Direkte Demokratie & Widerstandsrecht: „Es müssten „alle Mittel der Normallage“ versagen“
„Wir schwören, uns nie von der Nationalversammlung zu trennen und uns, wo immer es die Umstände erfordern, wieder zu versammeln, bis die Verfassung des Reiches ausgearbeitet und auf solidem Fundament steht.“ – Die sinngemäße Übersetzung des Ballhausschwurs. In der Retrospektive stellt es einem wichtigen Schritt der Französischen Revolution und zugleich den Beginn des modernen Rechtsstaat dar. Bis auf weniger Ausnahme wurde der heutige Rechtsstaat – im eigentlichen Sinne – erst im 19. Jahrhundert erfunden. Natürlich hat es Vorläufer gegeben.
„Wo immer es die Umstände erfordern, wieder zu versammeln“
Die Französische Nationalversammlung trat bereits im 18. Jahrhundert zusammen. Auch die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika wurde ebenfalls in diesem Zeitraum – im Jahre 1776 – beschlossen. Beide „Unabhängigkeitsbewegungen“ haben sich gegenseitig beeinflusst und gehen – mehr oder minder – auf – vereinfacht – die selben Ursachen zurück: Die Regierungen beider Staaten – England und Frankreich – waren infolge des Siebenjährigen Krieges pleite und deshalb wurde die Steuerschraube angezogen. Dagegen regte sich Widerstand und dieser ist in Frankreich in der Französischen Revolution gemündet. Auf der anderen Seite des Atlantiks hat England seine ehemaligen 13 Kolonien verloren, die sich fortan die Vereinigten Staaten von Amerika nannten.
„Eher den Tod, als in der Knechtschaft leben“
Aus philosophischer Sichtweise hat es aber bereits zu diesem Zeitpunkt viel ältere Bewegungen gegeben. Schon im 13. Jahrhundert wollten drei Kantone in der Schweiz ihren eigenen Weg gehen. Die Ähnlichkeiten des Ballhausschwurs und des Rütlischwurs dürften vermutlich kaum zu Leugnen sein.
„Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, In keiner Not uns trennen und Gefahr“
„Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, In keiner Not uns trennen und Gefahr. – Wir wollen frei sein wie die Väter waren, Eher den Tod, als in der Knechtschaft leben. – Wir wollen trauen auf den höchsten Gott. Und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.“
„Wir wollen frei sein wie die Väter waren, Eher den Tod“
Der Rütlischwur auf der gleichnamigen Rütliwiese spiegelt ein kompliziertes Thema wider. Dieser besagte Schwur ist nur mündlich überliefert und es wurden darüber keine zeitgenössischen Dokumente angefertigt. Maler und Dichter haben die Geschichte vielfach aufgegriffen und es ist im Laufe der Zeit zum eidgenössischen Gründungsmythos geworden. Außerdem hat damals nicht die gesamte heutige Schweiz „geschworen“ – sondern es bezieht sich nur die drei Kantone Uri, Schwyz und Unterwalden.
Romantische Verklärung: Warum der „Rütlischwur“ heute zur lebenslanger Freiheitsstrafe führen würde
Besonders die romantische Verklärung dieser Ereignisse hat in der Gegenwart stark zugenommen. Denn der „Schwur“ ist ungefähr mit den heutigen deutschen Straftatbestand des Hochverrats gleichzusetzen. Anders als vielleicht das blumige Verständnis von vielen Rechtsgelehrten manchmal vermittelt: Tatsächlich werden nicht Mord und Vergewaltigungen, sondern Hochverrat und Steuervergehen am Härtesten bestraft: Sofern der aktuelle politische Kontext dazu passt. Selbst für Steuervergehen lassen sich lange Haftstrafen mit anschließender Sicherungsverwahrung verhängen, was sich zur lebenslanger Freiheitsstrafe ausweiten kann. Bei Hochverrat ist problemlos Lebenslang drin. Die nebulösen Rechtsbegriffe und schwammigen Definitionen machen es möglich. Da die Richter durch die jeweiligen Justizminister ernannt, sollte die Ansprüche auf ein „faires Verfahren“ lieber ganz tief nach unter geschraubt werden.
Widerstandsrecht aus Artikel 20 des Grundgesetzes: Nur ein rechtlicher Treppenwitz?
