Finanzierung von Aufbau Ost & Strukturwandel: “Aber das fließt zu großen Teilen wieder in den Westen zurück”

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Aufbau Ost und der Strukturwandel infolge des angedachten Kohleausstiegs: Bei all diesen staatlichen Vorhaben darf die Gigantonomie im Zahlenspiel keinesfalls fehlen. Viele Milliarden – oder teilweise Billionen – werden da im schon mal Raum geworfen. Je höher die Summe, desto besser. Sogar eigens eine Steuer – der Solidaritätszuschlag – wurde dafür eingeführt. Dummerweise tauchen seriöse Zahlen darüber nur selten auf. Der Aufbau Ost und Strukturwandel sind deshalb vergleichbar, weil es auf demselben Gedankengängen aufbaut und weil die andere Seite der Bilanz völlig zu fehlen scheint.

“Die Ostdeutschen haben die Einheit selbst bezahlt”

>>Welt<<

„Die finanziellen Lasten der Wiedervereinigung sind keineswegs hauptsächlich vom Westen geschultert worden. „Wenn man genauer hinschaut, dann erkennt man, dass Ostdeutschland zu einem Großteil die Kosten der Einheit selbst getragen hat – und immer noch trägt“, sagt … Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) in der „Welt am Sonntag“. … widerspricht damit dem gängigen Eindruck, wonach der Westen die Kosten weitgehend allein zahle. Zwar hätten die alten Länder netto 1,4 Billionen Euro in den Osten transferiert. „Berücksichtigt man jedoch alle gesamtwirtschaftlichen Effekte, werden die Lasten der Wiedervereinigung überwiegend im Osten geschultert“, sagt … von der Universität Leipzig. Die Rechnung ist kompliziert, da es um mehr geht als nur um die Steuergelder, die vom reichen Westen in den armen Osten geflossen sind: Unter dem Strich haben rund 1,8 Millionen Menschen nach der Wende ihre alte Heimat verlassen und im Westen ihr Glück gesucht. Da es sich dabei meist um gut ausgebildete Arbeitskräfte handelte, erwirtschaften sie rund ein Viertel des Wirtschaftswachstums auf dem Territorium der alten Bundesrepublik. Grob überschlagen machten allein die Steuergelder der Ostdeutschen im Westen ein Drittel der Transferleistungen von 75 Milliarden Euro pro Jahr aus, rechnet … vor.“

“Unter dem Strich haben rund 1,8 Millionen Menschen nach der Wende ihre alte Heimat verlassen und im Westen ihr Glück gesucht”

Teilweise sind die Ost-Transferleistungen einfach im Westdeutschland geblieben. So manches Westdeusche-Unternehmen hat dabei augenscheinlich einem guten Schnitt gemacht, was die Kalibetriebe im Osten und die Konkurrenz – nur wenige Kilometer entfernt – recht eindrücklich gezeigt hat.

“Treuhand saniere mit Steuergeldern einen Westkonzern”

>>Der deutsche Goldrausch Die wahre Geschichte der Treuhand von Dirk Laabs (Buch) <<

“Die Treuhand hat das bei großen Geschäften übliche Paket geschnürt: Sie übernimmt die Verluste der Kalibetriebe im Osten, dazu noch die Altlasten und Altschulden. Die Anstalt hält 49 Prozent des mit K+S zu gründenden Konzerns und schießt eine Milliarde D-Mark für die Sanierung der Kaliwerke zu. … Mit der Milliarde sollen auch die K+S-Werke im Westen modernisiert werden. K+S-West muss für die Fusion nichts zahlen, sondern nur die eigenen Werke einbringen. Umgehend wird der Vorwurf laut, die Treuhand saniere mit Steuergeldern einen Westkonzern. Berichte tauchen auf, dass K+S den Schacht in Bischofferode schließen will, weil dort Salz gefördert wird, das nur die Konkurrenz von K+S auf dem Düngemittelmarkt braucht. Trotzdem stehen die Treuhandführung, der Verwaltungsrat, der Bundestagsausschuss weiterhin hinter der Fusion.”

