“Ein Staat darf grundsätzlich nicht Partei ergreifen” – Die Bedeutung der Neutralitätspflicht in demokratischen Staaten

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Die Neutralitätspflicht spielt eine zentrale Rolle für das Vertrauen der Bürger in demokratische Institutionen. Diese gewährleistet, dass staatliche Organe unabhängig von politischen Strömungen handeln, wodurch die Gleichbehandlung aller Bürger sichergestellt wird. Dies fördert nicht nur die Akzeptanz von Entscheidungen, sondern schützt auch vor Willkür und Machtmissbrauch. Eine solche Pflicht ist essenziell, um die Integrität des demokratischen Prozesses zu bewahren und eine faire politische Debatte zu ermöglichen, in der verschiedene Meinungen und Perspektiven gehört und respektiert werden. Indem sie die Gleichheit vor dem Gesetz betont, schafft die Neutralitätspflicht einen Rahmen, der sowohl den Pluralismus als auch den sozialen Zusammenhalt in einer vielfältigen Gesellschaft unterstützt.

“Die Pflicht des Staats zur Unabhängigkeit und Neutralität ist keine belanglose Verpflichtung”

>>Eine Demokratie haben wir schon lange nicht mehr von Wolfgang J. Koschnick (Buch) <<

“Die Pflicht des Staats zur Unabhängigkeit und Neutralität ist keine belanglose Verpflichtung, bei der man sagen könnte: Es wäre ganz nett, wenn die eingehalten würde. Die Neutralitätspflicht ist eine der Fundamentalpflichten demokratischer und sogar vordemokratischer Staaten. Selbst Friedrich der Große hatte vor 300 Jahren schon relativ genaue Vorstellungen von der Neutralitätspflicht des Staates, die heute unter dem Druck des Lobbyismus nach und nach zu Grabe getragen wird. … Wenn ein Staat nicht einmal seine Neutralitätspflicht gegenüber jedermann erfüllt, ist er mit Sicherheit kein Rechtsstaat und eigentlich noch nicht einmal ein ordentlicher Staat. Ein Staat darf grundsätzlich nicht Partei ergreifen. Und wenn er Partei ist, ist er nicht Staat, und schon gar kein demokratischer Rechtsstaat, sondern ein diffuses Gebilde, das zur Beute von Interessengruppen und Konzernen geworden ist, eine demokratisch nur getarnte mafiöse Struktur.”

“Ein Staat darf grundsätzlich nicht Partei ergreifen”

Die Neutralitätspflicht ist nicht nur ein Prinzip, sondern auch eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren demokratischer Systeme. Sie trägt dazu bei, dass die unterschiedlichen Institutionen und Behörden ihre Aufgaben unter Wahrung von Objektivität und Unparteilichkeit wahrnehmen.

“Demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG vermögen Wahlen und Abstimmungen aber nur zu vermitteln, wenn sie frei sind”

>>Meinungsunfreiheit von Wolfgang Kubicki (Buch) <<

“Im Juni 2020 wies das Bundesverfassungsgericht Bundesinnenminister Horst Seehofer von der CSU in die Schranken. Seehofer hatte auf der Internetpräsenz seines Ministeriums ein Interview veröffentlicht, in dem er hart gegen die AfD austeilte und deren Gebaren unter anderem als »staatszersetzend« bezeichnete. Die Karlsruher Richter kamen in einem lesenswerten Urteil zum Schluss, dass Seehofer seine Neutralitätspflicht verletzt und unzulässig in das Recht der AfD auf chancengleiche Teilnahme am politischen Wettbewerb eingegriffen habe: Demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG vermögen Wahlen und Abstimmungen aber nur zu vermitteln, wenn sie frei sind. Dies setzt nicht nur voraus, dass der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck bleibt, sondern, auch, dass die Wähler­innen und Wähler ihr Urteil in einem freien und offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können.”

“Wähler ihr Urteil in einem freien und offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können”

In einem demokratischen Staat sind politische Auseinandersetzungen unvermeidlich; jedoch ist es der Respekt vor der Neutralität, der sicherstellt, dass diese Konflikte nicht zu einer Verzerrung von Gerechtigkeit und Fairness führen. Der Bürger kann darauf vertrauen, dass Entscheidungen nicht von persönlichen oder parteilichen Interessen beeinflusst werden, was wiederum das Fundament für eine konstruktive Bürgerbeteiligung und die politische Meinungsbildung legt.

