Gesetzliche Krankenversicherung: “Zwei-Klassen-Gesellschaft, deren Kluft sich mit jedem Leistungsabbau vertieft”

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Im Zusammenhang mit dem Sozialversicherungssystem wird oft der Begriff der sozialen Hängematte verwendet. Dieses System soll sämtliche Lebensrisiken absichern, und der Anspruch darauf wird als eine Art von “grenzenlosem Tarif” beschrieben, auf den alle ohne Einschränkungen zugreifen können. In der Realität erfahren jedoch vor allem Geringverdiener innerhalb dieses Systems eine Diskriminierung.

“Die Sozialabgaben bevorzugen die Reichen”

>>Süddeutsche Zeitung<<

“Die Sozialabgaben bevorzugen die Reichen – Ob arm oder reich: Die Sätze für die Sozialabgaben sind für alle praktisch gleich hoch. … Sie benachteiligt Geringverdiener. Sich dieses Problems anzunehmen, wäre ein wirklich großer politischer Schritt. Den aber wagt bislang niemand. Mehr als das Bruttogehalt interessiert die Menschen, wie viel Geld tatsächlich aufs Konto kommt. Der Arbeitgeber überweist von der Bruttosumme einerseits die Steuern ans Finanzamt und andererseits die Sozialabgaben an die Kassen. Die Steuersätze sind in Deutschland progressiv gestaltet, das heißt: Wer mehr verdient, muss auch anteilig mehr zahlen. Das ist ein einfaches und gerechtes Prinzip, das leider für die Sozialversicherungen nicht gilt.”

“Mehr als das Bruttogehalt interessiert die Menschen, wie viel Geld tatsächlich aufs Konto kommt”

Selbst Personen mit geringem Einkommen sind demnach verpflichtet, den kompletten Sozialbeitrag – ohne jegliche Ausnahme – zu entrichten. Im Gegensatz zur Lohnsteuer, bei der es noch einige Möglichkeiten gibt, eine Rückerstattung zu erhalten, ist die Situation bei den Sozialbeiträgen äußerst ungünstig. Dieses Geld ist tatsächlich dauerhaft verloren. Zudem ist auch die Höhe der Beiträge alarmierend.

“Sozialabgabensätze” – “Sie liegen jetzt über der Grenze von 40 Prozent”

>>Handelsblatt<<

“Wie viel ist uns unser Sozialsystem wert? Nicht genug, findet die Bundesregierung. Seit sie im Amt ist, hat sie die Sozialabgabensätze mehrmals angehoben. Sie liegen jetzt über der Grenze von 40 Prozent. Die hat die Große Koalition noch als kritisch erklärt. Für Arbeitgeber, für Unternehmen, für die Akzeptanz des gesamten Systems.”

“40 Prozent” – Bemessungsgrenze für die Vermögenssteuer oder Sozialbeiträge?

Der Satz für die Sozialbeiträge – ohne Berücksichtigung von Steuern – erreicht ein Niveau, das an anderen Orten lediglich für hohe Vermögen zur Besteuerung herangezogen wird. Selbst Personen mit geringem Einkommen sind von diesem hohen Beitragssatz betroffen. Doch wie steht es tatsächlich um die oft erwähnte “soziale Hängematte”? Diese weist zahlreiche und erheblich große Löcher auf.

“Bringen sie Strafzahlungen für Patienten ins Spiel, die ihrer Ansicht nach übermäßig häufig bei Fachärzten vorstellig werden”

>>Spiegel<<

” Bis 2012 gab es in Deutschland die Praxisgebühr: 10 Euro musste jeder Patient beim Arzt bezahlen, das sollte vor unnötigen Arztbesuchen abschrecken, so war die Idee. Das System wurde zwar wieder abgeschafft. Die Kassenärzte in Deutschland machen sich nun aber wieder für eine – womöglich ähnlich gelagerte – Einschränkung von Arztbesuchen stark. Dabei bringen sie Strafzahlungen für Patienten ins Spiel, die ihrer Ansicht nach übermäßig häufig bei Fachärzten vorstellig werden. “Es kann dauerhaft kaum jedem Patienten sanktionsfrei gestattet bleiben, jeden Arzt jeder Fachrichtung beliebig oft aufzusuchen, und oft noch zwei oder drei Ärzte derselben Fachrichtung”, sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, der “Neuen Osnabrücker Zeitung”. “Derzeit wird das nicht kontrolliert. Die Gesundheitskarte funktioniert wie eine Flatrate, und es gibt Patienten, die das gnadenlos ausnutzen.”