“Mit der Milliarde sollen auch die K+S-Werke im Westen modernisiert werden”

Es gibt noch andere Beispiele aus ganz anderen Wirtschaftssektoren, wo es durchaus vergleichbar abgelaufen ist.

“Die Treuhand wertvolles DDR-Vermögen zu Ramschpreisen verscherbelt”

>>Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen von Ulrike Herrmann (Buch) <<

“Es schien kaum zu glauben, dass die ostdeutschen Firmen und Grundstücke weniger als nichts wert gewesen sein sollten. Hartnäckig hielt sich der Verdacht, dass die Treuhand wertvolles DDR-Vermögen zu Ramschpreisen verscherbelt haben könnte. Der Bundestag setzte zwei Untersuchungsausschüsse ein, um die Arbeit der Treuhand zu durchleuchten. Auch der Bundesrechnungshof widmete sich der Treuhand und kritisierte unter anderem, dass man die DDR-Banken zu Schleuderpreisen an westdeutsche Kreditinstitute verkauft hatte. So erwarb die Deutsche Bank einen Teil der ehemaligen Deutschen Kreditbank für nur 310 Millionen D-Mark – und bekam dafür 112 Niederlassungen. »Ein unangemessen niedriger Kaufpreis«, wie der Bundesrechnungshof beanstandete. Betrug, Korruption und Insidergeschäfte waren in der Treuhand kaum zu verhindern, weil niemand wirklich überwachte, was die 4 000 Mitarbeiter tagtäglich so entschieden.”

“Betrug, Korruption und Insidergeschäfte waren in der Treuhand kaum zu verhindern, weil niemand wirklich überwachte”

Im Endeffekt lief in der Praxis der “Aufbau Ost” auf eine “Großsanierung West” hinaus. Tatsächlich steckte die damalige West-BRD etwa seit der Ölkrise der 1970er Jahre selbst in einer anhaltenden Wirtschaftskrise fest. Die Massenarbeitslosigkeit und Inflation hatten sich als dauerhafte Probleme etabliert. Zwar haben unterschiedlichen West-BRD-Regierungen am Problem gearbeitet, aber eine richtige Lösung schien niemand zu kennen. Dann kam die Wiedervereinigung, welche scheinbar alle Probleme überdeckte. Zugleich setzte eine Art neue Umverteilung ein.

“So übernahm die Treuhand am 1. Juli 1990 mehr als 7800 Einzelbetriebe mit vier Millionen Beschäftigten”

>>Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert von Ulrich Herbert (Buch) <<

“So übernahm die Treuhand am 1. Juli 1990 mehr als 7800 Einzelbetriebe mit vier Millionen Beschäftigten. Ihr wurden zudem Grundflächen übereignet, die insgesamt etwa die Hälfte des Territoriums der DDR ausmachten. Die Treuhand sollte nun die Betriebe vorrangig privatisieren, gegebenenfalls bei der notwendigen Sanierung helfen und, sollten sich einzelne Unternehmen dennoch als nicht marktfähig erweisen, zur Not auch stilllegen. Ursprünglich hatte die Treuhand mit einem enormen Privatisierungsgewinn gerechnet – «der ganze Salat ist 600 Milliarden wert», hatte Rohwedder im Herbst 1990 geschätzt.”

“Ursprünglich hatte die Treuhand mit einem enormen Privatisierungsgewinn gerechnet”

Nun ja, Geld ist niemals “weg” – sondern für gewöhnlich hat es am Ende nur jemand anderes. Wie auch immer. Auch bei großangelegten Bauvorhaben beim sogenannten “Aufbau Ost” ist genauer Blick lohnenswert.