“Staatliche Neutralitätspflicht, die jede Differenzierung nach Meinungsinhalten verbietet”

>>Grundrechte von Rolf Schmidt (Buch) <<

“Darüber hinaus enthält das Grundrecht aus Art. 5 I S. 2 Var. 1 GG neben seiner Funktion als Abwehrrecht die Garantiefunktion der staatlichen Unabhängigkeit (Institutsgarantie, s.o.). Wenn der Staat durch selektive Förderung lenkend und gestaltend in das Pressewesen eingreift, besteht die Gefahr, dass die geförderten Presseunternehmen ihre Neutralität gegenüber dem Staat ablegen, um ihre Aussichten auf künftige Förderungen nicht zu verschlechtern. Auch aus diesem Grund ist eine über die Etatlegitimierung hinausgehende formell-materielle Rechtsgrundlage zu fordern. Allerdings ist zu beachten, dass trotz Vorliegens einer entsprechenden Rechtsgrundlage staatliche Förderungen bestimmte Meinungen oder Tendenzen weder begünstigen noch benachteiligen dürfen. Das Grundrecht auf Pressefreiheit begründet im Subventionsrecht eine staatliche Neutralitätspflicht, die jede Differenzierung nach Meinungsinhalten verbietet. Daraus folgt zum einen ein subjektiver Abwehranspruch des übergangenen Presseunternehmens, der darauf gerichtet ist, die Subventionierung des Konkurrenten abzuwehren (sog. Konkurrentenabwehrklage). Zum anderen hat das übergangene Presseunternehmen einen Anspruch auf Gleichbehandlung.”

“Presseunternehmen einen Anspruch auf Gleichbehandlung”

Eine stark ausgeprägte Neutralitätspflicht stärkt darüber hinaus die Legitimität staatlicher Institutionen, denn sie fördert das Gefühl, dass diese Institutionen nicht nur Transmissionsriemen für die Interessen einer bestimmten Gruppe sind, sondern das Wohl aller Bürger im Blick haben, was auch einzelne Urteile aufzeigen.

“Meinungsbildungen und Wertungen seien subjektive Vorgänge” – “Für den Staat gelte daher eine Neutralitätspflicht im publizistischen Wettbewerb”

>>Die digitale Bevormundung von Joachim Steinhöfel (Buch) <<

“Das Oberlandesgericht Karlsruhe korrigierte die Vorinstanz in einer bedeutenden Grundsatzentscheidung vom 27.05.2020. Es stellte fest, dass der Faktencheck eine in der Abwägung der beteiligten Interessen nicht mehr hinzunehmende Herabsetzung der journalistischen Leistung der Klägerin darstelle. Dabei würden die Äußerungen von Correctiv als Prüferin und die Einträge einfacher Nutzer – wie der Klägerin – in ein Hierarchieverhältnis gestellt, das der besonderen Rechtfertigung bedarf, wenn es sich um Meinungen handelt. Im Wettbewerb der Meinungen fehle ein objektiver Maßstab für die Einteilung in »richtig« und »falsch«, »gut« oder »schlecht«; Meinungsbildungen und Wertungen seien subjektive Vorgänge. Für den Staat gelte daher eine Neutralitätspflicht im publizistischen Wettbewerb: Er darf nicht bestimmte Meinungen oder Tendenzen durch Förderung begünstigen oder benachteiligen. Der angesprochene, an der Lektüre oder gar am Teilen des Artikels auf Facebook potenziell interessierte Nutzer, mit der Bewertung von Correctiv als »Faktenprüferin« mit »teils falsch« konfrontiert, wird den so gewonnenen Blickwinkel an den Artikel der Klägerin ansetzen und mithin die von ihr angebotene Leistung zunächst mit verringerter Wertschätzung bedenken, da er an der journalistischen Leistung der Klägerin zweifeln kann. Dadurch können die Reichweite der Werbung und auch die Verbreitung des Artikels der Klägerin erheblich eingeschränkt werden; dies ist letztlich sogar eines der Ziele der Faktenprüfung. Diese Herabsetzung müsse die Klägerin bei einer Gesamtabwägung der beteiligten Interessen nicht hinnehmen.”

“Neutralitätspflicht” – “Er darf nicht bestimmte Meinungen oder Tendenzen durch Förderung begünstigen oder benachteiligen”

Diese Entwicklung verdeutlicht, dass die Neutralitätspflicht nicht als statisches Konzept betrachtet werden kann, vielmehr ist sie ein dynamisches Element, das sich an gesellschaftliche Veränderungen und neue Herausforderungen anpassen muss. In Zeiten zunehmender politischer Polarisierung ist es besonders wichtig, dass staatliche Institutionen die Neutralität konsequent wahren, um weiterhin als vertrauenswürdige Instanzen wahrgenommen zu werden und um den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu fördern. Die ständige Reflexion über die Neutralitätspflicht ist somit ein Schlüssel zur Stabilität und Kontinuität demokratischer Prozesse.