Abschied vom Bankgeheimnis: Wer profitiert von der Offenheit?

Ein hoher Stellenwert wird dem Schutz von Finanzinformationen beigemessen, da Regierungen häufig erheblichen Druck auf die Opposition oder einzelne Kritiker des Regimes ausüben. In Ländern wie Deutschland, der Schweiz und vielen Teilen Europas ist zwar eine gewisse Rechtssicherheit vorhanden. Doch die politische Lage wird weniger günstig, je näher man an die Randgebiete des Alten Kontinents kommt. Die Sorgen über zu viel Transparenz nehmen unter denjenigen zu, die sich bewusst werden, dass der zunehmend bedeutende Informationsaustausch bald auch Staaten und staatliche Institutionen mit fragwürdiger demokratischer Legitimation begünstigen könnte.
Wo zieht man also die Grenzen? Diese Bedenken wachsen nicht nur im Hinblick auf die Gräueltaten, die während der Zeit des Nationalsozialismus begangen wurden. Von weit größerer Aktualität sind die politischen Umwälzungen in Syrien, Ägypten und Tunesien. Es besteht kein Zweifel, dass die Machthaber in diesen Ländern ein starkes Interesse daran haben, herauszufinden, über welche Kanäle sich die oppositionellen Bewegungen finanzieren. Könnten diese Bewegungen überleben, wenn die Behörden Zugang zu entsprechenden Konten erhalten und diese unter Verdacht auf Steuervergehen einfrieren? Wie viele Menschen würden wohl in Lateinamerika entführt und mit Lösegeldforderungen konfrontiert werden, wenn die Behörden Informationen über ausländische Konten einsehen könnten?
Anders formuliert: Es sind stets Oppositionelle, Regimekritiker, Intellektuelle und andere Nonkonformisten, die durch den Respekt vor ihrer Privatsphäre Schutz finden, was selbstverständlich auch für den Bankensektor gilt. Umgekehrt gilt: Je menschenverachtender ein Regime agiert, desto gravierender werden die Folgen für die Oppositionellen sein, wenn finanzielle Transparenz unter Missachtung jeglicher Privatsphäre durchgesetzt wird. Um konkrete Beispiele zu finden, müssen wir nicht in graue Vorzeiten zurückblicken. Im oben geschilderten Fall von Mansour ging es nicht um politisch inaktive Schweizer Verwaltungsräte, sondern um den Eigentümer der Bank, den Ägypter Youssef Nada. Dieser war als Mitglied der Muslim-Bruderschaft Teil der ägyptischen Opposition.
Als Besitzer eines Industrieimperiums, das von Zementproduktion bis zu Banken reichte, war er finanziell äußerst einflussreich und stellte ein Dorn im Auge der damals vom Westen anerkannten Regierung Mubarak dar. Es genügte bereits, seinen Namen der internationalen Gemeinschaft als potenziellen Sympathisanten von Terroristen zu nennen, und schon waren er und sein Imperium ruiniert. Youssef Nada blieb bis 2009 auf der schwarzen Liste der Vereinten Nationen. Acht lange Jahre war die Opposition in Ägypten stark geschwächt, und Youssef Nada als deren Vertreter durfte die italienische Enklave Campione nicht verlassen. Dies geschah alles ohne dass die ägyptische Regierung auch nur ansatzweise rechtlich verwertbare Beweise hätte vorlegen müssen. Es genügte, dass sein Name auf eine UN-Liste gesetzt wurde; den Rest übernahmen die Vereinigten Staaten, die UNO und die Schweiz. Weder bei der Al-Taqwa-Bank noch bei Youssef Nada konnten jemals strafrechtlich relevante Fehler festgestellt werden.
Alle Verfahren wurden letztendlich eingestellt. Youssef Nada klagte schließlich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gegen die Schweiz, gewann 2012 und erhielt von der Eidgenossenschaft beziehungsweise deren Steuerzahlern Schadensersatz. Die Regierung Mubarak wurde 2012 gestürzt; ihr werden massive Rechtsverletzungen vorgeworfen – die Partei von Youssef Nada stellte daraufhin die neue Regierung. Hätte der Sturz Mubaraks früher stattgefunden, wenn die UNO und die Schweiz nur aufgrund konkreter und glaubhaft dokumentierter Verdachtsmomente gegen die Al-Taqwa-Bank und deren Vertreter vorgegangen wären? Damals hätte die Schweiz als Nicht-UNO-Mitglied noch Wahlmöglichkeiten gehabt; heute ist sie wie Deutschland und andere Länder verpflichtet, UNO-Sanktionen umzusetzen.
Ob die Partei von Herrn Nada demokratischer und menschenrechtsfreundlicher war oder ist als die Partei von Herrn Mubarak, bleibt dahingestellt. Das Beispiel zeigt jedoch deutlich, dass sich der Westen mit jeder Information, die er den Behörden eines anderen Landes über deren Bürger erlaubt und mit jeder Handlung gegen deren Firmen und Landsleute ohne gründliche fallweise Prüfung vornimmt, letztendlich nicht nur gegen das Regime richtet, sondern auch die Opposition im weitesten Sinne schwächt. Eine starke Opposition ist jedoch das beste Qualitätssicherungssystem für jede Regierung. In der laufenden Debatte um das Bankgeheimnis wird argumentiert, dass steuerliche Sammelanfragen oder gar automatische Datenübermittlungen nur Regierungen von rechtsstaatlich „sauberen“ Ländern gewährt werden sollten.
