Antike: Zwischen Denunzianten und Giftmischern
Im Jahr 331 v. Chr. führt Alexander der Große Krieg in der Levante, während in Rom eine ungewöhnliche Krankheit umgeht. Angehörige der angesehenen Familien erkranken plötzlich ohne ersichtlichen Grund und sterben fast ausnahmslos. Alle zeigen die gleichen Symptome, doch die Ursache der Epidemie bleibt unklar.
Eines Tages tritt eine Magd vor den Ädil Quintus Fabius Maximus und erklärt, sie könne das Rätsel lösen, sofern er ihr versichert, dass ihr nichts geschehen wird. Der Ädil zögert, diese Verantwortung zu übernehmen, und konsultiert sofort die Konsuln Marcus Claudius Marcellus und Gaius Valerius; diese wiederum wenden sich an den Senat. Die Senatoren versichern der Frau, dass ihr nichts zustoßen wird. Daraufhin offenbart sie: Nicht eine Krankheit sei für die seltsamen Todesfälle verantwortlich, sondern die kriminelle Aktivität eines Netzwerks von Giftmischerinnen.
Diese Täterinnen seien allesamt Frauen aus der gehobenen Gesellschaft. Man schenkt der Informantin sofort Glauben, da Giftmord seit jeher als weibliches Metier gilt. Tatsächlich wird eine Gruppe von Frauen auf frischer Tat ertappt, während sie Giftmixturen herstellen. Weitere Mengen des tödlichen Mittels sind bereits eingelagert worden. In den Haushalten von zwanzig römischen Matronen wird das Gift gefunden und alles wird auf dem Forum zusammengetragen. Beamte nehmen die Hausherrinnen in Gewahrsam und geleiten auch sie zum Forum. Zwei der Damen, Cornelia und Sergia, beide aus Patrizierfamilien, behaupten, es handele sich bei den Tränken um Heilmittel.
Die Informantin beschuldigt sie der Lüge und fordert die Frauen auf, von den Substanzen zu trinken, um ihre Vorwürfe vor allen Anwesenden zu widerlegen. Daraufhin beraten sich die beiden mit den anderen Frauen: Man einigt sich darauf, das Gift zu konsumieren und so dem unvermeidlichen Todesurteil durch Selbstmord zuvorzukommen. „Sie alle tranken das Gift aus und gingen durch ihr eigenes perfides Handeln zugrunde“, kommentiert der Historiker Livius den Tod der Giftmischerinnen. Allerdings war noch lange nicht die gesamte Gruppe enttarnt. Die Behörden befragten ihre Sklaven und leiteten Ermittlungen gegen eine große Zahl vermeintlich ehrbarer Matronen ein, von denen letztlich 170 für schuldig befunden wurden. Leider gibt Livius keine Auskunft über die Motive der Frauen.
Auch die Historizität dieser Episode ist nicht unbestritten. Besonders bemerkenswert ist, dass etwa 150 Jahre später anscheinend erneut ein Massenmord durch einen Zirkel von Giftmischerinnen stattfand. Livius berichtet, dass 180 v. Chr. der Prätor Tiberius Minucius, der Konsul Gaius Calpurnius Piso „und viele verdiente Männer jeden Ranges“ starben. Zunächst denkt man an ein schlechtes Omen; man betet, konsultiert alte Prophezeiungen und weiht den Göttern Geschenke. Doch dann wird Prätor Gaius Claudius mit der Untersuchung beauftragt, und es kommen immer mehr Merkwürdigkeiten ans Licht, insbesondere zahlreiche bis dahin unbekannte Vergiftungsfälle. Zudem erregt der Tod des Konsuls Verdacht. Von seiner Frau Quarta Hostilia wird berichtet, dass sie verbittert darüber sei, dass ihr Sohn aus erster Ehe, Quintus Fulvius Flaccus, bei den Konsulwahlen bereits zum dritten Mal nicht gewählt wurde. Erst durch den Tod seines Stiefvaters Piso wird der Weg für ihn frei. Zeugen berichten, Quarta Hostilia habe ihrem Sohn versprochen, ihn innerhalb weniger Monate zum Konsul zu machen.
