Über Giftmischerinnen & Drogendealern in der Antike
Gifte und berauschende Substanzen stellen keine Erfindung der modernen Zeit dar Bereits im Altertum griff man häufig zu Giften, um unerwünschte Personen aus dem Leben zu entfernen. Der Athener Denker Sokrates fand sein Ende durch den Schierlingsbecher, während der römische Kaiser Claudius angeblich durch ein Ragout aus giftigen Pilzen starb. Auch die ägyptische Königin Kleopatra, die sowohl mit Caesar als auch mit Marcus Antonius eine Beziehung hatte, starb entweder durch einen Schlangenbiss oder durch eine vergiftete Haarspange. Es ist jedoch zu beachten, dass nicht jeder, der zu verbotenen Mitteln griff, Mord oder Selbstmord im Sinn hatte. Halluzinogene waren in der Antike ebenso populär wie heute, und viele Menschen waren nicht nur dem Alkohol verfallen.
Wenn es eine undankbare Aufgabe am Hof des Königs Mithradates VI. Eupator von Pontos gab, dann war es die des Vorkosters. Der König war alles andere als feige. Im Jahr 88 v. Chr. ließ er in Kleinasien 80.000 Römer und Italiker töten, um dem aufgestauten Hass gegen die Herrscher vom Tiber – insbesondere deren Steuereintreiber – Luft zu verschaffen. Unmittelbar nachdem er 120 v. Chr. im zarten Alter von elf Jahren den Thron des kleinasiatischen Landes bestiegen hatte, zog er sich in die Berge zurück und lebte sieben Jahre lang als einfacher Hirte, um den Mordplänen seiner eigenen Mutter, der Königin, zu entkommen. Er führte drei Kriege gegen das mächtige Rom und versetzte die Republik jedes Mal in Angst und Schrecken. An Mut mangelte es Mithradates also gewiss nicht. Dennoch litt er ein Leben lang unter einer lähmenden Angst vor Vergiftung. Sein Vater, Mithradates V. Euergetes, war 120 v. Chr. während einer Hochzeitsfeier vergiftet worden, und die Täter blieben unbekannt. War Laodike, die Frau des Euergetes und Mutter Eupators – eine seleukidische Prinzessin mit eigenen Machtambitionen – hinter diesem Anschlag? Solche Intrigen hatten grausame Vorbilder; Alexanders Mutter Olympias ist nur das bekannteste Beispiel. Gerüchte besagten hartnäckig, sie sei für den frühen Tod ihres Mannes Philipp verantwortlich gewesen. Wollte Laodike vielleicht auf diese Weise sicherstellen, dass ihr Lieblingssohn Chrestos die Nachfolge antreten konnte und nicht Mithradates?
Der Geschichtsschreiber Justin berichtet, dass Mithradates bereits in seiner Jugend mit verschiedenen Antidoten experimentierte, um sich gegen Vergiftungen abzusichern. Auf diese Weise konnte er mehrere Mordversuche vereiteln. Der Grammatiker Aulus Gellius informiert uns darüber, dass in Pontos eine Entenart lebte, die sich hauptsächlich von giftigen Pflanzen ernährte. Mithradates, der sich bestens mit pharmazeutischen Fragen auskannte, soll das Blut dieser Enten mit einem Extrakt aus antidotischen Heilpflanzen vermischt und daraus Tabletten hergestellt haben, von denen er täglich eine einnahm. So war er vor jedem Gift geschützt, das ihm Attentäter in seine Speisen mischen könnten. Gellius berichtet sogar, dass der König es sich zur Gewohnheit machte, vor Publikum absichtlich tödliche Dosen eines Giftes zu konsumieren, ohne dabei gesundheitliche Schäden zu erleiden – dank seiner gründlichen Prophylaxe. Gellius nennt als Quelle für diese Information Lenaios, einen Freigelassenen des Pompeius, der 64/63 v. Chr. für Rom den Sieg im Dritten Mithradatischen Krieg errang.