“Bauvorhaben” – “Aber das fließt zu großen Teilen wieder in den Westen zurück: über die Baufirmen, die von dort kommen”

>>Letzte Aufzeichnungen von Erich Honecker (Buch) <<

“Sie wussten 1990, was sie tun! Sie haben ja den Gewinn. Die Banken und Konzerne hatten Hochkonjunktur, die Ex-DDR wurde als Kolonie ausgeplündert. Hoffentlich erkennen die Massen in ganz Deutschland jetzt die Zeichen der Zeit. … Und dass die zahlen, die die großen Gewinne machen mit der DDR: die Westkonzerne und die Westbanken. Natürlich fließt viel Geld in den Osten, in neue Bauvorhaben und zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit. Aber das fließt zu großen Teilen wieder in den Westen zurück: über die Baufirmen, die von dort kommen, über die Supermarktketten und die dort angebotenen Westwaren, über die Bürokraten aus dem Westen, die überall in den Verwaltungen im Osten sitzen und Buschzulage kassieren.”

“Supermarktketten und die dort angebotenen Westwaren, über die Bürokraten aus dem Westen” – “Aber das fließt zu großen Teilen wieder in den Westen zurück

Sicherlich waren die “abgewickelten” DDR-Betriebe verschwunden, nur in diese Lücke sprangen häufig Westunternehmen hinein. All dies fällt praktisch beim Gigantonomie-Projekt “Aufbau Ost” hinten runter und bleibt bei der Berechnung unberücksichtigt. Indes sieht das Vorhaben des Strukturwandels beim angedachten Kohleausstieg kaum besser aus. Der Vergleich mit Baufirmen ist insofern interessant, weil das selbe Muster bei ICE-Strecke für die Lausitz zu beobachten ist.

ICE-Verbindungen: „Kritische Bestandsaufnahme und einen Prioritätenwechsel verhindert“

>>Sächsische.de<

„Sachsens Regierungschef strebt aber an, dass der Schnellzug nicht nur bis Görlitz verkehrt, sondern weiter nach Wroclaw oder Krakau. Die Idee für einen ICE nach Görlitz ist nicht ganz neu. Der Görlitzer Landrat Bernd Lange setzte sich vor Jahren bereits mit dem damaligen Zgorzelecer Landrat für ein solches Angebot ein. Seine Initiative blieb aber erfolglos.“

Abgehängte Lausitz – Schnellzug von Berlin nach Breslau

Letztendlich wird eine ICE-Verbindung von Berlin nach Wroclaw – sprich Breslau – gebaut. Die Baufirmen werden aller Wahrscheinlichkeit mitnichten aus der Lausitz kommen und nach der Fertigstellung wird der ICE – wie bei anderen Hochgeschwindigkeitsstrecken – nur sehr selten in Lausitz halten. Zwar mag das Projekt für die Lausitz gedacht sein, aber außer Baustellschmutz und Zuglärm wird nicht viel in der Lausitz hängen bleiben. Im Endeffekt ist es vermutlich eine Quersubvention für das Berliner Regierungsviertel, damit diese schneller mit dem Zug nach Wroclaw fahren können. Neue Ersatzarbeitsplätze sind hierbei nicht wirklich vorgesehen.

Lausitzer Kohle: „Arbeitsplätze für Zuliefererunternehmen“

>>Vorwärts<<

„Nach der Einigung zum Kohleausstieg hält sich der Jubel in der Lausitz in Grenzen. – Rund 8600 Arbeitsplätze hängen nach Angaben des Bundesverbandes Braunkohle an der Stromerzeugung und dem Kohleabbau in der Lausitz. In den Tagebauen vor Ort stecken die größten Braunkohle-Vorkommen in Deutschland. Hinzu kommen Arbeitsplätze für Zuliefererunternehmen sowie die Industrie, die von den Kraftwerken vor Ort abhängig ist, weil sie beispielsweise die produzierte Abwärme für die eigene Produktion nutzt. Sprembergs Bürgermeisterin Christine Herntier – dort steht das Kraftwerk Schwarze Pumpe – spricht in anderen Medien von „dem Industriezweig“ in der Lausitz – weitere 20.000 Jobs würden von dem fossilen Energieträger abhängen.“

„20.000 Jobs würden von dem fossilen Energieträger abhängen“ 

Statt sich auf ein Zahlenspiel der Gigantonomie beim Thema Aufbau Ost oder Strukturwandel einzulassen, sollte lieber jedes einzelne Projekt untersucht werden, um am Ende die Frage zu beantworten: Wie viel davon bleibt wirklich in der Lausitz hängen?