Direkte Demokratie im Beamtenrecht: Welche Lehren können aus der Schweiz gezogen werden?

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Die Schweiz hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Transformation durchlaufen und ist mittlerweile fast ohne Beamte. Überraschenderweise funktioniert das Land weiterhin reibungslos. Solche mutigen Reformen, wie sie in der Schweiz umgesetzt wurden, könnten möglicherweise nur in einem kleinen Land realisiert werden, wo letztendlich das Volk durch eine Volksabstimmung darüber entscheidet.

Doch das ist ein anderes Thema. In jedem Fall gab es in der Alpenrepublik in den vergangenen zehn Jahren bedeutende Reformen zur Flexibilisierung des öffentlichen Dienstrechts. Der Anlass hierfür war auch die kontinuierlich steigende Anzahl der Beamten im öffentlichen Dienst. Während in Deutschland zu Beginn und in der Mitte der 1990er Jahre zahlreiche Expertenkommissionen über Reformen des öffentlichen Dienstes und das Konzept des “New Public Management” berieten, zogen die Schweizer entschieden einen Schlussstrich: Im Jahr 1997 trat das “Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz” – kurz RVOG – in Kraft, welches die Struktur der Exekutive neu regelte. Am 14. Dezember 1998 präsentierte die Schweizer Bundesregierung dem Parlament einen Entwurf für ein neues Bundespersonalgesetz, das von beiden Kammern des Parlaments angenommen und in einer Volksabstimmung am 26. November 2000 genehmigt wurde.

Dies führte dazu, dass auf Bundesebene das öffentliche Dienstverhältnis für das Personal der Bundesverwaltung, der dezentralisierten Verwaltungseinheiten, der bundesstaatlichen Gerichtsbehörden, der Parlamentsdienste sowie verschiedener Bundesbetriebe zum Januar 2002 umfassend neu geregelt wurde. Die Auswirkungen sind bis heute weitreichend: Der Bund und die meisten Kantone haben den Beamtenstatus für ihre über 130.000 Staatsdiener abgeschafft und stattdessen ein öffentlich-rechtliches Anstellungsverhältnis mit einem Kündigungssystem eingeführt.

Nur für bestimmte Tätigkeitsbereiche bleibt eine Verbeamtung weiterhin möglich, wie zum Beispiel im gesamten Justizbereich. Hier werden die Mitglieder von Gerichtsbehörden zur Gewährleistung ihrer richterlichen Unabhängigkeit nach wie vor für eine bestimmte Amtsdauer durch das Volk oder das Parlament gewählt. Gleiches gilt für Exekutivstellen, die Aufsichts- oder Anklagefunktionen gegenüber ihrer eigenen Anstellungsbehörde wahrnehmen, etwa bei den Organen der Bundesanwaltschaft oder den Staatsanwaltschaften sowie natürlich bei der Polizei. Das neue Recht galt ausdrücklich auch für bestehende Dienst- und Beamtenverhältnisse, die vor dem 1. Januar 2002 abgeschlossen wurden oder über dieses Datum hinaus fortbestanden. Wenn Inhaber solcher “altrechtlicher Dienstverhältnisse” ein angebotenes zumutbares Arbeitsangebot ablehnten, wurde dies als Kündigungsgrund gewertet. Auf kantonaler Ebene verlief die Entwicklung ähnlich: Bis heute haben die meisten Kantone den Beamtenstatus abgeschafft oder er gilt nur noch unter bestimmten Bedingungen.

