Energiesicherheit und fossile Abhängigkeit des deutschen / europäischen Verkehrssektors
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine verändert die europäische Sicherheitsarchitektur maßgeblich. Ein wichtiges Element ist die Versorgungssicherheit mit Energie, die aktuell nur bedingt gegeben ist. Die Abhängigkeit Europas von Energieimporten ist sehr hoch. Etwa 90 % des in der EU benötigten Erdgas werden importiert, wobei auf Russland 2021 ein Anteil von 45,3 % entfiel.1 Die Abhängigkeitsbeziehungen sind aber auch bei den fossilen Energieträgern Erdöl und Kohle sehr hoch. 27 % der Ölimporte in die EU stammen aus Russland, bei Kohle sind es 46 %.2 Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass die deutschen und europäischen Energiebezüge aus Russland ein problematisches Abhängigkeitsniveau erreicht haben, das die Versorgungssicherheit gefährdet. Dies gilt für den Gesamtbezug ebenso wie für die einzelnen Teilsektoren wie den Verkehr.
Der Verkehrssektor ist der Bereich mit der größten Abhängigkeit von einem fossilen Energieträger, der Anteil regenerativer Energie ist mit 5,6 % (2019) gering.3 Von insgesamt 36.035 GWh Endenergieverbrauch erneuerbarer Energien im Verkehrssektor stammten 22.120 GWh aus Biodiesel (61 %), 8.360 GWh aus Bioethanol (23 %) und 4.874 GWh aus erneuerbarem Strom (14 %, berechnet mit dem Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch des jeweiligen Jahres).4 Der mit weitem Abstand wichtigste Energieträger im Verkehrsbereich ist jedoch das fossile Rohöl.
Die Energieimportabhängigkeit Deutschlands lag 2019 bei Rohöl bei 98,27 % und bei Öl und Mineralölerzeugnissen (ohne Biokraftstoffanteil) bei 97,34 %. Auch auf europäischer Ebene ist die Importabhängigkeit sehr hoch und steigt weiter an.
Aus einer hohen Energieimportabhängigkeit müssen nicht zwingend unbeherrschbare Versorgungsrisiken entstehen, wenn durch eine hinreichende Diversifikation spezifische Preis- und Mengenrisiken, die mit der Einfuhr von Primärenergieträgern einhergehen, vermieden werden können. Im Gegensatz zum deutschen Erdgasbezug können im aus vielen Einzelexporteuren bestehenden Öl-Oligopol Lieferausfälle eines Förderstaates durch einen anderen Lieferstaat einfacher ausgeglichen werden. Die Pipelineinfrastruktur ist im Gegensatz zum Erdgasnetz auch auf einen West-Ost-Betrieb ausgelegt, die Importterminals für Rohöl und Mineralölprodukte hinreichend dimensioniert.
Die Herkunftsländer des nach Deutschland importierten Rohöls setzen sich aus Ländern mit einer vergleichsweise hohen politischen Stabilität (Großbritannien, Norwegen, USA, Dänemark, Niederlande) und Regionen mit höheren geopolitischen Risiken zusammen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Erdölreserven global ungleich verteilt sind und die europäische Fördermenge kontinuierlich zurückgeht.
Der größte Teil der in Deutschland benötigten Mineralölprodukte wird in inländischen Raffinerien aus dem importierten Rohöl hergestellt. Der restliche Bedarf wird durch Importe von im Ausland hergestellten Produkten gedeckt, knapp ein Drittel der in Deutschland verbrauchten Mineralölprodukte kommen fertig produziert ins Land. Die Importe stammen zum Großteil aus der Europäischen Union, eine größere Menge Dieselkraftstoff jedoch auch aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), primär Russland.
Bei den Importen aus der Europäischen Union ist zu beachten, dass aufgrund der hohen Importabhängigkeit der Europäischen Union indirekt Abhängigkeitsverhältnisse bspw. von russischen Rohölimporten bestehen.
Fazit
Die Energieimportabhängigkeit der Europäischen Union und Deutschlands ist hoch, der für den Verkehr wichtige Energieträger Rohöl ist hierbei keine Ausnahme. Im Gegensatz zu Erdgas bestehen bei Rohöl aktuell weniger Mengenrisiken, da die Zahl der potentiellen Lieferländer größer und die Importinfrastruktur vorhanden ist. Mengenausfälle können einfacher kompensiert werden. Zu beachten ist, dass beherrschbare Mengenrisiken mit mitunter eskalierenden Preisrisiken einhergehen können, da die Preisbildung am globalen Erdölmarkt von lokalen Ereignissen stark beeinflusst werden kann. Zur Stärkung der Resilienz der europäischen und deutschen Wirtschaft, der Sicherung des sozialen Gefüges und zur Vorsorge gegenüber den negativen Effekten stark steigender Energiepreise sollte die Energieimportabhängigkeit rasch reduziert werden. Dies kann durch einen raschen Ausbau erneuerbaren Energien und eine Erhöhung des Anteils regenerativer Energien im Verkehrssektor geschehen. Ein wichtiges Element ist hierbei die Elektrifizierung von Pkw und Nutzfahrzeugen sowie das flächendeckende Ausrollen bidirektionaler Ladeinfrastruktur zur Kopplung des Strom- und Verkehrssektors bei gleichzeitig massiver Steigerung der Energieeffizienz. Um in diesem Rahmen neuen Abhängigkeiten zu vermeiden bzw. deren Auswirkung zu begrenzen, ist auf einen sparsamen Umgang mit Ressourcen, eine hohe lokale Recyclingquote und eine diversifizierte Rohstoffbezugsstrategie zu achten.
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