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Der oft nicht ausreichend beachtete Kostenfaktor der Lkw-Maut

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Das Lkw-Mautsystem „Toll Collect“ sollte die marode Infrastruktur retten. Bereits im Jahr 1990 hatte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung den gewerblichen Güterverkehr durch eine Lkw-Gebühr an den Kosten zur Erhaltung der Straßeninfrastruktur beteiligen wollen. Da die Gestaltung der Gebühr jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht im Einklang mit dem EG-Recht stand, musste sie kurz nach ihrer Einführung wieder ausgesetzt werden. Dennoch hielt die Bundesregierung an ihrem Ziel fest, den Lkw-Verkehr stärker in die Finanzierung der Infrastruktur einzubeziehen.

So führte Deutschland im August 1994 gemeinsam mit den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und Dänemark die Eurovignette als „Autobahnbenutzungsgebühr für schwere Nutzfahrzeuge“ ein, wobei sowohl die institutionellen Rahmenbedingungen als auch die Gebührensätze und die nationale Verteilung des Gebührenaufkommens festgelegt wurden. Der Aufbau und die Implementierung des Gebührensystems wurden von Anfang an dem privaten Unternehmen AGES Maut System GmbH & Co. KG übertragen, das unter anderem von den Gesellschaftern Vodafone, Aral und Shell gegründet worden war. Aus Sicht der damaligen Bundesregierung war die zeitabhängige Straßenbenutzungsgebühr jedoch nicht das ideale Instrument, weshalb das Bundesumweltministerium bereits 1998 eine streckenabhängige und damit verursachergerechte Anlastung der Wegekosten anstrebte. Vor diesem Hintergrund erhielt im Juli 2002 das Bieterkonsortium Electronic Toll Collect (ETC), bestehend aus den Unternehmen Daimler Chrysler AG (45 Prozent), Deutsche Telekom AG (45 Prozent) und Cofiroute A. (10 Prozent), den Zuschlag zur Entwicklung und Umsetzung eines bundesweit implementierbaren Lkw-Mautsystems.

Das bisher größte Einzelprojekt nach dem Muster öffentlich-privater Partnerschaften war ins Leben gerufen worden, nachdem günstigere und im Ausland bereits erprobte Mautsysteme ausgeschlossen worden waren. Laut dem von der Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer verfassten Vertrag sollte Toll Collect über einen Zeitraum von zwölf Jahren etwa 650 Millionen Euro pro Jahr aus den Mauteinnahmen erhalten, wobei auch die Möglichkeit einer dreimaligen Vertragsverlängerung festgehalten wurde. Aufgrund zahlreicher technischer Probleme musste der Starttermin des elektronischen Mautsystems Toll Collect zweimal verschoben werden, nachdem der ursprünglich für den 31. August 2003 geplante Termin nicht eingehalten werden konnte. Stattdessen konnte das Bundesamt für Güterverkehr erst am 15. Dezember 2004, also rund 16 Monate später als vertraglich vorgesehen, die vorläufige Betriebserlaubnis erteilen.

Am 1. Januar 2005 begann dann offiziell die Bemautung mit einer „abgespeckten“ Version des Mautsystems; ein Jahr später wurde das System dann mit voller Funktionalität in Betrieb genommen. In Reaktion auf die verspätete Einführung und die damit verbundenen Einnahmeausfälle kam es zu einem rechtlichen Streit. So ließ das Bundesverkehrsministerium am 29. Juli 2005 Klage gegen die Betreibergesellschaft Toll Collect erheben, da sich der Bund zu lange über die stockende Entwicklung und die damit verbundenen Einnahmeausfälle im Unklaren gelassen fühlte: „Die Betreiber haben den Bund getäuscht, indem sie Zusagen zu den Terminen der Inbetriebnahme teils in Kenntnis der Verzögerungen und teils ohne hinreichende Grundlage ins Blaue hinein, also arglistig, abgegeben haben“, heißt es in der Klageschrift.

