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Römisches Reich: Der Aufstand nach dem Ableben des Augustus

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Auf die Mitteilung vom Ableben des Römischen Kaisers Augustus reagieren nun Teile des Heeres mit Unruhe. Aufgrund der Trauerfeiern wurden verschiedene dienstliche Verpflichtungen abgesagt, was die Soldaten zu Unfug und Streitigkeiten anregt.

Er hört schließlich dem Gerede über alles Negative zu, sehnt sich nach Ausschweifungen und Untätigkeit und lehnt letztlich Disziplin und Ordnung ab. Damit werden exakt die Vorstellungen anderer nicht-römischer Armeen umrissen, die durch einen ständigen Dienstbetrieb sicherstellen, dass die Soldaten nicht auf dumme Gedanken kommen.

Bei den römischen Legionen ist dies jedoch derzeit der Fall, und es gibt genügend Ursachen dafür. Besonders schlimm ist die Situation an der Rheinfront, wo mittlerweile Germanicus das Kommando führt. Ein Jahr jünger als Arminius, geboren im Jahr 15 v. Chr., befindet er sich nun in dem Alter, in dem sein Vater Drusus vom Pferd fiel. Germanicus war schon immer bestrebt, den Rhein zu überschreiten, um das Erbe seines Vaters zu vollenden. Inzwischen hat Augustus ihm einen neuen Vater an die Seite gestellt: Tiberius, der ihn als Sohn annehmen musste.

Alles deutete darauf hin, dass Augustus immense Hoffnungen in diesen talentierten und von den Truppen verehrten Mann setzte – ein Umstand, der ihn Tiberius nicht gerade sympathisch machte. Als nun große Teile der Legionen meutern und Germanicus dazu ermutigt wird, selbst nach der höchsten Staatswürde zu streben, bleibt er jedoch seinem Stiefvater loyal – wie oft gab es in der Geschichte Treue gegenüber den falschen Personen – und unterdrückt die Meutereien in seinem Befehlsbericht mit größter Strenge.

Dabei gelingt es ihm und seinem Unterfeldherrn Caecina, die Meuterer dazu zu bringen, gegeneinander vorzugehen und jeder versucht, seinen Gesinnungswechsel mit dem Blut des anderen abzuwaschen: „Verschieden von allen Bürgerkriegen, die jemals stattgefunden hatten, war das Schauspiel. Leute, aus denselben Lagern, die bis dahin das Mahl und die Ruhestätte miteinander geteilt hatten, gerieten nun im Parteienstreit aneinander. Geschosse, Geschrei, Wunden, Blutvergießen – das alles lag zutage, aber verborgen blieben die Ursachen. Im Übrigen waltete der Zufall.

So kamen auch einige der Gutgesinnten um, nachdem sie erkannt hatten, wer gegen wen wütete, und auch die Verruchtesten zu den Waffen gegriffen hatten.“ Von den Befehlshabern war niemand sichtbar; ungebändigt ließ man die Menge Rache üben und sich gegenseitig töten. Als Germanicus kurz darauf ins Lager einzieht, bezeichnet er all dies unter Tränen nicht als Heilung, sondern als Niederlage.

Zu Beginn wurde ein Unterschied zwischen Sinn und Zweck gemacht. Ähnlich sollte hier auch Anlass und Grund differenziert werden. Der Anlass für die Meuterei war sicherlich die günstige Gelegenheit, die instabile Lage bei jedem Regierungswechsel auszunutzen, um neue Versprechungen und Privilegien zu erstreiten – oder in militärischer Sprache: zu ermeutern. Die Gründe für dieses sinnlose, aber nicht bedeutungslose Morden lagen jedoch woanders.

Hier handelte es sich um Truppen, die seit Jahren darauf trainiert worden waren, mit blanken Waffen zu morden und deren Lohn die Beute sowie deren Strafe das Schwert war. Seit vier Jahren fehlte ihnen der grausame Rhythmus ihres Alltags. Angesichts der Suchtproblematik überfordern wir unsere Vorstellungskraft nicht, wenn wir neben einem Alkohol- oder Drogenrausch auch von einem Blutrausch sprechen. Gewohnheiten erfordern zunächst das Überwinden einer nicht unerheblichen Hemmschwelle – jeder Biertrinker wird sich mit Abscheu an sein erstes Glas Bier erinnern und jeder Raucher an seine erste Zigarette –, doch diese Gewohnheiten dringen tiefer ein und erzeugen eine stärkere Abhängigkeit als solche ohne Schwellenproblematik.

Auch von den Peinigern in Konzentrationslagern wird berichtet, wie viele anfangs scheu und gehemmt agierten, jedoch nach Wochen und nach Überwindung ihrer ersten Hemmungen immer tiefer in ihr abscheuliches Geschäft eintauchten, bis es schließlich zur Gewohnheit wurde und diese zur Sucht führte. Die Kriminologie kategorisiert solche Typen unter „Triebtäter“ und versucht oft eine sexuelle Komponente zu entdecken, da dafür bereits Etiketten vorhanden sind. Doch solche zusätzlichen Qualifikationen sind nicht notwendig. Menschen, die zum Morden erzogen werden, werden Mörder.

Die Bandbreite menschlichen Verhaltens lässt dies ohne „Geisteskrankheit“ oder sexuelle Komponenten zu. Sie verlangt jedoch auch danach, dass einmal angelernten Gewohnheiten gefolgt werden muss: Drogenabhängige müssen konsumieren, Vielfresser müssen viel essen und Mörder müssen morden – so wie es den Musiker zum Instrument zieht und den Maler zum Pinsel. Vom Bedürfnis her gibt es kaum einen Unterschied; höchstens den, dass die Sucht umso intensiver ist, je gewaltsamer die Befriedigung.

Man hätte auf diese Abart menschlicher Möglichkeiten gar nicht eingegangen wäre man bei der Betrachtung dieser Vorgänge nicht in Gefahr geraten zu glauben, Menschen und Zeiten durch eine exotische Brille zu betrachten mit dem Ergebnis dies alles unter der Rubrik „Vergangenheit“ abzulegen. Doch das Thema unserer Betrachtung ist nichts weniger als Vergangenheit; vielmehr ist es Gegenwart zumindest insofern als dass die Menschen noch immer dieselben sind.

Die Requisiten unseres heutigen Schauspiels mögen sich im Vergleich zur Vergangenheit verändert haben; auch das Bühnenbild sieht etwas anders aus, aber die Rollen sind nach wie vor dieselben und selbst bei den absurdesten Problemen ähneln sich noch immer die Lösungen. Betrachtet man wie Menschen zur Identifikation mit den sie beherrschenden Systemen gezwungen werden und wie mit immer wieder denselben Mitteln sowie unter Anstiftung derselben Emotionen ein systematisch herbeigeführter Gefühlsstau zur Entladung gebracht wird, kann man nur über die Kontinuität menschlichen Verhaltens staunen.