Antike Juristerei als Hokuspokus
Unter den christlichen Kaisern der Spätantike herrschte eine ausgeprägte Angst vor magischen Praktiken, wobei der Vorwurf der Magie häufig als Vorwand genutzt wurde, um politische Rivalen auszuschalten. Besonders geschickt war hierbei der Pannonier Maximinus, der aus einfachen Verhältnissen stammte und als juristischer Experte Karriere machte. In den 360er Jahren stieg er zunächst zum Statthalter von Korsika, Sardinien und Etrurien auf und wurde dann praefectus annonae, zuständig für die Getreideversorgung Roms, sowie schließlich Stellvertreter (vicarius) des kranken Stadtpräfekten Olybrius.
Maximinus informierte den in Trier residierenden Kaiser Valentinian (364–375 n. Chr.), dass Olybrius durch Giftmischerei und schwarze Magie außer Gefecht gesetzt worden sei. Mit einem kaiserlichen Edikt ausgestattet, das ihm erlaubte, auch honorige Bürger zu foltern, startete er eine regelrechte Hexenjagd auf die römische Aristokratie, über die Ammianus Marcellinus ausführlich berichtete. Unter den Angeklagten war ein junger Mann namens Lollianus, Sohn des ehemaligen Stadtpräfekten Lampadius, der in Anwesenheit von Maximinus befragt und für schuldig befunden wurde, als Minderjähriger ein Buch über schädliche Zauberkünste verfasst zu haben. Auf Anraten seines Vaters wandte sich Lollianus persönlich an den Kaiser und beantragte ein Appellationsverfahren gegen die drohende Verbannung. Doch wie Ammianus es formuliert, kam er „vom Regen in die Traufe“: Er wurde an den Statthalter der Provinz Baetica in Spanien überstellt und fand dort durch das Henkerbeil sein Ende.
Ein weiterer Angeklagter, Campensis, wurde wegen Wahrsagerei verbrannt. Andere wurden der Giftmischerei und ähnlicher Vergehen beschuldigt. Währenddessen profitierte Maximinus vom beschlagnahmten Vermögen der Verurteilten. 371 n. Chr. wurde er zum Prätorianerpräfekten der gallischen Provinzen befördert und setzte seine Denunziationen gegen führende Vertreter der senatorischen Elite fort, bevor er selbst unter Gratian (375–383 n. Chr.) Opfer von Säuberungen wurde. Um wegen magischer Delikte vor Gericht gestellt zu werden, musste man nicht unbedingt wohlhabend oder angesehen sein.
Die meisten dieser Prozesse fanden nicht in der Hauptstadt statt, sondern in abgelegenen Provinzen, wo kein Ammianus Marcellinus die Vorgänge für die Nachwelt festhielt. Durch einen glücklichen Umstand sind wir jedoch über ein Verfahren gegen Magie informiert, das vor dem Gericht des Prokonsuls der Provinz Africa in Sabratha an der heutigen libyschen Küste stattfand. Angeklagt wegen magischer Praktiken war der um 123 n. Chr. im nordafrikanischen Madauros geborene Schriftsteller, Philosoph und Redner Apuleius. Seiner künstlerisch gestalteten Verteidigungsrede verdanken wir zahlreiche Details über den Umgang mit Magie im römischen Afrika des 2. Jahrhunderts n. Chr., allerdings aus seiner einseitigen Perspektive, in der er sich als Opfer einer Verschwörung darstellt. Apuleius verließ um 140 n. Chr. seine Heimatstadt als junger Mann und ließ sich in Karthago, dem Zentrum des römischen Nordafrika, zum Redner ausbilden. Schließlich zog es ihn nach Athen, das nach wie vor ein intellektuelles Zentrum im Mittelmeerraum war.
Dort hörte er bei bedeutenden Philosophen seiner Zeit und ließ sich in verschiedene Mysterienkulte einweihen. Auf sein Studium folgten ausgedehnte Reisen durch Griechenland und Kleinasien sowie ein längerer Aufenthalt in Italien. In Rom arbeitete er als Anwalt und lebte möglicherweise eine Zeit lang in Ostia, einer Hafenstadt. Während einer Reise nach Alexandria erkrankte Apuleius in Oea (Tripolis) und fand Unterkunft bei der wohlhabenden Familie des Pontianus, eines jüngeren Freundes aus Studienzeiten, mit dem er eine Studentenunterkunft geteilt hatte.[28] Pontianus’ Mutter Pudentilla befand sich indes in einer schwierigen Lage: Ihr Mann war viele Jahre zuvor gestorben und ihr Schwiegervater versuchte seitdem, ihr Erbe anzufechten. Apuleius kam daher gerade rechtzeitig: Pontianus setzte alles daran, zwischen seiner Mutter und seinem Freund eine Ehe zu arrangieren, um Pudentilla aus den Fängen ihres Schwiegervaters zu befreien. Er selbst heiratete zudem die Tochter des verarmten und geldgierigen Rufinus. Rufinus erkannte schnell die Gelegenheit und drohte Pontianus damit, ihm seine Tochter zu entziehen, sollte die Hochzeit zwischen Pudentilla und Apuleius nicht abgesagt werden.
Doch Pudentilla durchschaut das Spiel und bleibt unbeirrt bei ihren Heiratsplänen. Rufinus geriet darüber so in Rage, dass er zunächst Pudentilla vor ihrem Sohn als „Liebchen“ (amatrix) bezeichnete, das seines Schlafzimmers würdig sei; außerdem beschimpfte er Apuleius öffentlich als Zauberer und Giftmischer. Es gelang ihm, einen Keil zwischen Pontianus und seinen Freund zu treiben und den jungen Mann davon zu überzeugen, Apuleius sei ein Magier. Zudem verbreitete er einen Satz aus einem auf Griechisch verfassten Brief Pudentillas an Pontianus: „Apuleius ist ein Zauberer, und er hat mich so verhext, dass ich ihn liebe, komm also zu mir, solange ich noch bei Sinnen bin.“ Diese sinngemäßen Aussagen waren aus dem Kontext gerissen worden. Der Rest des Briefes war unleserlich gemacht worden, sodass der Eindruck entstand, auch Pudentilla halte Apuleius für einen Magier. Vor Gericht konnte Apuleius jedoch den vollständigen Wortlaut des Briefes vorlegen, mit dem Pudentilla versucht hatte, ihren Sohn von der Absurdität der gegen Apuleius erhobenen Vorwürfe zu überzeugen. Um den Konflikt zu lösen, beschloss Pudentilla auf Anraten von Apuleius bereits zu Lebzeiten ihrem Sohn Pontianus sowie dessen jüngeren Bruder Pudens ihr Erbteil auszuzahlen. Doch kurz darauf starb unerwartet Pontianus; seine Frau ging bei der Erbschaft leer aus.
Pudens zerstritt sich mit seiner Mutter und zog zu seinem Onkel Aemilianus, der ebenfalls die Gelegenheit witterte an einen Teil des Vermögens zu gelangen und sich mit Rufinus gegen Pudentilla verbündete. Folglich enterbte sie ihren jüngeren Sohn und setzte Apuleius zum Alleinerben ein. In dem Prozess vor dem Prokonsul Claudius Maximus in Sabratha wurde Pudentilla von Apuleius vertreten; Pudens hingegen von Aemilianus. Aemilianus beging jedoch gleich zu Beginn seines Plädoyers den fatalen Fehler, Apuleius des magica maleficia sowie im Zusammenhang damit des Mordes an seinem Stiefsohn Pontianus zu bezichtigen. Der Fall Pudentilla war damit zum Fall Apuleius geworden.