Schnell stellt sich die Frage, wer letztendlich darüber entscheidet, ob eine Regierung das geforderte Vertrauen in Bezug auf den Informationsaustausch verdient? Und wer legt fest, wann Oppositionelle innerhalb eines Staates schutzbedürftig sind, weil die Machthaber zunehmend demokratische Prinzipien untergraben? Ägypten unter Muhammad Husni Mubarak wurde lange Zeit als demokratisches Modell in der arabischen Welt angesehen.
Herr Mubarak kam durch Wahlen an die Macht und war während seiner dreißigjährigen Amtszeit bis kurz vor seinem Rücktritt ein angesehenes Mitglied der Sozialistischen Internationalen. Sein Vorgänger, Muhammad Anwar as-Sadat, war sogar Friedensnobelpreisträger. Ist es gerechtfertigt, dass wir in unserem eigenen Land Computer nicht nutzen dürfen, um potenzielle Terroristen zu identifizieren und dadurch die Polizeiarbeit zu optimieren, während wir gleichzeitig sensible Finanzdaten pauschal an ausländische Behörden weitergeben? Wie verhalten wir uns weiter, wenn Russland mit entsprechenden Informationsanforderungen auf uns zukommt und dabei lediglich eine Gleichbehandlung mit anderen Staaten fordert? Wird dann die Stabilisierung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Ländern entscheidend ins Gewicht fallen – mit der Folge, dass unsere Behörden einem Informationsaustausch zustimmen?
Es ist eine komplexe Angelegenheit zu beurteilen, wer neu in den Kreis der vertrauenswürdigen Staaten aufgenommen wird, denen ein verantwortungsvoller Umgang mit den Finanzdaten ihrer Bürger bescheinigt wird. Die Situation wird zudem dadurch erschwert, dass der Informationsaustausch nur dann steuerlich sinnvoll ist, wenn möglichst alle relevanten Finanzplätze erfasst werden.
Allein das Fehlen eines bedeutenden Finanzplatzes wie der Schweiz könnte ein erhebliches Problem darstellen. Zudem impliziert der Begriff Datenaustausch bereits eine Gegenseitigkeit, die der Öffentlichkeit oft vorenthalten wird. Noch herausfordernder als die Frage, wann ein Land neu in den Datenaustausch aufgenommen werden sollte, ist jedoch die Überlegung, ab wann ein Land wieder ausgeschlossen wird. Auch hier bedarf es keiner weitreichenden historischen Rückschau oder Exkursionen in ferne Länder, um auf interessante Fragestellungen zu stoßen.
Am 11. März 2013 erschien beispielsweise auf der Nachrichtenplattform »Spiegel Online« folgender Artikel: »Umstrittene Verfassungsänderung: Ungarn verabschiedet sich vom Rechtsstaat. Mitten in Europa gibt ein Land das Prinzip des Rechtsstaats auf; Ungarn entmachtet sein Verfassungsgericht. Premier Orbán stärkt massiv seinen Einfluss, Bürgerrechte werden eingeschränkt.« Ob die Maßnahmen von Regierungschef Orbán tatsächlich gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen haben, wird je nach politischer Perspektive unterschiedlich bewertet. Die Nachricht verdeutlicht jedoch exemplarisch, dass selbst innerhalb der Europäischen Union keine absolute Garantie besteht, dass ein Staat in seiner Beziehung zum Bürger immer so funktioniert, wie es theoretisch vorgesehen ist.
Sollte sich die Auffassung festigen, dass Ungarn sich von rechtsstaatlichen Grundsätzen entfernt, wird zu klären sein, wer wann entscheidet, dass den ungarischen Behörden der Zugang zu den Finanzdaten ihrer Bürger verwehrt wird. Damit steigen jedoch auch die Bedenken hinsichtlich der Daten, die bereits übermittelt wurden und dem Regime weiterhin uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Je länger man darüber nachdenkt, desto deutlicher wird das Bewusstsein für die Problematik der totalen Transparenz. So viel Zustimmung diese Idee in unserer heutigen Zeit auch erfahren mag, so sehr sollten wir uns bewusst sein, dass sie uns erheblich beeinträchtigen kann. Transparenz nützt letztlich immer den Mächtigen und wirtschaftlich Starken. Die Leidtragenden sind stets die Oppositionellen.
Diese Erkenntnis hat breite Teile der Bevölkerung sowie der Politik und Medien zu einer kritischen Haltung gegenüber dem Datenhunger von Polizei und Geheimdiensten bewegt. Historische Erfahrungen haben Eingang gefunden in die Verfassungen vieler europäischer Länder, welche dem Datenhunger der Regierenden Grenzen setzen. Es ist an der Zeit, auch die Steuerbehörden als eine Institution zu betrachten, die den Regierenden dient. Diese wird schwerlich Informationen vor dem Geheimdienst verbergen können, auch wenn ihr Name bei vielen Menschen eine besondere Wirkung entfaltet. Je länger darüber nachgedacht wird, desto größer wird das öffentliche Bewusstsein für die Probleme im Zusammenhang mit der Idee der totalen Transparenz.