Die gescheiterte Energiewende der kleinen Nordseeinsel Pellworm

Die kleine Insel Pellworm, idyllisch in der Nordsee gelegen, sollte ursprünglich zu einem Vorzeigeprojekt der deutschen Energiewende werden. Die Verantwortlichen wollten hier beispielhaft demonstrieren, dass es möglich ist, eine gesamte Region unabhängig und vollständig mit erneuerbarer Energie zu versorgen. Im Fokus stand dabei das Ziel, ausschließlich auf Strom aus Windkraft und Photovoltaikanlagen zu setzen. Unterstützt wurde dieses ambitionierte Vorhaben von zahlreichen prominenten Vertretern der Politik, die Pellworm als ein Musterbeispiel für nachhaltige Energieversorgung präsentieren wollten.
Große Ziele und ambitionierte Pläne
Die Energiewende ist seit Jahren erklärtes Staatsziel, und die Politik suchte nach Erfolgsgeschichten, um die Umstellung auf erneuerbare Energien zu legitimieren. Die Insel Pellworm bot sich an, um das im Norden reichlich vorhandene Potenzial von Wind- und Sonnenenergie sichtbar zu machen und als Vorbild für andere Regionen zu dienen. Die Hoffnung war, die auf Pellworm gewonnene Energie durch innovative Speichermethoden so zu verwalten, dass sie auch in windstillen oder sonnenarmen Zeiten zur Verfügung steht. Damit hätte Pellworm gewissermaßen als Brennglas dienen können, das die Machbarkeit der Energiewende unter realen Bedingungen aufzeigt. Außerdem herrschte eine euphorische Aufbruchsstimmung, die nicht nur die Inselbewohner, sondern auch Beobachter im ganzen Land erfasste. Pellworm sollte zum Symbol für die gesamte Energiewende avancieren – im besten Fall sogar weltweit.
Die Realität: Zwischen Euphorie und Ernüchterung
Schon nach wenigen Jahren zeigte sich jedoch, dass die Realität den großen Erwartungen nicht gerecht werden konnte. Obwohl das Ziel der vollständigen Selbstversorgung mit erneuerbaren Energien anfangs vielversprechend erschien, hat sich das Projekt mittlerweile weit von seinem ursprünglichen Anspruch entfernt. Die meisten beteiligten Akteure und Partner haben sich anderen Aufgaben zugewandt, und die hoch gesteckten Versprechen wurden nicht eingelöst. Die Insel, in die so viele Hoffnungen und erhebliche finanzielle Mittel investiert wurden, bleibt zurück – mit enttäuschten Erwartungen und ungelösten Problemen.
Produktion und Verbrauch: Ein unausgeglichenes Verhältnis
Tatsächlich erzeugen die Windkraftanlagen, die Biogasanlage sowie die Photovoltaikanlagen auf Pellworm heute ein Vielfaches des tatsächlich benötigten Stroms. Die Energieproduktion übersteigt den Eigenverbrauch der Inselbewohner um das Dreifache, und dieser Überschuss wächst weiterhin an. Die größten Stromverbraucher auf der Insel sind das Schwimmbad und die Landwirtschaftsbetriebe. Um den Überschuss an Energie zu speichern, wurden aufwändige Batteriespeicher installiert, ergänzt durch kleinere dezentrale Speicher in Privathaushalten. Ursprünglich sollten diese Anlagen gewährleisten, dass Pellworm an jedem Tag des Jahres komplett autark bleibt. Doch dieses Ziel wurde verfehlt.
Technische Hürden und wirtschaftliche Probleme
Trotz der umfangreichen Investitionen in Speichertechnologien kam es auf Pellworm in der Praxis häufig zu Stromausfällen. In der Folge stand nicht nur die private Stromversorgung, sondern auch die landwirtschaftliche Produktion immer wieder still, da zum Beispiel Melkmaschinen ohne Strom nicht funktionieren. Um eine echte Selbstversorgung zu erreichen, hätte die Zahl der Batteriespeicher vervielfacht werden müssen – was enorme zusätzliche Kosten bedeutet hätte. Schon bestehende Anlagen litten unter Defekten: Sensoren fielen aus, Klimaanlagen zur Kühlung der Speicher versagten, sodass selbst die bestehenden Kapazitäten oft nicht nutzbar waren. Besonders schmerzhaft für die Inselbewohner war jedoch die Erkenntnis, dass trotz der hohen Investitionen kein einziger dauerhafter Arbeitsplatz auf Pellworm selbst geschaffen wurde.