Der Arzt Galen, der im 2. Jahrhundert n. Chr. tätig war und als einer der produktivsten Fachautoren der Antike gilt, führt Mithradates gemeinsam mit Attalos III., dem letzten König von Pergamon (gestorben 133 v. Chr.), als Autorität in der Forschung über Gegengifte an. In seiner Schrift über Gegengifte lobt er ihn für die Erfindung des Mithridateion, eines universellen Antidots. Solche Alleskönner wurden von den Griechen thēriakón genannt – Tiertrank. Ähnlich wie Attalos experimentierte Mithradates an Verurteilten als menschlichen Versuchspersonen mit seinen Giftkräutern, um die Wirksamkeit des Theriak zu prüfen – in der Hoffnung, ein Gegenmittel gegen alle toxischen Substanzen zu entwickeln. Ob das Mithridateion tatsächlich Wunder bewirkte oder vielleicht nie existierte, bleibt ungewiss; sicher ist jedoch nur, dass antike Wissenschaftler fest davon überzeugt waren, dass es möglich sein müsste, ein universelles Antidot herzustellen.
Plinius der Ältere führt in seiner Naturgeschichte neben dem Mithridateion auch ein bereits bei Homer erwähntes Theriak namens moly sowie die Pflanzen Skordion (Lachenknoblauch) und Tausendgüldenkraut als wirksame Heilmittel gegen verschiedene durch künstlich hergestellte Gifte hervorgerufene Erkrankungen an. Pompeius soll die Schriften des pontischen Königs nach Rom gebracht haben; dort versuchten auch später zahlreiche Ärzte verzweifelt hinter das Geheimnis seiner Formel zu gelangen.
Welche Gifte Mithradates so sehr fürchtete und welche er seinem Theriak beimischte, bleibt unklar; die antiken Quellen geben darüber keine Auskunft preis. Man wusste gut um die toxische Wirkung vieler Kräuter wie Schierling oder Bilsenkraut sowie von Giftpilzen; auch mineralische Gifte wie Arsen-, Schwefel- und Quecksilberverbindungen waren bekannt und wurden in Pontos abgebaut. Gefährliche Tiere wie Spinnen und vor allem Schlangen fanden ebenfalls Verwendung: Von Kleopatra heißt es – wie bereits erwähnt –, sie habe ihren Selbstmord durch den Biss einer Viper herbeigeführt, die sie heimlich in ihre Zelle geschmuggelt hatte.
Mithradates könnte mit Arsen experimentiert haben und erkannt haben, dass eine langsame Gewöhnung an das Gift immun macht; jedenfalls gelang es ihm über Jahre hinweg, gegenüber mehreren toxischen Substanzen unempfindlich zu werden. Als er schließlich von Pompeius besiegt wurde und sein Sohn Pharnakes ihn herausforderte, wollte er im Alter seinem Leben durch Gift ein Ende setzen; dieser Plan scheiterte jedoch daran, dass sein Körper durch die jahrelange kontrollierte Einnahme von Gegengiften eine Resistenz gegen viele toxische Stoffe entwickelt hatte.
Mithradates starb im – für antike Verhältnisse – recht hohen Alter von fast 70 Jahren. Nicht jedem war dieses Schicksal beschieden; viele hatten sich nicht so gut gegen Giftanschläge wappnen können wie der pontische König selbst. Immer wenn jemand plötzlich starb, verbreiteten sich Gerüchte über mögliche Vergiftungen im Hintergrund: Livia soll zahlreiche Verwandte ihres Mannes mithilfe toxischer Mittel beseitigt haben; vom jüngeren Drusus wird gesagt, er sei vom Prätorianerpräfekten Sejan vergiftet worden; Caligula soll Gifte gesammelt haben; Nero räumte etliche seiner Widersacher mit Gift aus dem Weg; Domitian vergiftete seinen Bruder Titus und Hadrian seine Frau Sabina.
Ein gewisser Asprenas soll zu einem Bankett eingeladen haben; daraufhin starben 30 seiner Gäste an dem Gift in den Speisen. Die römischen Kaiser waren aus gutem Grund vorsichtig und ließen ihre Speisen von Vorkostern überprüfen; dennoch ließ sich hundertprozentige Sicherheit nicht gewährleisten – manchmal waren es sogar die Vorkoster selbst, die ihren Herren zum Verhängnis wurden.
Das wohl bekannteste Opfer eines Giftmordes dieser Zeit war Kaiser Claudius (41–54 n. Chr.). Claudius hatte das Imperium nach dem vierjährigen Terrorregime seines Neffen Caligula (37–41 n. Chr.) recht erfolgreich regiert: Er ließ Britannien für das Imperium erobern und machte zahlreiche Provinzbewohner zu Senatoren sowie viele Nicht-Römer zu Römern. Claudius war der erste Manager an der Spitze des Imperiums, der seine Freigelassenen – loyale und kompetente Männer – zu Ressortleitern machte.
