Freies Android: Das kann das Betriebssystem /e/
Die französische e Foundation möchte ein Android ohne Google bieten – und zwar für Alltagsnutzer*innen ohne Fachwissen. Erste Smartphones sind schon auf dem Markt. Wir haben das freie Betriebsystem /e/ ausprobiert.
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Von Christoph Ranft
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Wer ein Smartphone im Handel kauft, bekommt nicht nur ein technisches Gerät, sondern auch ein vorinstalliertes Betriebssystem. In der Regel wählt man zwischen Googles Android und Apples iOS. In beiden Fällen ist die Software proprietär, das bedeutet, die beiden Firmen legen hinter verschlossenen Türen die Funktionen und Grenzen der Technik fest. Im Gebrauch senden ihnen die Geräte viele Informationen über die Nutzer*innen.
Während Apple seine Software grundsätzlich so abriegelt, dass niemand sie ohne Weiteres einsehen kann, ist Googles Android im Kern quelloffen (Open Source). Jede*r darf den zugrundeliegenden Code übernehmen und weiterentwickeln. Auf diese Art sind einige freie Android-Systeme entstanden. Sie gewähren Nutzer*innen mehr Freiheit, zum Beispiel können sie ihre Handys ganz ohne Google-Dienste einrichten.
Auf vielen Android-Geräten kann man das vorinstallierte Betriebssystem durch ein anderes ersetzen – das ist allerdings nicht ganz ungefährlich. Beim Austausch der Software (im Jargon “Flashen”) riskiert man als Anfänger*in, sein Handy für immer lahmzulegen.
/e/ – Google-freies Android für alle
Für alle, die ein freies Android nutzen möchten, sich das Flashen aber nicht zutrauen, bietet die französische e Foundation eine Alternative. Bei dem angeschlossenen Unternehmen eSolutions kann man ein Handy mit ausschließlich quelloffener Software kaufen.
Das Betriebssystem /e/ entwickelt die Stiftung selbst. Es ist eine abgewandelte Version des Android-basierten freien Systems LineageOS. Bislang gibt es die Software als Beta-Version, die erste fertige Version soll noch dieses Jahr erscheinen.
/e/ gibt es außerdem kostenlos zur Selbstinstallation für knapp 100 verschiedene Smartphone-Modelle. In Zukunft soll es auch möglich sein, sein eigenes Gerät für die Installation einzuschicken.
Die e Foundation wurde 2018 von dem französischen Entwickler Gaël Duval gegründet, der zuvor an Linux-Projekten arbeitete. Sie finanziert sich größtenteils über Spenden. Einnahmen bringen außerdem der Verkauf von Smartphones mit vorinstalliertem /e/ sowie kostenpflichtiger Cloud-Speicherplatz.
Ziel der Stiftung ist ein datensicheres, vollständig „entgoogletes“ Android, das für Alltagsnutzer*innen leicht zu bedienen ist. Neben 21 fest angestellten Mitarbeiter*innen helfen freie Entwickler*innen in vielen Ländern bei der Entwicklung des Betriebssystems.
Alle Funktionen, die normalerweise Daten an Google-Server senden, sind bei /e/ nach Angaben der Stiftung entweder entfernt oder deaktiviert. Dafür bietet /e/ Google-freie Alternativen.
Unser Test auf dem Fairphone
Das Flashen unseres Geräts mit Hilfe eines Linux-Computers funktioniert problemlos. Wir installieren die auf Android 9 basierende, neueste Version von /e/ für das Fairphone 3. Für jedes unterstützte Gerätemodell stellt die e Foundation eine Anleitung bereit.
So sieht /e/ aus
In schnellen 17 Sekunden ist das Fairphone hochgefahren. Und wie sieht /e/ nun aus? Sehr nach Android, wie man es kennt. Wische ich vom oberen Bildschirmrand nach unten, erscheinen wie gewohnt die Schnelleinstellungen. Unten befinden sich vier austauschbare Apps für den Schnellzugriff.
Wisch nach rechts. Es erscheint ein Wetter-Widget sowie eine Suchleiste. Die bringt mich nicht zu Google, sondern auf die Website der /e/-eigenen Suchmaschine Spot. Ich bin sicher, wer sich auf Android auskennt, kommt mit /e/ sofort zurecht.
Es gibt Apps mit den Namen Mail, Maps, Galerie, Kalender, Radio, Notizen und auch ein Browser-Icon. Ich frage bei /e/ nach, woher diese Programme kommen, und erfahre: Viele der vorinstallierten Apps sind Abwandlungen bekannter Open-Source-Software. Das Mail-Programm basiert auf K-9 Mail, die Foto-App auf OpenCamera, die Suchmaschine Spot ist eine Variante der freien Google-Alternative Searx.
Die Idee dahinter: Nutzer*innen sollen sich Apps nicht erst zusammensuchen müssen, sondern alles Wichtige gleich vorfinden, genau wie bei Google und Apple. Der Code sämtlicher bei /e/ vorinstallierten Apps ist öffentlich einsehbar.
Wer sich lieber komplett selbst ausstattet, bekommt auch eine /e/-Variante ohne vorinstallierte Apps.
Das bietet der App-Store
Spannend wird es bei der App-Installation, denn natürlich muss ich auf /e/ ohne den Google Play-Store auskommen. Viele Anbieter stellen ihre Apps als Direktdownload auf ihrer Webseite bereit, allerdings scheint mir das im Sinne einer möglichst einfachen Nutzung eher keine Lösung.