Das häufig zitierte Widerstandsrecht aus Artikel 20 ist in der Rechtspraxis kaum das Papier auf dem es geschrieben steht. Alleine der schwammige Halbsatz sollte zu denken geben: “ … wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ – Doch die „andere Abhilfe“ ist nirgendwo amtlich definiert. Es ist nicht mal in groben Zügen wirklich klar: Was damit überhaupt im Detail gemeint sei?
„Seine Schiffe hinter sich brennen sehen“ – Als Metapher zur Ausweglosigkeit
Hernán Cortés hat es sinnbildlich gut auf dem Punkt gebracht: Im heutigen Mexiko ließ der Konquistador seine Schiffe – absichtlich – verbrennen, um jegliche Flucht – oder Ausweg – seiner Mannschaft unmöglich zu machen. Ausspruch: „Seine Schiffe hinter sich brennen sehen“ – Dieser sinnbildliche Vergleich dürfte das heutige sogenannte „Widerstandsrecht“ ganz gut zusammenfassen. Aber die Definition des Deutschen Bundestages dürfte es nochmal auf die Spitze treiben.
„Haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand“ – „Wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“
„Das Recht auf Widerstand zum Schutz der Verfassung – In Artikel 20 Absatz 4 der Verfassung heißt es: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Gemeint ist die Ordnung der parlamentarischen Demokratie, des sozialen und föderalen Rechtsstaates, die in Artikel 20 Absatz 1 bis 3 genannt werden.“
„Gemeint ist die Ordnung der parlamentarischen Demokratie“ – Aber das steht im Grundgesetz so nicht drin
Aber die „parlamentarischen Demokratie“ ist in den besagten Artikeln nicht mal erwähnt. Stattdessen wird im Absatz 2 explizit „Abstimmungen“ genannt, die bis heute auf Bundesebene verwehrt geblieben sind. Aber diese würden mit auch dem Satz: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ korrespondieren. Alleine der Artikel des Deutschen Bundestages könnte im Nachhinein als juristischer Treppenwitz in die Geschichte eingehen. Wer sich heute ernsthaft für Direkte Demokratie – wie im Grundgesetz festgelegt – einsetzt: Derjenige läuft Gefahr die „parlamentarischen Demokratie“ zu untergraben und damit offen Hochverrat zu begehen.
Widerstandsrecht des Grundgesetz als Lachnummer: Wo soll der formale Antrag zum bewaffneten Umsturz gestellt werden?
Die Direkte Demokratie und die parlamentarische Demokratie stellen im Grund genommen zwei gegenläufige Regierungsmodelle dar. Vermutlich wird es offen niemand zugeben, aber im heutigen Sinne ist Direkte Demokratie und das Widerstandsrecht reine Papiertiger-Grundgesetze, die praktisch bedeutungslos sind: Und beim Widerstandsrecht gibt es der Deutsche Bundestag faktisch sogar zu.
„Es geht also um den absoluten Ausnahmefall: Es müssten „alle Mittel der Normallage“ versagen“
„Um die Frage zu beantworten, wann denn Widerstand im Sinne des Artikel 20 gerechtfertigt ist, geben die letzten sechs Wörter Aufschluss: „…, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Es geht also um den absoluten Ausnahmefall: Es müssten „alle Mittel der Normallage“ versagen, um die Gefahr abzuwehren, ehe die Bürger zu den „heiklen Mitteln des Rechtsbruchs und der Gewaltsamkeit greifen“, betont Isensee. Doch solange „Konflikte noch in zivilen Formen“ ausgetragen werden können, das demokratische System intakt ist und solange „friedlicher Protest noch Gehör“ finden kann, dürften sie es nicht.“
„Heiklen Mitteln des Rechtsbruchs und der Gewaltsamkeit greifen“
Im diesem Szenario des beschriebenen „absoluten Ausnahmefalls“ würde ohnehin eine offene Diktatur regieren und jede Form des Widerstands wäre sowieso unmöglich. Einen gleichlautenden Widerstandsparagraph könnte also problemlos in jeder Diktator einführen, ohne dass dieser irgendeine Bedeutung hätte. Allen offiziellen Verlautbarungen zum Trotz: Seit den berühmten Rütlischwur hat sich in diesem Punkt nicht wirklich etwas geändert.