Die große Schwäche des körperlich beeinträchtigten Monarchen waren Frauen: Seine Mesalliance mit Messalina, seiner eigenen Nichte, war berüchtigt geworden; aus den Fehlern dieser Ehe lernte Claudius jedoch nichts dazu. Nur ein Jahr nach Messalinas Sturz heiratete er 49 n. Chr. Agrippina – eine Tochter des Germanicus und somit erneut eine Nichte –, die im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin nicht als krankhafte Nymphomanin beschrieben wird; hinsichtlich ihrer Machtgier könnte sie jedoch Messalina sogar übertreffen.
Der Ehrgeiz der neuen Kaiserin richtete sich auf ihren gerade einmal 12-jährigen Sohn Nero aus erster Ehe: Sie plante dessen Nachfolge auf den Thron Claudius’ sicherzustellen; einzig Britannicus – der Sohn Claudius’ mit Messalina – stand diesem Ziel im Wege.
Agrippina schaffte es durch geschicktes Manipulieren zunächst den Kaiser von seinem Sohn zu entfremden und ihn dazu zu bringen Nero zu adoptieren; dennoch plagte sie ständig die Angst vor einem Sinneswandel Claudius’, der ihren Sohn möglicherweise noch vor dem Erreichen des Ziels absetzen könnte – Blut ist schließlich dicker als Wasser.
In diesem Kontext erschien Agrippina es ratsam zu sein alles dem Zufall zu entziehen und Claudius auszuschalten bevor dieser sein Testament ändern konnte: Die Gelegenheit bot sich als Claudius 54 n. Chr., schwer erkrankte und sich wegen des milden Klimas in die Küstenstadt Sinuessa begab.
Agrippina war fest entschlossen dem Leben ihres Mannes durch Gift ein Ende zu setzen; allerdings stellte sich ihr die Frage: Wie sollte sie dies anstellen? Sie befürchtete eine schnell wirkende Substanz könnte sie verraten während ein schleichendes Gift möglicherweise Claudius Zeit zur Überlegung geben würde.
Tacitus und Cassius Dio berichten übereinstimmend davon Agrippina habe über Locusta – eine stadtbekannte Giftmischerin mit krimineller Vergangenheit – ein wirksames Gift beschafft und es dem Vorkoster Halotus in das Essen für Claudius gegeben lassen; Cassius Dio fügt hinzu Agrippina habe selbst davon gegessen aber darauf geachtet dass Halotus nur Claudius das vergiftete Gericht servierte.
Es handelte sich um ein Pilzgericht, Sueton liefert zudem eine alternative Version nach welcher Agrippina ihrem Mann ein Ragout aus giftigen Pilzen vorsetzte – Pilze waren Claudius Leibspeise gewesen.
Eine dritte Variante berichtet davon dass Claudius nach dem Genuss des vergifteten Essens zunächst übergeben musste woraufhin ihm eine zweite letale Dosis des Giftes verabreicht wurde: Den Tod des Kaisers hielt man so lange geheim bis Agrippina ihre Position bezüglich der Nachfolge gesichert hatte.
Flavius Josephus war der erste Historiker der das Gerücht verbreitete Claudius sei vergiftet worden; alle späteren Quellen stimmen darin überein dass Claudius durch Gift starb jedoch gehen die Meinungen über Art des Giftes sowie dessen Verabreichung auseinander.
Sueton stellt sogar kategorisch fest dass Claudius durch Gift beseitigt wurde was allgemein als Konsens galt – respektive Convenit.
Dennoch ist Vorsicht geboten: An Geschichten über Giftmischerinnen mangelt es in der antiken Literatur ebenso wenig wie an Frauenfiguren welche ihre Pulver und Tinkturen benutzten um ihre Gegner auszuschalten.
Medea ist das archetypische Beispiel aller Giftmörderinnen: Sie tötete ihre Rivalin Glauke mit einem vergifteten Kleid indem sie ankündigte. Tatsächlich verbrannte das Gift des Kleides Kreons Tochter bei Berührung.
