Die Verselbständigung von geistig erschaffenen Ideen
In Johann Wolfgang von Goethes Zauberlehrling heißt es: „Hat der alte Hexenmeister sich doch einmal wegbegeben! Und nun sollen seine Geister auch nach meinem Willen leben.“ Das geistig erschaffenen Werke nach ihrer Veröffentlichung ein gewisses Eigenleben entwickeln ist kein neuzeitliche Phänomen, sondern war schon im 18 Jahrhundert bekannt.
„Kartoffel wächst im Reissack“
„Die Kartoffel wächst im Reissack. Und zwar prächtig – umtost von Bussen, Autos, Baufahrzeugen in Berlin-Kreuzberg. Auf der einst zugemüllten Brache direkt am U-Bahnhof Moritzplatz haben sich Kürbisse, Tomaten, französischer Estragon, nordafrikanische Bohnen und Thymian breitgemacht. In den Prinzessinnengärten gedeihen die Pflanzen auf rund 6000 Quadratmetern in Säcken, Körben oder Tetrapacks. In einer Ecke konnten Imker sogar ihre Bienenhäuschen platzieren. „Wir verstehen uns als soziales und ökologisches Projekt. Und wir bauen Gemüse in Bioqualität an“, erklärt Marco Clausen, einer der beiden Initiatoren. Es ist die zweite richtige Saison auf der städtischen Fläche, wo auch Bänke und Tische zu Plausch im Gartencafé einladen. Im Juni 2009 lagen hier noch alte Bettgestelle, Scherben, Reifen und Batterien. Auf dem Boden wäre wenig gewachsen. Heute steckt in den mobilen Pflanzbehältern fruchtbare Erde. Clausen ist eigentlich Historiker. Für das Gartenprojekt hat er sich mit Robert Shaw, einem Dokumentarfilmer, zusammengetan und die gemeinnützige GmbH Nomadisch Grün auf die Beine gestellt. In Havanna habe er gesehen, wie die Kubaner in allen möglichen Behältern Gemüse heranzogen, so Shaw. Bekannt und erfolgreich seien auch die städtischen Gärten in New York. Davon inspiriert setzten sich Shaw und Clausen ein Ziel: Urbane Landwirtschaft sollte auch in Berlin Fuß fassen.“
Urbane Landwirtschaft: „Wie die Kubaner in allen möglichen Behältern Gemüse heranzogen“
So ähnlich hat die ganze Öko-Bewegung schon vor vielen Jahrzehnten begonnen, als man die bewusste Abkehr von der industriellen Landwirtschaft einleitete. Zwar sind die Konzept nach wie vor in ihre Ursprüngen lebendig, dennoch setzt hier – wie in vielen anderen Fällen – eine von nicht wenigen Anhängern unerwünschte Kommerzialisierung ein. Denn mittlerweile bieten auch große Lebensmittelketten ebenfalls Bio-Produkte an, die bisweilen in sehr großen Maßstab angebaut und kommerziell international vermarktet werden. Von der „Idee“ des nachhaltigen kleinen Ökobauern um die Ecke ist zumindest in weiten Teilen, nicht viel mehr als die reine Idee übrig geblieben.
„RepRap ist ein 3D-Drucker“ – „Aus möglichst vielen Teilen besteht, die er selbst drucken kann“
„RepRap ist ein 3D-Drucker – also ein Drucker, der feine Schichten von geschmolzenem Kunststoff (Polymilchsäure) übereinander auftragen kann, und so dreidimensionale Teile druckt. Er ist so konstruiert, dass er aus möglichst vielen Teilen besteht, die er selbst drucken kann. Eine Idee, die unter anderem auf den Mathematiker John von Neumann zurück geht. Die Konstruktionspläne von RepRap und seine Software stehen unter der GNU-GPL-Lizenz, also nicht unter einem Copyright, sondern unter einem Copyleft. Jeder darf sie frei verwenden, wenn das, was damit entsteht, ebenfalls unter dieser Lizenz steht. Gewissermaßen eine Lizenz für sich selbst vermehrendes Allgemeingut.“
„GNU-GPL-Lizenz“ – „Eine Lizenz für sich selbst vermehrendes Allgemeingut“
„GNU-GPL-Lizenz“ – „Jeder darf sie frei verwenden“
Die Initiative des 3D-Druckers für das heimische Wohnzimmer geht in ihren Ursprüngen aus puren privaten Engagement zurück. Auch hier setzte eine unwillkürliche wirtschaftliche Phase der Kommerzialisierung ein, die sich vollkommen unabhängig von den ursprünglichen Vorstellungen der Entwickler fortentwickelte. Vergleichbares trifft auch auf das Verbandsklagerecht zu: Ursprünglich sollte es die Rechte von Bürgern stärken, aber die Entwicklung ist teilweise in eine ganz andere Richtung gegangen.
