Überwachung: „Es geht um die Interessen von Staaten“ – Warum Kriminalität & Terror keine Rolle spielen?

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Zitat: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“ – Der langjährige Politiker Egon Bahr dürfte gewusst haben, wovon er sprach.

„Es geht um die Interessen von Staaten“ – „Merken Sie sich das“ 

Eine steile These dazu lautet: Durch mehr Überwachungsmaßnahmen soll Kriminalität bekämpft werden. Doch mit diesem Datensätzen lassen sich noch ganz andere Dinge anstellen und auch die die „Interessen von Staaten“ können noch etwas genauer präzisiert werden: Vermutlich dreht es sich eher um Interessen von Einzelpersonen in Machtpositionen herum: Das lässt sich an ganz konkreten Beispielen festmachen.

„Polizist soll Dienstgeheimnisse an Bautzener Autohändler verraten haben“

>>Radio Lausitz<<

„Polizist soll Dienstgeheimnisse an Bautzener Autohändler verraten haben – Sein Freund wollte wissen, wer bei seiner ehemaligen Freundin auf dem Privatgrundstück in Neukirch zu Besuch war und wann der Vernehmungstermin seiner Ex stattfinden sollte. … Er habe immer gewusst, wer bei ihr war und wo sie sich aufhielt. So bekam sie nach der Vernehmung in Bischofswerda eine SMS von ihm. Sie wunderte sich, was er alles wusste. Es musste eine undichte Stelle bei der Polizei geben. Als sie diese Vermutung im Revier in Bautzen äußerte, sei ihr geraten worden, sie solle vorsichtig sein mit ihren Aussagen, es könnte schlecht für sie ausgehen.“

Polizei redet Klartext: „Sie solle vorsichtig sein mit ihren Aussagen, es könnte schlecht für sie ausgehen“

Dafür gibt es sogar intern einen Fachbegriff: LOVEINT – Das Wort setzt sich aus den englischen Wörtern HUMINT und SIGINT zusammen. Über derartigen Machtmissbrauch brauch sich also niemand wirklich wundern und nur sehr selten werden die Täter tatsächlich erwischt.

„LOVEINT“ – „Das Wort leitet sich von HUMINT und SIGINT ab“

>>Permanent Record: Meine Geschichte von Edward Snowden (Buch) <<

„Die Analysten, die das System missbrauchten, interessierten sich ohnehin weit weniger dafür, was es beruflich für sie leisten könnte, als vielmehr für seine privaten Möglichkeiten. Dies führte zu einer Praxis, die als LOVEINT bekannt wurde. Das Wort leitet sich von HUMINT und SIGINT ab und ist eine Perversion der Geheimdienstarbeit: Die Analysten benutzten die Programme der Behörde, um ihre derzeitigen und früheren Geliebten oder auch Objekte einer eher beiläufigen Zuneigung zu überwachen. Sie lasen deren E-Mails, hörten deren Telefongespräche ab und stalkten sie online. Die Mitarbeiter der NSA wussten eines ganz genau: Nur die dümmsten Analysten wurden irgendwann einmal auf frischer Tat ertappt.“

„Sie lasen deren E-Mails, hörten deren Telefongespräche ab und stalkten sie online“

Geheimdienstleute, Polizisten und viele Beamte dürfen auf sehr umfangreiche Datensätze zugreifen. Kontrollen sind selten und so sind allen Arten von Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Der einzelne Bürger hat kaum Möglichkeiten dagegen vorzugehen. Eine klassische „Akteneinsicht“ ist schlicht nicht vorgesehen. Es muss schon sehr viel passieren, damit sich überhaupt der rechtswidrige Datenzugriff beweisen lässt: Denn viele Beamte können über viele Jahre völlig schadlos ihr Unwesen treiben.

„Polizist fälschte 14 Drogengutachten“

>>Spiegel<<

„Polizist fälschte 14 Drogengutachten  – Ein Polizist aus dem baden-württembergischen Heidenheim hat gestanden, in 14 Fällen Drogengutachten gefälscht zu haben. … Mit Hilfe verfälschter Drogengutachten hat ein Polizist 14 Menschen ihre Führerscheine entziehen lassen. Am Freitag gestand der 38-Jährige vor dem Landgericht Ellwangen seine Taten. Zum Motiv machte er keine Angaben.“

„Mit Hilfe verfälschter Drogengutachten hat ein Polizist 14 Menschen ihre Führerscheine entziehen lassen“

Das Motiv lässt sich möglicherweise an anderen Fällen aufschlüsseln. – Vereinfacht: Je mehr vermeintliche „Straftaten“ aufgeklärt werden, desto schneller steigen sie die Karriereleister nach oben. Es winken also höhere Dienstgrade, mehr Geld und – ganz wichtig – jede Menge an Prestige.