Mit diesem grausamen Mord nahm Medea Rache für den Verrat den Jason ihr angetan hatte: Das Stereotyp vom Gift als Mordwerkzeug welches vorzugsweise Frauen verwenden zieht sich durch griechische sowie lateinische Literatur wie ein roter Faden hindurch.
Deïaneira beispielsweise – Tochter des Königs Oineus bekannt für seine Weinproduktion – bestrich ein Hemd mit dem giftigen Blut des Kentauren Nessos um es ihrem Mann Herakles anzuziehen: Das Hemd fraß sich fest an Herakles’ Körper was ihm so große Schmerzen bereitete dass er sich selbst auf dem Scheiterhaufen verbrannte.
Für Deïaneira gelten mildernde Umstände da sie glaubte das Blut des Nessos sei ein Mittel zur Sicherung der Liebe ihres Gatten welcher kein Kostverächter war; um die toxische Wirkung wusste sie nichts.
Unwissenheit kann hingegen fiktiven Hexe Canidia nicht zugestanden werden: Sie plant einen Jungen zu entführen um aus seinen Eingeweiden einen Liebestrank herzustellen doch dieser kann entkommen und verflucht die giftige Zauberin.
An anderer Stelle hat Horaz scherzhaft Canidia verdächtigt sein Essen vergiftet zu haben weil ihm Knoblauch unerträgliche Blähungen bereitet hat.
Auch am römischen Kaiserhof traten immer wieder Giftmischerinnen auf: Germanicus kam 19 n.Chr., unter mysteriösen Umständen ums Leben während einer Orientmission was sofort Gerüchte über einen Mord aufwarfen insbesondere da er zuvor heftig mit dem Statthalter Syriens Gnaeus Calpurnius Piso gestritten hatte sodass schnell Verdacht auf Piso fiel.
Ebenso wurde Pisos Frau Plancina angeklagt welche angeblich diverse schwarze Künste beherrschte: Diese Dame wiederum stand in Verbindung mit einer gewissen Martina einer notorischen Giftmischerin welche zur Gerichtsverhandlung nach Rom gebracht werden sollte aber ihrem Leben in Brundisium durch eigenes Gift selbst ein Ende setzte – versteckt in ihrem Haar.
Tacitus stellt fest dass man später keinerlei Spuren von Gift an ihrem Körper fand was ihn verwundert.
Die von Tacitus sowie Cassius Dio erwähnte Giftmischerin Locusta soll längere Zeit ihr Unwesen in Rom getrieben haben: Für Nero sollte sie 55 n.Chr., ein Mittel zubereiten um seinen Stiefbruder Britannicus loszuwerden da dieser legitime Sohn Claudius’ eine Bedrohung für seine Herrschaft darstellte und schnellstens entfernt werden musste.
Nero ließ über den Prätorianertribun Julius Pollio bei Locusta ein Mittel bestellen welches Britannicus durch seine Erzieher verabreicht werden sollte doch wirkte das erste Gift für Neros Geschmack nicht schnell genug da Britannicus mehrfach erbrach.
Deshalb forderte Nero ein stärkeres Gift an welches direkt neben dem Schlafgemach seines Stiefbruders zubereitet wurde während dieser gerade versuchte sich von der ersten Vergiftung zu erholen: Da die Mahlzeiten am kaiserlichen Hof vorgekostet wurden um keinen Verdacht aufzukommen ließ man Britannicus zuerst ein bereits vorgekostetes Getränk reichen welches zwar nicht vergiftet aber viel zu heiß war sodass Britannicus ablehnte.
Daraufhin kam nun das angenehm temperierte Gift zum Einsatz „Es drang ihm so durch alle Glieder dass es ihm Stimme und Atem zugleich raubte“ beschreibt Tacitus die verheerende Wirkung dieses Toxins: Kurze Zeit später war Britannicus tot.
Nero vertraute Locustas Fähigkeiten so sehr dass man sagt er habe ihr sogar Schüler geschickt welche bei ihr das Handwerk des Giftmischens lernen sollten: Auch das Gift welches Nero bei seiner Flucht aus Rom bei sich trug aber letztendlich nicht verwendete stammte von Locusta bevor Galba sie hinrichten ließ zusammen mit dem anderen „Abschaum“ aus Neros Gefolge wie Cassius Dio formuliert.”