Die Schweiz ging sogar noch einen Schritt weiter: Im Jahr 1997 beschloss das Berner Parlament die Trennung der Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe in eigenständige Unternehmen, was in Post und Telecom AG resultierte, seit 1998 bekannt als Swisscom. Die Arbeitsverhältnisse bei Swisscom basierten von Anfang an auf Privatrecht. Mit dem Inkrafttreten des neuen Bundespersonalgesetzes im Jahr 2002 verloren schließlich auch die Angestellten der Post sowie der Schweizer Bundesbahn – kurz SBB – nachträglich ihren Beamtenstatus – ein Vorgehen, das für deutsche Beamte als skandalös gilt. Darüber hinaus sind grundsätzlich auch die etwa 3000 Schweizer Gemeinden befugt, eigene dienstrechtliche Regelungen für ihr Personal zu schaffen. Dies führte zwar zu einer erheblichen Zersplitterung des Dienstrechts in der Schweiz, jedoch offenbar ohne nachteilige Folgen für das Land.

All dies war möglich, weil die Schweiz keine Änderungen an ihrer Bundesverfassung vornehmen musste. Das Beamtentum konnte ohne größere rechtliche Hürden abgeschafft werden. Nach der Schweizer Verfassung bestand lediglich das Recht und nicht die Pflicht zur Schaffung von “bleibenden Verbeamtungen“. Zudem enthält die Bundesverfassung keine vergleichbare Bestimmung wie im deutschen Grundgesetz, wonach das Berufsbeamtentum institutionell garantiert wird – Artikel 33 des Grundgesetzes könnte zudem mit entsprechender parlamentarischer Mehrheit geändert werden.

In der Schweiz existiert auch keine Verfassungsbestimmung entsprechend Artikel 33 des deutschen Grundgesetzes, die besagt, dass hoheitliche Aufgaben regelmäßig Angehörigen des öffentlichen Dienstes übertragen werden müssen, die in einem öffentlich-rechtlichen Treuverhältnis stehen. Nach dem schweizerischen Rechtsverständnis können auch bedeutende öffentliche Aufgaben privatrechtlichen Organisationen oder Nicht-Beamten übertragen werden. Die Kantone sind nicht verpflichtet, ihr Dienstrecht an das des Bundes anzupassen, es gibt kein durch den Bund geregeltes Rahmendienstrecht, wie in Deutschland bekannt ist. Dies hat insbesondere Auswirkungen auf die Höhe der wenigen Beamtengehälter, welche sowohl vom Bund als auch von den Kantonen autonom festgelegt werden können und daher stark variieren.

Beamte wurden “auf Zeit” und für eine “Amtsdauer” ernannt, während dieser Amtszeit sind sie jedoch praktisch unkündbar. Das Prinzip der Amtsdauer für Bundesbeamte wurde bereits im Jahr 1855 eingeführt – rund siebzig Jahre vor dem Bundesbeamtengesetz. Diese zeitlich befristete Wahl oder Einstellung spiegelt ein besonderes Demokratieverständnis wider, welches von einer direkten Beteiligung des Volkes an den Staatsgeschäften geprägt ist. Demnach sollten Träger öffentlicher Ämter direkt oder zumindest indirekt durch Volksvertretungen oder Regierungen in regelmäßigen Abständen vom Volk gewählt werden. Eine Lebenszeiteinstellung von Beamten widersprach diesem Grundverständnis; mit Ablauf der Amtsdauer endete grundsätzlich auch das Beamtenverhältnis. Durch eine stillschweigende Erneuerung eines Dienstverhältnisses am Ende einer Wahlperiode entwickelte sich jedoch de facto eine mit dem deutschen Recht vergleichbare Lebenszeitverbeamtung.

Dennoch ist dieser kleine aber feine Unterschied von erheblicher Bedeutung: In der Schweiz war die Besoldung von Beamten zwar im Bundesbeamtengesetz geregelt, da dieses Gesetz jedoch dem fakultativen Referendum unterlag, benötigte jede Änderung der Besoldungsskala neben einem einheitlichen Beschluss beider Parlamentskammern auch die ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung des Volkes. Eine Tarifautonomie, die unabhängig vom Volkswillen den Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen ermöglicht hätte, existierte in der Schweiz nicht.

