Die hängenden Gärten zu Brüssel: „Eine erschreckend wertfreie Realpolitik“
Der Turmbau von Babel wurde wegen Verständnisschwierigkeiten niemals zu Ende geführt und die gegenwärtige Europäische Union steht mit ihren derzeitigen 24 Amtssprachen, vor ganz ähnlichen existenziellen Problemen. Allerdings die Verständigungsschwierigkeiten auf linguistischer Ebene, dürften wohl das geringste Übel sein.
„Allein die Worte können das schiere Ausmaß der Aufgabe kaum verdeutlichen. Am heutigen Montag gehen die Verhandlungen um die Scheidung in die dritte Runde, im März hat die Londoner Regierung Artikel 50 ausgelöst und damit den Austrittsprozess eingeleitet.“
Die EU-Austrittsverhandlungen mit Großbritannien machen eines deutlich: Die brüsseler EU-Bürokratie scheint mitnichten gewillt zu sein, die Verhandlungen zugig vonstatten gehen zu lassen. Aber das bröselnde Mauerwerk innerhalb der Europäischen Union ist keineswegs auf das britische Königreich beschränkt, sondern es stellt lediglich die offensichtlichsten Risse einer viel größeren instabilen Statik da. Die Visegrád-Gruppe verbindet in erster Linie die Ablehnung gegenüber der EU, darüber hinaus gibt es zahlreiche Parteien und Vereinigungen über Ländergrenzen hinweg, welche der Europäischen Union durchaus skeptisch gegenüberstehen. Alleine in Polen haben 200.000 Menschen protestiert, was gemessen nach der politischen Wende im Jahr 1989, der größte Protestmarsch innerhalb der jüngeren Geschichte des östlichen Nachbarstaates war.
„Die europäische Flüchtlingspolitik ist keine Erfolgsgeschichte. Zwar ist einiges in Bewegung gekommen, seit sich 2015 Hunderttausende auf den Weg nach Europa machten. Die EU hat damals beschlossen, 160.000 Flüchtlinge auf ihre Mitgliedsländer umzuverteilen. Sie hat das überkommene Dublin-System infrage gestellt. … Vor diesem Hintergrund wirkt die Entscheidung der EU-Kommission, gegen die „Verweigerer“ Ungarn, Polen und Tschechien anzugehen, wie ein Ablenkungsmanöver. Schaut her, wir tun etwas, ruft EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos. Die drei Länder werden mit EU-Verfahren überzogen, die mit Geldstrafen und Klagen vor dem EU-Gericht enden könnten. Doch an einen Erfolg scheint nicht einmal Kommissionschef Jean-Claude Juncker zu glauben. Bei den Verfahren gehe es nicht um Sanktionen, beteuert er. „Es geht darum, deutlich zu machen, dass getroffene Entscheidungen geltendes Recht sind – selbst wenn man dagegen gestimmt hat“, so Juncker. Richtig, Tschechien und Ungarn haben schon 2015 gegen die Umverteilung gestimmt. Sie wurden mit einem Verfahrenstrick übergangen. Ungarn und die Slowakei haben dagegen geklagt. … Eine erschreckend wertfreie Realpolitik prägt auch den Umgang mit den „Verweigerern“ in Osteuropa.“
Ein bemerkenswerter Vorgang: Die Europäische Union verhängt Strafen oder Sanktionen, weil souveräne Staaten Vorgaben aus Brüssel nicht umsetzen wollen. Laut biblischer Erzählung, soll der Turmbau zu Babel wegen der berühmten babylonischen Sprachverwirrung gescheitert sein. Allerdings gilt es zu bedenken: Auch wenn man sich auf linguistischer Ebene verstehen mag, können die mentalen und kulturellen Gräben mitunter viel tiefer verlaufen und auch deshalb kann eine Kommunikation zwischen zwei verschiedenen Parteien sehr wohl scheitern.