Ich finde, was ich erwartet habe: Es gibt einen vorinstallierten Store namens “Apps”. Dort entdecke ich nicht nur den Messenger Signal, sondern auch WhatsApp und Instagram. Aber nicht nur das – es gibt alles Mögliche. Ich suche die zehn beliebtesten Apps weltweit – alle verfügbar, einschließlich Facebook-Messenger und TikTok. Und die Google-Apps? Auch alle da. /e/ selbst ist also pro Datenschutz, lässt einem aber auch die Freiheit, diesen wieder zunichte zu machen.
Der Store “Apps” bietet außerdem eine Filterfunktion für quelloffene Apps und die Integration der App-Bewertungen von Exodus Privacy. Das Projekt analysiert Apps und listet die eingebauten Tracker und Berechtigungen auf.
Auf Grundlage der Exodus-Privacy-Ergebnisse gibt’s in “Apps” eine Punktebewertung, die allerdings nicht immer weiterhilft, zum Beispiel erreichen sowohl der verbraucherfreundliche App-Store F-Droid als auch die Facebook-App sechs von zehn Punkten. Das liegt daran, dass beide Apps zwar keine externen Tracker verwenden, dafür aber eine Reihe von Zugriffsberechtigungen verlangen. Heißt: Facebook kommt hier zu gut weg, F-Droid zu schlecht.
Wichtiger aber: Woher kommt “Apps” überhaupt? Die Infrastruktur hinter einem App-Store ist schließlich alles andere als trivial. In die Stores von Google und Apple laden Entwickler*innen ihre Apps selbst hoch, das F-Droid-Team baut die Apps direkt aus dem öffentlichen Code. Eine technisch sichere und rechtlich saubere eigene Lösung zu finden, ist für einen neuen Anbieter gar nicht so leicht.
/e/ teilt mir per Mail mit, die e Foundation habe die Store-App selbst entwickelt, der Inhalt komme aus dem App-Speicher cleanapk.org. Ich versuche, mehr darüber herauszufinden, doch auf cleanapk.org heißt es nur ungenau, die Apps würden entweder von Benutzer*innen eingereicht oder seien “an verschiedenen Orten im Internet” verfügbar.
Wer die Webseite betreibt oder wie sicher gestellt wird, dass keine schädlichen Apps in den Speicher gelangen, bleibt unklar. /e/ betont, nicht Besitzer des App-Speichers zu sein. In der jetzigen Form ist mir “Apps” noch zu unsicher, daher greife ich auf den F-Droid-Store und den Direkt-Download von Apps als apk-Dateien zurück.
Konto und Cloud bei /e/
Wer sein Smartphone mit Google nutzt, kann die eigenen Daten über ein verknüpftes Google-Konto leicht zwischen verschiedenen Geräten und Apps synchronisieren. Da /e/ ein vollwertiger Ersatz für Googles Android sein will, betreibt die e Foundation auch einen eigenen Cloud-Dienst.
Zusammen mit einem /e/-Konto wird das Handy ein „komplettes mobiles Ökosystem“, wie es auf der Website heißt. Anders als bei Google ist die Verknüpfung eines Kontos aber keine Pflicht.
Im /e/-Konto inbegriffen ist eine E-Mail-Adresse und ein Gigabyte Speicherplatz in der Cloud – für mehr muss man zahlen. 20 Gigabyte kosten bei /e/ 3,49 Euro im Monat, aufstocken kann man bis zu 256 Gigabyte.
Zum Vergleich: Auch der Google-Speicher ist bei größeren Datenmengen kostenpflichtig. Hier gibt es für zwei Euro monatlich 100 Gigabyte Speicherplatz, doch dafür liest Google theoretisch mit. Die Server der /e/ Cloud sind verschlüsselt und stehen in der Europäischen Union, eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der Cloud-Daten ist geplant.
Ein Komplett-Backup des Smartphones, um die eigenen Daten beispielsweise auf ein neues Gerät mitzunehmen, ist in der Entwicklung. Spätestens mit der ersten fertigen Version von /e/ soll die Funktion zur Verfügung stehen.
Die Synchronisation meiner Daten im /e/-Account klappt im Test gut. Kontakte, E-Mail, Kalender und Galerie werden automatisch mit meinem Online-Konto verbunden, bei Notizen und Aufgaben muss ich die Synchronisationsfunktion zuerst in den Einstellungen aktivieren.
Fazit: Ein sehr gutes Beta
Durch die Korrespondenz mit den Sprecher*innen von /e/ wird mir noch einmal deutlich, was ich schon vermutet habe: Die Loslösung des Betriebssystems von Google ist ein Haufen Arbeit. Die Beta-Version ist bereits in großen Teilen Google-frei, aber noch nicht komplett. Apps, die für ihren Betrieb normalerweise auf die Google-Play-Dienste zurückgreifen, laufen laut Angaben der Stiftung auf /e/ mit microG, einer quelloffenen, trackerfreien Variante der Google-Play-Dienste. In manchen Fällen werden zurzeit noch Google-Server gebraucht, beispielsweise für die Push-Nachrichten einiger Apps – allerdings werden übermittelte Daten laut /e/ dabei anonymisiert. Die System-Updates für /e/ kommen wie bei Googles Android automatisch übers Internet. Für genaue Angaben zu Upgrades der verschiedenen Geräte (beispielsweise von Android 9 zu Android 10) ist es momentan noch zu früh – erst einmal soll die erste fertige Version von /e/ veröffentlicht werden. Obwohl Expert*innen den aktuellen Stand des Betriebssystems kritisch diskutieren, finde ich: Die Entwickler*innen von /e/ sind in ihrem Bemühen um ein Google-freies, datensparsames Android für alle schon ziemlich weit gekommen. Einziger Wermutstropfen ist der selbstgebaute App-Store – hier sollte die e Foundation unbedingt eine sichere Lösung finden. Im Gebrauch überzeugt /e/ schon jetzt.
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