Das lukrative Geschäft mit den juristischen Abmahnungen
„Der Ärger kündigt sich mit einem Fax an. Rechts oben prangt das Logo der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Im zweiten Absatz steht: „Uns ist der nachstehend geschilderte Wettbewerbsverstoß Ihrer Firma bekannt geworden.“ Betroffen von Schreiben wie diesen sind Autohäuser, Immobilienmakler oder Händler von Elektrogeräten. Wenige Tage später geht der Brief dann im Original ein, auf Umweltpapier ausgedruckt und mit der Unterschrift von Jürgen Resch versehen, Chef der Organisation mit Sitz in Radolfzell am Bodensee und Berlin. Resch moniert in dem Schreiben, dass der Unternehmer gegen die Verordnung zur Energieverbrauchskennzeichnung verstoßen habe. Im Fall eines Maklers heißt es etwa: In seinem Angebot fehle die „Angabe zum wesentlichen Energieträger für die Heizung“ des betroffenen Hauses. Wer so ein Schreiben bekommt, hat ein Problem. Die Fristen sind sportlich. Manchmal muss der Betroffene binnen drei Tagen bis „17 Uhr, hier eingehend“, eine Unterlassungserklärung abgeben. Sonst droht der Rechtsweg. Und es kostet Geld. „Unsere Rechnung fügen wir ebenfalls bei.“ 245 Euro sind nur für das Schreiben fällig. Und wenn der Makler sich noch einmal beim gleichen Verstoß erwischen lässt, muss er eine Vertragsstrafe von 5001 Euro zahlen. An die Umwelthilfe.“
„Betroffen von Schreiben wie diesen sind Autohäuser, Immobilienmakler oder Händler von Elektrogeräten“
Ausläufer der grünen Bewegung haben das lukrative Geschäft der juristischen Abmahnungen für sich entdeckt und nur noch der Name, sowie das obligatorische Umweltpapier erinnern noch an die ökologischen Wurzeln. Auf vollkommen anderer Ebene stehen die Entwickler ebenso auf Kriegsfuß: Programmierer von freie Software sind mitnichten immer einverstanden, wofür ihrer Arbeit letztendlich Verwendung findet – insbesondere in Hinblick auf militärische und geheimdienstliche Zwecke.
Verselbständigung von geistig erschaffenen Ideen: Schon Goethe hat darum gewusst
Zu Zeiten des Zweit Weltkrieges war es mitunter bei amerikanischen Piloten Mode, ihre Flugzeuge nach freizügigen Mädchen – teilweise auch reale Menschen – zu benennen. Aber nicht alle Frauen waren über ihr Konterfei auf militärischen Kriegsgerät begeistert, als sie davon Wind bekamen. In Johann Wolfgang von Goethes Zauberlehrling nimmt jedoch das Geschehen einen ganz anderen Verlauf: „Und sie laufen! Naß und nässer Wirds im Saal und auf den Stufen: Welch entsetzliches Gewässer! Herr und Meister, hör mich rufen! – Ach, da kommt der Meister! Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, Werd ich nun nicht los.“ Anders als im Goethes Ballade gibt es hingegen in der Realität keinen Hexenmeister, der die freigelassenen Geister wieder bändigt.