Da Beamte in der Schweiz für eine bestimmte Amtsdauer und nicht auf Lebenszeit eingestellt wurden, hatten sie keinen Versorgungsanspruch gegenüber dem Staat wie es im deutschen Rechtsverständnis üblich ist. Die berufliche Vorsorge erfolgt vielmehr bis heute nach sozialversicherungsrechtlichen Prinzipien ähnlich wie in der Privatwirtschaft. Die Leistungen werden vollständig durch Sozialversicherungen erbracht; öffentliche Arbeitgeber leisten privatwirtschaftliche Beiträge an diese Sozialversicherungen und ihre Verpflichtung beschränkt sich auf diese Beitragszahlungen. Renten werden also nicht aus dem Haushalt der jeweiligen Körperschaft finanziert und schon gar nicht durch Neuverschuldungen.

Es lohnt sich ebenfalls zu betrachten, wie die Schweiz nicht nur für ihre Beschäftigten im öffentlichen Dienst sondern auch allgemein die Alterssicherung organisiert hat, da es hier interessante Unterschiede zu Deutschland gibt. Die Alterssicherungsleistungen werden jeweils durch zwei Sozialversicherungsträger bereitgestellt: einerseits durch die “Alters- und Hinterlassenenversicherung”  – eine allgemeine Volksversicherung im Umlageverfahren – und andererseits durch jeweilige Pensionskassen zur betrieblichen Vorsorge im Kapitaldeckungsverfahren. Die AHV soll als Basisversicherung existenzsichernd wirken, allerdings gelingt dies oft nicht ausreichend. Die Leistungen aus Pensionskassen sind als Ergänzung konzipiert. In der Praxis fallen diese jedoch bei guten Löhnen häufig höher aus als jene der AHV. Bei sehr niedrigen Einkommen im öffentlichen Dienst sind sie hingegen gering – besonders wenn nur das gesetzliche Minimum angewandt wird. Die Alterssicherung für Beschäftigte im öffentlichen Dienst stellt also kein separates System dar, sondern ist mit anderen Vorsorgeformen verknüpft. Diese Aufteilung auf zwei unterschiedliche Säulen erweist sich als vorteilhaft, da Umlageverfahren und Kapitaldeckungsverfahren unterschiedliche Stärken und Schwächen aufweisen, so erhält das Gesamtsystem eine höhere Stabilität. Historisch gesehen waren Arbeitgeber im öffentlichen Dienst oft Vorreiter beim Aufbau von Pensionskassen, die älteste bestehende Pensionskasse stammt aus dem Jahr 1818.

Mit dem Gesetz über die Pensionskasse des Bundes vom 23. Juni 2000 – kurz PKB-Gesetz – wurde in der Schweiz eine neue Pensionskasse namens “Publika” eingerichtet, welche für die berufliche Versorgung des Bundespersonals zuständig ist und deren Angehörige gegen wirtschaftliche Risiken aus Alters-, Invaliditäts- und Todesfällen absichert. Im Gegensatz zur vorherigen Pensionskasse ist Publika rechtlich und wirtschaftlich unabhängig. Diese wurde aus der engeren Bundesverwaltung ausgegliedert und soll ihre Leistungen nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien selbst erwirtschaften. Bereits Mitte 1999 begann man mit Investitionen auf dem Markt, mehrere Milliarden Franken können so jährlich neu angelegt werden – beispielsweise in Fremdwährungsanleihen, Schweizer Aktien sowie ausländische Aktien oder auch in mittelständische Unternehmen sowie Immobilien. Der jährliche Vermögensertrag dieser neuen Pensionskasse hängt maßgeblich von den Entwicklungen am Kapitalmarkt ab; zudem wurde ein Sicherheitsfonds eingerichtet, um bei Zahlungsunfähigkeit der Pensionskasse Leistungen zu garantieren. Letztendlich ist das Modell der Schweiz als sehr fortschrittlich zu bewerten.