Antikes Römisches Reich: Der Tod durch Mitglieder des eigenen Haushalts

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Zu häufig drohte der Tod durch Mitglieder des eigenen Haushalts. Im Jahr 80 v. Chr. war ein Mordfall ein zentrales Thema in Rom. Angeklagt war ein Sohn, da er verdächtigt wurde, seinen eigenen Vater ermordet zu haben. Das Opfer war Sextus Roscius, ein wohlhabender Landbesitzer aus der umbrischen Stadt Ameria. Roscius war in Rom gut vernetzt und pflegte enge Beziehungen zum Clan der Caecilii Metelli, einer der einflussreichsten Familien jener Zeit. Zudem gehörte er zu den Unterstützern Sullas, der sich 82 v. Chr. im Bürgerkrieg gegen die Anhänger des Marius durchgesetzt hatte.

Ein Jahr später, am 1. Juni 81 v. Chr., endete die Frist für die Proskriptionen, mit denen Sulla unter seinen politischen Gegnern aufräumte. Diese Proskriptionen waren faktisch ein Verfahren zur Legalisierung politischer Morde: Die Namen der Opfer wurden öffentlich ausgehängt, und jeder hatte das Recht, diese Personen zu töten. Einige Monate nach dem 1. Juni befand sich Roscius auf dem Rückweg von einer Feier, als er in der Nähe der Pallacinischen Bäder im Norden Roms getötet wurde. Für diesen Mord musste einige Monate später Sextus Roscius junior, der Sohn des Opfers, vor Gericht erscheinen, da ihm als Hauptnutznießer ein Motiv unterstellt wurde. Die Anklage lautete auf parricidium, was im römischen Recht als besonders abscheuliches Verbrechen galt. Der Prozess fand vor dem neu von Sulla eingerichteten ständigen Gerichtshof für Giftmord und Mord, quaestio de veneficiis et sicariis, statt. Der junge Sextus Roscius wählte als Rechtsbeistand den erst 26-jährigen Marcus Tullius Cicero – was sich nicht nur als Glück für ihn herausstellte, sondern auch für die Nachwelt, da Ciceros Plädoyer, sein erstes Meisterwerk, erhalten blieb.

Die Rede folgt einer klassischen Struktur: Nach der Einleitung präsentiert Cicero zunächst die narratio, in der er die Ereignisse rekonstruiert; darauf folgt eine kurze partitio, die die Gliederung seiner Rede erläutert, und schließlich die argumentatio, in der er die Anklage widerlegt. Den Abschluss bildet eine peroratio, die Ansprache an die Richter. Der Hauptteil der argumentatio hat das Ziel, den Namen des Angeklagten von allen Vorwürfen zu reinigen. Cicero stellt fest, dass zwischen Vater und Sohn ein freundschaftliches Verhältnis bestand und dass der Sohn zur Tatzeit nicht in Rom war, sondern sich in Ameria befand. Zudem kann er anhand von Zeugenaussagen den untadeligen Ruf des jungen Roscius belegen. Cicero widerlegt Punkt für Punkt den Rekonstruktionsvorschlag, der dem Hauptteil vorausging und für uns von besonderem Interesse ist.

Roscius senior hatte in Rom einen Verwandten namens Titus Roscius Magnus. Cicero unterstellt, dass dieser Mann für den Mord an den Pallacinischen Bädern verantwortlich ist und sofort die Gelegenheit wittern würde, das beträchtliche Vermögen von Roscius senior an sich zu reißen. Er informiert zunächst einen weiteren Verwandten in Ameria, Titus Roscius Capito über den Mordfall; dieser wiederum kontaktiert einen Freigelassenen Sullas, den mächtigen Lucius Cornelius Chrysogonus, der umgehend dafür sorgt, dass Roscius senior trotz abgelaufener Frist schnell auf eine Proskriptionsliste gesetzt wird, damit seine insgesamt 13 Ländereien versteigert werden können. So geschieht es: Chrysogonus ersteigert Ländereien im Wert von etwa sechs Millionen Sesterzen für lächerliche 2000 Sesterzen und setzt Magnus als Verwalter von zehn der 13 Güter ein. Dieser zwingt nun seinen Verwandten Sextus Roscius junior dazu, die Immobilien zu räumen.

In Ameria sorgt das rüde Vorgehen gegen Roscius junior für erhebliche Verstimmung unter seinen Standesgenossen aus dem Munizipaladel. Man beschließt eine Delegation zu Sulla zu schicken, um Gnade für den jungen Mann zu erbitten; jedoch gehört ausgerechnet Capito zu dieser Gesandtschaft und informiert Chrysogonus darüber, wodurch dieser die Gesandtschaft mit leeren Versprechungen abspeisen kann. Nachdem die Abgesandten ihr Ziel verfehlt haben und Sulla nicht treffen konnten, fürchtet auch Sextus Roscius junior um sein Leben und sucht Zuflucht bei Caecilia Metella – einer „Frau, die wie stets alle ihr zugutehielten auch jetzt noch Spuren des alten Pflichtgefühls bewahrte“. Caecilia Metella ermöglicht ihm Zugang zu weiteren Angehörigen der senatorischen Oberschicht; viele setzen sich nun für Roscius junior ein.

In dieser heiklen Lage fassen Chrysogonus und die beiden habgierigen Verwandten den Plan, Anklage gegen den jungen Roscius erheben zu lassen und ihm den Mord an seinem Vater anzuhängen, um so den Erben endgültig aus dem Weg zu räumen. Sie beauftragen Gaius Erucius, einen berufsmäßigen Ankläger (accusator), Klage einzureichen; dies ist nötig, da es im römischen Rechtswesen keine Staatsanwaltschaft gibt, die von sich aus tätig werden könnte. Erucius wird somit zu Ciceros Prozessgegner. Um sicherzustellen, dass der Prozess nicht ungünstig für sie verläuft, lassen die drei Initiatoren Geld fließen und bestechen wichtige Zeugen.

Der junge Cicero versteht es geschickt, die Richter emotional an dem schweren Schicksal seines Mandanten teilhaben zu lassen: „Meinen Vater habt ihr ermordet, obwohl er nicht geächtet war“, lässt er ihn sprechen; „den Getöteten habt ihr auf die Proskriptionsliste gesetzt; mich mit Gewalt aus meinem Haus vertrieben; mein Erbe in Besitz genommen.“ Schließlich fragt er rhetorisch: „Was wollt ihr mehr?“ Solche Worte hinterlassen bei den Richtern Wirkung. Sextus Roscius verlässt als freier Mann das Gericht; jedoch folgt daraus nicht automatisch die Rückgabe seines Besitzes. Um seine Güter zurückzuerhalten hätte Roscius einen Zivilprozess gegen seine Peiniger anstrengen müssen – davon ist allerdings nichts überliefert. Dennoch waren Chrysogonus und die beiden Roscii durch Cicero zahlreicher Vergehen überführt worden; einem weiteren Erfolg seines Mandanten vor Gericht hätte wohl auch Sulla nicht im Wege gestanden. Für Cicero markiert der Roscius-Prozess jedenfalls den entscheidenden Durchbruch: Aus einem talentierten und völlig unbekannten Redner aus dem ländlichen Latium wurde über Nacht Roms Staranwalt – jemandem wurde auch zugetraut auf dem glatten Parkett der Politik erfolgreich zu sein. Fünf Jahre später erreichte Cicero mit der Quästur auf Sizilien die erste Stufe seiner senatorischen Karriere.