Sie wird verurteilt, doch damit ist der Fall noch nicht abgeschlossen. Prätor Claudius meldet später, dass er in und um Rom 3000 Personen im Zusammenhang mit den Giftmorden verurteilt hat und die Ermittlungen weiterhin andauern. In der Kaiserzeit erlangte die Giftmischerin Locusta einige Berühmtheit; sie soll ebenfalls viele Zeitgenossen ins Jenseits befördert haben und auch am plötzlichen Tod des Kaisers Claudius beteiligt gewesen sein (S. 105). Dennoch waren Serienmorde eher die Ausnahme; Mörder waren meist Gelegenheitsverbrecher und nutzten Gelegenheiten zur Bereicherung oder um Rivalen auszuschalten.
Von alltäglichen Fällen zeugen Grabsteine quer durch die römische Welt, die „Mord“ als Todesursache angeben. Immer wieder kam es vor, dass Menschen aus Habgier Opfer von Mördern wurden. In Augustodunum Haedui (Autun) fiel ein Soldat der XXII Legion namens Januarius Räubern zum Opfer und wurde „von Räubern getötet“ (a latronibus interfectus). Ganz in der Nähe wurde in Lugdunum (Lyon) der 61-jährige Legionsveteran Julius Aventinus von „schlechten Menschen“ (hominibus malis) ermordet. Nur 19 Jahre alt wurde Valerius Marcus, der bei Timacum Minus – Ravna im heutigen Serbien in der Provinz Moesia superior von Räubern erschlagen wurde. Viele dieser Mordopfer waren Reisende, die kriminellen Banden schutzlos ausgeliefert waren; unter ihnen befanden sich auch Militärangehörige, was Fragen aufwirft: Sollte man nicht erwarten können, dass sie sich besser schützen konnten als andere Reisende?
Andererseits waren Soldaten die einzige Gruppe im Imperium mit einem regelmäßigen Gehalt; es lohnte sich also für Räuber, sie auszurauben, und ihre Angehörigen hatten genug Geld für einen Grabstein mit Inschrift gesorgt. So überdauerte nicht nur ihr Name über Jahrtausende hinweg, sondern auch die Todesursache blieb erhalten. Auch Amtsträger mit Eskorte waren vor Räubern nicht gefeit; in der nordafrikanischen Provinz Mauretania Caesariensis geriet Condonius, Ädil der Gemeinde Oppidum Novum, mit fünf Soldaten in einen Hinterhalt und wurde ermordet.
Selbst Kinder waren als Mordopfer zu beklagen: Im zarten Alter von zwei Monaten und 27 Tagen wurde Siricus im Jahr 382 n. Chr. durch das Schwert getötet. Und vor den Toren Roms starb zusammen mit sieben seiner Schüler der 28-jährige Lehrer Julius Timotheus bei einem Überfall auf seine Schulklasse durch Räuber. Selbst vor denen war man nicht sicher, die eigentlich Schutz bieten sollten: Ein Unbekannter wurde gemeinsam mit seinem Sohn in Timacum Minus von stationarii getötet – also von Soldaten, die an Checkpoints eingesetzt waren zur Gewährleistung der Sicherheit auf den Straßen.
Offensichtlich entwickelten einige von ihnen kriminelle Energie zur Aufbesserung ihres Soldes. Es kam auch vor, dass militärische Vorgesetzte durch ihre eigenen Sklaven oder Soldaten zu Tode kamen. Aus Virunum in Noricum im heutigen Kärnten stammt ein Grabstein eines Aggaeus, der durch die „Gewalt der Soldaten“ (vi militum) ums Leben kam; Aggaeus hatte als Unteroffizier (hexarchus) in einer Reitereinheit gedient – der Ala Celerum – die Mitte des 3. Jahrhunderts n.Chr. in den östlichen Provinzen aufgestellt worden war; diese „Soldaten“ waren vermutlich Angehörige seiner eigenen Einheit gewesen. Besonders tragisch traf es den Viehzüchter Jucundus aus Mainz; er war Freigelassener des Marcus Terentius und konnte nicht älter als 30 Jahre werden: „Denn mein Sklave entriss mir das Leben und selbst hat er sich kopfüber in den Fluss gestürzt.“ So nahm ihm das Wasser weg, was er seinem Herrn gestohlen hatte.”