„Wenn Polizisten Straftaten fälschen“

>>der Freitag<<

„Wenn Polizisten Straftaten fälschen – Drei Bundespolizisten sollen immer wieder Obdachlose willkürlich beschuldigt haben – um dann vermeintliche Erfolge vorweisen zu können und schneller Karriere zu machen … Der Gedanke ist schon schlimm: Polizisten machen Jagd auf Unschuldige, sie hängen wehrlosen Menschen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten an. Aber es kommt noch schlimmer: Sie tun es immer wieder, sie sind wie verrückt danach, weil es die Zahl der Ermittlungserfolge erhöht. Sie hoffen auf eine Beförderung.“

„Polizisten machen Jagd auf Unschuldige“ – „Hängen wehrlosen Menschen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten an“

Das Handeln erfolgt fast immer aus niederen Motiven heraus. Aber die eigentlich interessante Frage lautet: Was ist bei all diesem Fällen faktisch nie zu lesen? Eine offizielle Distanzierung von amtlichen Behördenstellen – wie das Innenministerium – oder der Gewerkschaft der Polizei oder anderen Beamten bleibt aus. Ansonsten wird fast bei jeden Fahrraddiebstahl eine Pressemitteilung herausgegeben, aber bei solchen Machenschaften scheint der berüchtigte Korpsgeist vorzuherrschen. Umkehrschluss: Kriminalität wird gutgeheißen, solange die „richtige Personengruppe“ eine Straftat begeht? Etwas Vergleichbares spiegelt auch der Fall „Anis Amri“ wider.

„Vier Wochen nach dem Weihnachts­marktattentat, flog das US-amerikanische Militär schwere Luftangriffe“

>>Deutscher Bundestag (PDF-Datei) <<

„Nach Ansicht der Fragesteller besteht auch Aufklärungsbedarf hinsichtlich möglicher Zusammenhänge amerikanischer Bombenangriffe in Libyen und den Vorgängen um Anis Amri. Im Januar 2017, vier Wochen nach dem Weihnachts­marktattentat, flog das US-amerikanische Militär schwere Luftangriffe auf zwei IS-Lager in Libyen. Dieser Angriff soll laut US-Medien auch den Kontaktper­sonen von Anis Amri beim Islamischen Staat gegolten haben (https://edition. cnn.com/2017/01/23/politics/us-libya-bombing-isis-berlin-attack/).“

„Es geht um die Interessen von Staaten“ – Warum Kriminalität & Terror als Akzeptabel gelten können?

Offenkundig wurde Anis Amri – zu Lebzeiten – mit geheimdienstlichen Mitteln überwacht, aber es ist dabei nie wirklich um die Bekämpfung von Kriminalität gegangen. Augenscheinlich hat er in Kontakt mit Terroristen gestanden und diese Datensätze wurden vermutlich für Luftangriffe in Libyen genutzt. Nach dieser bizarren „Geheimdienst-Logik“ muss der später begangene Terroranschlag also ein notwendiger Kollateralschaden gewesen sein? Wie dem auch immer sei. Jedenfalls nimmt das Geheimhaltungsinteresse für die eignen staatlichen Daten schon erstaunlich Züge an.

Warum Akten 120 Jahre gesperrt werden können

>>Frankfurter Rundschau<<

„Für das Landesamt für Verfassungsschutz waren die 120 Jahre aber offenbar gar nicht ungewöhnlich. Beuth spricht von „früher üblichen Einstufungsfristen von bis zu 120 Jahren“. Sie sei aus einem „umfassenden Schutzgedanken“ gefolgt, da nicht nur V-Leute des Verfassungsschutzes, sondern auch deren Kinder und Enkelkinder hätten geschützt werden sollen.“

„Üblichen Einstufungsfristen von bis zu 120 Jahren“

Bei 120 Jahren kommen rund fünf bis sechs Generationen zusammen, während gleichzeitig der Datenschutz für gewöhnliche Bürger verwehrt wird. Die ganze Argumentation mutet schon sehr konfus an. Zumindest theoretisch gibt es neben den Geheimhaltungsinteresse des Staates, auch ein gegenläufiges Interesse: Das öffentliches Interesse diverse Missstände aufzuklären wiegt genauso schwer, aber es wird praktisch so gut wie nie in der Rechtspraxis berücksichtigt.