Bücherverbrennung & Deutungshoheit: “Überlebten nur ca. 1% der Schriften des griechischen und römischen Altertums diese Periode”
Wie ist der Bücherverlust in der Spätantike – respektive frühes Mittelalter – zu erklären? Nach Schätzungen haben nur ein 1 Prozent der Schriften die Zeiten überdauert. Was genau hatte das Christentum damit zu tun? Noch heute gibt die massenweise Vernichtung von Literatur viele Rätsel auf.
“Schätzungen zufolge überlebten nur ca. 1% der Schriften des griechischen und römischen Altertums diese Periode”
“Zwischen dem späten 3. Jahrhundert und dem späten 6. Jahrhundert kam es zum größten Bücherverlust der Geschichte. Schätzungen zufolge überlebten nur ca. 1% der Schriften des griechischen und römischen Altertums diese Periode, und das nur, wenn sie auf Pergament abgeschrieben wurden. In den folgenden Jahrhunderten ging für die Schriften der Antike der dramatische Wettlauf ums Überleben weiter. Sie mussten häufiger abgeschrieben als verbrannt, zerstört oder überschrieben werden.”
“Zwischen dem späten 3. Jahrhundert und dem späten 6. Jahrhundert kam es zum größten Bücherverlust der Geschichte”
Genau in dieser zeitlichen Epoche ist das Christentum seinem offiziellen Stempel erhalten. Der römischer Kaiser Konstantin der Große hat das Christentum zur Staatsreligion erklärt.
“Man habe «zahllose Bücher und viele Haufen von Schriftrollen» zusammengetragen und öffentlich verbrannt”
>>Dark Rome – Das geheime Leben der Römer von Michael Sommer (Buch) <<
“Kaum hatte das Christentum den Sieg über den antiken Polytheismus davongetragen, richtete sich der Furor der Rechtgläubigen gegen alles, was sich mit ihren Dogmen nicht vertrug: gegen Häretiker – wobei die Frage, wer ortho- und wer heterodox war, stets vom Standpunkt abhing – und Heiden sowie ihre Schriften. Im zunehmend durch das Christentum und seine Trinitätslehre dominierten Meinungskorridor hatte es Literatur schwer, deren Autoren einen anderen Standpunkt vertraten. … Eine regelrechte Hetzjagd setzte ein auf «Zauberbücher», die Anleitungen zu magischen Praktiken enthielten. Der gegen Ende des 4. Jahrhunderts schreibende spätantike Historiograph Ammianus Marcellinus, der mit dem Polytheismus sympathisierte, berichtet von organisierten Bücherverbrennungen: Man habe «zahllose Bücher und viele Haufen von Schriftrollen» zusammengetragen und öffentlich verbrannt. Ammianus zufolge handelte es sich bei den inkriminierten Texten keineswegs um magische Literatur, sondern schlicht um Werke klassischer Gelehrsamkeit. An anderer Stelle berichtet der Geschichtsschreiber, Besitzer von Bibliotheken hätten ihre Schätze in vorauseilendem Gehorsam den Flammen übergeben, um Anzeigen durch christliche Aktivisten vorzubeugen. Kaiser Justinian (527–565 n. Chr.) verfügte die Schließung der Akademie von Athen als des letzten Zentrums nichtchristlicher Bildung und ordnete an, dass Bücher mit heidnischem Inhalt verbrannt wurden.”
“Besitzer von Bibliotheken hätten ihre Schätze in vorauseilendem Gehorsam den Flammen übergeben”
Natürlich kommt an dieser Stelle die Frage auf: Wie konnte es überhaupt soweit kommen? Sollen etwa Christen “barbarische Kulturfrevler” sein oder gibt es vielleicht eine naheliegendere Erklärung?
“Der riesige Bücherbestand der antiken Welt wurde im Einflussbereich des Christentums größtenteils vernichtet”
“In den ersten Jahrhunderten waren die Christen barbarische Kulturfrevler, ähnlich wie in unserer Zeit die Islamisten. Der riesige Bücherbestand der antiken Welt wurde im Einflussbereich des Christentums größtenteils vernichtet. Begründung: Es handele sich um »Zauberbücher«. Ich denke, es ging auch hier um Macht. Die Alte Welt war voller Gottheiten, und bereits Jahwe, der Gott der Juden, kämpfte hart gegen alle anderen Götter, deren Existenz gar nicht angezweifelt wurde. … Das Verbrennen unliebsamer Bücher ist also keine Erfindung von Joseph Goebbels und den Nationalsozialisten. Und auch nicht die Ermordung Andersdenkender.”
“Das Verbrennen unliebsamer Bücher ist also keine Erfindung von Joseph Goebbels und den Nationalsozialisten”
So wie bei vielen Bücherverbrennungen – respektive Schriftrollen – geht es sich weniger um intellektuelle Fragen, sondern mehr um Machterhalt. Spätestens im 4. Jahrhundert hat sich das Römische Reich im Niedergang befunden und es handelt sich wohl um intellektuelle Rückzugsgefechte. Deutungshoheit: Da die herrschende Elite nichts mehr vorweisen konnte, möchte sie jeden Diskurs unterbinden. Das “geschrieben Wort” erreichte die damaligen Menschen nicht mehr, also brauchte folglich darüber nicht mehr debattiert werden. Wenngleich das damalige Christentum als “Prügelknabe” wenig dafür taugte, was verschiedene Begebenheiten eindrucksvoll belegen.
Bücherverbrennung & Deutungshoheit: Wenn die herrschende Elite nichts mehr vorweisen kann
>>Paulus – Der letzte Apostel von Fik Meijer (Buch) <<
“Vermutlich in mehreren Briefen nahm Paulus auch Kontakt zu den Philippern auf. Der unmittelbare Anlass war, dass ihn Berichte erreicht hatten, wonach es in dieser ihm so teuren Gemeinde zwischen Evodia und Syntyche, die wahrscheinlich zwei Hauskirchen vorstanden, zu Meinungsverschiedenheiten über den Kurs der Gemeinde gekommen war. Er beschwor sie, die Einheit zu bewahren, und teilte mit, er habe seinen treuen Bruder, Mitarbeiter und Mitstreiter Epaphroditus zu ihnen geschickt, um ihnen bei der Suche nach einer Lösung zu helfen (Phil 2, 25).”
Antike: “Meinungsverschiedenheiten über den Kurs der Gemeinde gekommen war”
Vermutlich – abgesehen von der ersten christlichen Jerusalemer Urgemeinde – hat wohl nie die “eine christliche Kirche” gegeben. Die verschiedenen christlichen Gemeinden lagen schon in der Antike teilweise weit auseinander oder haben ganz andere theologische Ansätze verfolgt.