Wertschöpfung auf dem Festland – Insel bleibt außen vor
Ein weiteres Problem offenbarte sich bei der Verteilung der Wertschöpfung: Die Handwerksleistungen beim Bau der Anlagen wurden von Firmen auf dem Festland erbracht. Softwareentwicklung und Datenanalyse übernahmen Partner wie die Universität Aachen oder das Fraunhofer-Institut. Für die Pellwormer selbst brachten die Projekte kaum wirtschaftlichen Nutzen. Die einst in ihren Häusern installierten Stromspeicher und modernen Zähler sind inzwischen größtenteils wieder entfernt worden. Die Gewinne aus Energieproduktion und -verarbeitung fließen an Unternehmen und Gemeinden auf dem Festland, während Pellworm weiterhin zu den ärmsten Regionen Schleswig-Holsteins zählt. Die Insel kämpft mit Problemen, die an die Herausforderungen eines Entwicklungslandes erinnern: Rohstoffe und Energie sind zwar vorhanden, aber die Wertschöpfung findet anderswo statt, und die wirtschaftliche Lage bleibt prekär.
Struktureller Wandel und demographische Krise
Der strukturelle Wandel auf Pellworm ist deutlich sichtbar. Von ehemals mehreren Dutzend landwirtschaftlicher Betriebe sind nur noch wenige geblieben, viele davon finden keinen Nachfolger. Die Bevölkerung altert, junge Leute wandern ab, und die Gefahr besteht, dass die Insel in den kommenden Jahren weiter verödet oder sogar ganz ausstirbt. Die Energiewende hat die Probleme der Insel weder gelöst noch neue Perspektiven eröffnet – im Gegenteil, in mancher Hinsicht ist die Situation sogar schwieriger geworden.
Grenzen der Autarkie und ungelöste Speicherfrage
Hinzu kommt, dass das Projekt von Anfang an lediglich auf die Stromversorgung fokussiert war. Wichtige Bereiche wie Wärmeversorgung – also Heizung und Warmwasser – sowie die Mobilität der Insulaner wurden bei der Planung schlicht ausgeklammert. Das Versprechen einer vollständigen Autarkie war also schon im Ansatz nicht haltbar. Die großangelegte Speicherung von Strom hat sich in der Praxis als technisch und wirtschaftlich kaum umsetzbar erwiesen. Der erzeugte Strom muss nicht nur zuverlässig produziert, sondern vor allem langfristig gespeichert werden. Hier entstehen hohe Verluste, insbesondere bei der Wasserstoffspeicherung bleibt nach Umwandlungsprozessen nur ein Bruchteil der ursprünglichen Energie übrig. Auch Batteriespeicher sind nicht nur teuer in der Anschaffung, sondern verursachen hohe Wartungs- und Ersatzkosten. Hinzu kommen laufende Ausgaben für den Betrieb und die Instandhaltung der Wind- und Solaranlagen.
Ernüchterung nach dem Scheitern der Vision
Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass das ambitionierte Energieprojekt auf Pellworm die in es gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen konnte. Die Kosten für den dauerhaften Betrieb und die Wartung der Anlagen hätten jedes wirtschaftliche Maß gesprengt. Die meisten Installationen wurden mittlerweile abgebaut, und es ist unwahrscheinlich, dass jemand bereit wäre, die enormen Folgekosten dauerhaft zu tragen. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass technische Innovationen allein nicht ausreichen, um eine nachhaltige und gerechte Energiewende zu realisieren – und dass regionale Projekte wie auf Pellworm an den komplexen wirtschaftlichen und sozialen Realitäten oft scheitern.

