“Es kann dauerhaft kaum jedem Patienten sanktionsfrei gestattet bleiben, jeden Arzt jeder Fachrichtung beliebig oft aufzusuchen”

Die Vertreter des Verbands sprechen nur selten über die hohen Beitragssätze, hingegen wird umso häufiger das Thema Einsparungen – also Leistungskürzungen – angesprochen. Selbst die Möglichkeit, den Arzt frei zu wählen, könnte in Frage gestellt werden. Doch damit ist längst nicht alles gesagt.

“112 wählen kann teuer werden”

>>Merkur<<

“112 wählen kann teuer werden – Neue Regelung sorgt für Unmut in neun Landkreisen – Hintergrund ist ein Streit zwischen Krankenkassen und Landkreisen. Wer den Notruf 112 wählt, müsste in manchen Fällen dann über 200 Euro zahlen.”

“Wer den Notruf 112 wählt, müsste in manchen Fällen dann über 200 Euro zahlen”

Selbst Personen mit geringem Einkommen wären demnach gezwungen, diese zusätzlichen Kosten selbst zu tragen. Gleichzeitig erscheint es äußerst merkwürdig, warum ein fragwürdiger Konflikt zwischen staatlichen Institutionen gerade auf Kosten der Bürger ausgetragen wird. Dennoch fügt sich diese Art der Zuzahlung nahtlos in das System weiterer Zusatzkosten und Leistungseinschränkungen ein.

“GKV-Neuordnungsgesetz” – “Umfangreiche Zuzahlungen und Leistungskürzungen beschlossen”

>>Staat im Ausverkauf von Tim Engartner (Buch) <<

“So wurden mit dem zweiten GKV-Neuordnungsgesetz 1997 und dem GKV-Modernisierungsgesetz 2004 umfangreiche Zuzahlungen und Leistungskürzungen beschlossen: Zuzahlungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel, die Abschaffung von Leistungen wie Sterbegeld, Entbindungsgeld, Sehhilfen und die Einschränkung wesentlicher zahnärztlicher Leistungen. Ab 2005 müssen Zahnersatzleistungen in vollem Umfang privat abgesichert oder selbst finanziert werden; das Gleiche gilt für Kosten, welche die befundbezogenen Festzuschüsse überschreiten.”

“Abschaffung von Leistungen wie Sterbegeld, Entbindungsgeld, Sehhilfen und die Einschränkung wesentlicher zahnärztlicher Leistungen”

In Anbetracht dieser umfangreichen Aufzählung von Zuzahlungen erscheint die häufig propagierte “Flatrate-Theorie” doch recht gewagt. Darüber hinaus hat sich sogar im Rahmen der öffentlichen Gesundheitsversorgung eine Art von Zwei-Klassen-System herausgebildet.

“Innerhalb der GKV herrscht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft”

>>Staat im Ausverkauf von Tim Engartner (Buch) <<

“Die Grenze verläuft nicht zwischen vermeintlichen Freunden des Marktes und staatstreuen »Kassenfans«, sondern – zumindest der Tendenz nach – zwischen Arm und Reich. … Aber auch innerhalb der GKV herrscht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, deren Kluft sich mit jedem Leistungsabbau vertieft: Auf der einen Seite stehen Versicherte, die über die Krankenversicherungskarte nach dem Sachleistungsprinzip abgerechnet werden, auf der anderen Seite die praktisch »Privatversicherten« innerhalb der Gesetzlichen, die das nötige Geld aufwenden können, um nach dem Kostenerstattungsprinzip zusätzliche Leistungen über private Zusatzversicherungen oder sogenannte individuelle Gesundheitsleistungen – besser bekannt als IGeL-Leistungen – in Anspruch zu nehmen.”

“Zwei-Klassen-Gesellschaft, deren Kluft sich mit jedem Leistungsabbau vertieft”

Anstatt einen Ausgleich zu schaffen, trägt das Sozialversicherungssystem vielmehr dazu bei, dass die soziale Ungleichheit weiter zunimmt. Gleichzeitig wirft dies die Frage auf, inwiefern dies noch mit dem Konzept der sozialen Gerechtigkeit aus dem Grundgesetz vereinbar ist, wenn Arbeitnehmer – insbesondere solche mit niedrigem Einkommen – hohe Sozialabgaben und gleichzeitig erhebliche Zuzahlungen leisten müssen. Zudem sollte geklärt werden, in welchem Maße diese Belastung mit dem gerichtlichen Verbot der finanziellen Erdrosselung in Einklang steht.