöglich geringer sein könnten, da auch auf geschwindigkeitsunbeschränkten Autobahnabschnitten die empfohlene Geschwindigkeit von 130 km/h im Durchschnitt selten überschritten wird. Gleichwohl fährt der Großteil der betrachteten Fahrzeuge zumindest abschnittsweise schneller als 130 km/h. Es ist daher von großer Bedeutung, dass für eine Wirkungsanalyse eine Auswertung auf Ebene der einzelnen Fahrten erfolgt und nicht nur kumulative Ergebnisse betrachtet werden. Die aufwändigere Analyemethode verspricht signifikant bessere Ergebnisse.

Weitere Analysen nach der Jahreszeit bzw. Tageszeit und ein Vergleich mit TomTom-Daten, die 2019 durch ZEIT Online veröffentlicht wurden, können dem Arbeitspapier direkt entnommen werden.

 


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