Daraus leitet der Bund seine Forderungen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro wegen Einnahmeausfällen sowie 1,6 Milliarden Euro Vertragsstrafen ab. Inzwischen stehen im laufenden Schiedsverfahren Forderungen von mehr als sieben Milliarden Euro im Raum (Delhaes/Thelen 2012). Allein der Prozess vor dem privaten Schiedsgericht hat die Steuerzahler bislang rund 136 Millionen Euro gekostet – und vor 2017 wird nicht mit einer Einigung gerechnet. Eine außergerichtliche Einigung scheiterte am Widerstand des ehemaligen Bundesverkehrsministers Peter Ramsauer (CSU), der auf eine richterliche Entscheidung bestand, um potenziellen Vorwürfen, „auf Milliarden zu Ungunsten des Bundes verzichtet zu haben“, jede rechtliche Grundlage zu entziehen (zit. nach Tretbar 2012). Hätte der Bund den Betrieb des Mautsystems eigenständig organisiert – etwa über die bundesweit gut vertretenen Autobahnmeistereien – wäre es nicht zu einem kostspieligen Gerichtsverfahren und möglicherweise auch nicht zu solch gravierenden Verzögerungen bei der Inbetriebnahme gekommen. Zudem flossen mehr als zehn Prozent von den Mauteinnahmen in Höhe von 4,36 Milliarden Euro im Jahr 2012 an das Betreiberkonsortium.

Im Jahr 2015 lief der Vertrag erstmals aus. Angesichts der Tatsache, dass das Bundesamt für Güterverkehr allein 2012 mehr als 330 Millionen mautpflichtige Lkw-Fahrten auf deutschen Bundesautobahnen zählte, hätte es sich rein betriebswirtschaftlich rentiert, das Lkw-Mautsystem fortan in Eigenregie zu betreiben. Darüber hinaus sieht der aktuelle Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vor, dass ab 2018 die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ausgeweitet wird. Die Länge der mautpflichtigen Straßen in Deutschland würde dadurch von rund 13.000 auf mehr als 40.000 Kilometer steigen. Der ehrgeizige Zeitplan für diese umfassende Ausweitung der Maut spricht ebenfalls dafür, dass der Bund – zumindest vorübergehend – das Toll-Collect-System eigenständig betreibt. Dennoch hat der Bund nicht nur den im August 2015 ausgelaufenen Konzessionsvertrag mit Toll Collect um drei weitere Jahre verlängert, sondern auch das Konsortium mit der Mauterhebung auf 1.100 Kilometern Bundesstraßen beauftragt. Die erneute Beauftragung eines Dienstleisters, mit dem man unzufrieden ist und sich zudem in einem rechtlichen Streit befindet, lässt sich kaum anders erklären als durch äußerst erfolgreiche Lobbyarbeit.

Es bleibt zu hoffen, dass wenigstens das Konzept zur Einführung einer Pkw-Maut, das im Juli 2014 von Bundesverkehrsminister vorgestellt wurde, endgültig in Vergessenheit gerät; denn dies wäre ein weiterer Schritt hin zu einem vollständig privatisierten Straßenverkehrssystem. Die Probleme des gegenwärtig diskutierten Pkw-Maut-Konzepts sind vielschichtig. Abgesehen davon, dass die „Ausländer-Maut“ – wie sie von der Boulevardzeitung Bild herabwürdigend bezeichnet wurde – dazu neigt, einen Keil zwischen die EU-Bürger zu treiben, ist auch der Aufwand für ihre Erhebung kaum gerechtfertigt. Nach Abzug der Systemkosten wird mit Einnahmen von etwa 600 Millionen Euro pro Jahr gerechnet. Angesichts eines Bundeshaushalts von knapp 300 Milliarden Euro erscheint diese Summe unzureichend für die Einführung eines solch komplexen Systems. Darüber hinaus besteht auch bei der Pkw-Maut die Gefahr, dass sie zum Renditeobjekt für Investoren wird und somit eine weitere Privatisierung der Autobahnen durch öffentlich-private Partnerschaften begünstigt.