Staatsräson in der Geschichtsschreibung: “Eine Lehre oder Theorie über den Sinn der Geschichtsschreibung”

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Die Beschäftigung mit der Geschichtsschreibung führt zu der Einsicht, dass Historiker oft in ein Dilemma geraten, wenn ihre Arbeiten im Dienste der Staatsräson stehen. Im Deutschen Kaiserreich sowie während der Zeit des Nationalsozialismus waren Historiker nicht nur als Chronisten tätig, sondern fungierten auch als Legitimatoren und Unterstützer der jeweiligen Staatsräson. Dieses Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem Anspruch und politischer Instrumentalisierung zeigte sich in unterschiedlichen Ausprägungen. Die Darstellung der nationalen Geschichte wurde so konzipiert, dass sie die Dominanz und die Werte des Staates widerspiegelte, wodurch alternative Perspektiven entweder ausgeblendet oder gelegentlich diskreditiert wurden. Ein Beispiel dafür ist die selektive Behandlung von Ereignissen und Personen, bei denen Heldenmythen geschaffen und kritische Stimmen zum Schweigen gebracht wurden.

“Cheruskerfürst Arminius (vermutlich 16 v. Chr. bis 21 n. Chr.) war der Führer der germanischen Truppen”

>>Spiegel<<

“Cheruskerfürst Arminius (vermutlich 16 v. Chr. bis 21 n. Chr.) war der Führer der germanischen Truppen. Im Dienste Roms hatte er die Kriegstechnik seiner späteren Feinde erlernt, war römischer Bürger und Ritter. 7 n. Chr. kehrte er in seine Heimat zurück und entfachte einen Aufstand der Cherusker und benachbarter Stämme. Im Jahre 9 n. Chr. vernichtete er in der legendären Varusschlacht drei römische Legionen, die von dem Feldherrn Publius Quinctilius Varus geführt wurden.”

“Im Jahre 9 n. Chr. vernichtete er in der legendären Varusschlacht drei römische Legionen”

Im Laufe der Zeit geriet die Varusschlacht jedoch nahezu in Vergessenheit. Während der Kaiserzeit von 1871 bis 1918 wurde Arminius erneut in den Fokus der Geschichtsschreibung gerückt und als Held gefeiert, hauptsächlich weil dies in das damalige Geschichtsverständnis passte. Es ist unbestreitbar, dass die Geschehnisse zur Zeit Arminius tatsächlich so stattgefunden haben, doch stellt sich die grundlegende Frage: Wer hat eigentlich gegen wen gekämpft? Zwar konnte Arminius den Sieg in dieser Schlacht erringen, jedoch sieht sich das damalige deutsche Kaiserreich sowie der heutige Staat eher in der Tradition Roms. Dies zeigt sich in der Verwendung der lateinischen Rechtssprache und -philosophie, der ungewöhnlichen Rechtsstellung des Bundespräsidenten und der Nutzung lateinischer Schriftzeichen. Die gegenwärtige Auffassung von Arminius kann als Geschichtsrevisionismus bezeichnet werden. Solche Mechanismen verdeutlichen die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit der Verantwortung von Historikern und deren Einfluss auf das kollektive Gedächtnis einer Gesellschaft, insbesondere im Hinblick auf die Verhinderung ähnlicher Entwicklungen in der heutigen Zeit.

“Untersuchungen 160.000 bis 170.000 Jahre jünger als angenommen sein”

>>Welt<<

“Untersuchungen 160.000 bis 170.000 Jahre jünger als angenommen sein. Die archäologische Datenbasis für das „Schlachtfeld von Riol“ – angeblicher Fundort einer historisch bezeugten Schlacht aus dem 1. Jahrhundert nach Christus Geburt – soll sich bei der Überprüfung als unzureichend herausgestellt haben. Bereits im Oktober hatte das Innenministerium bekannt gegeben, dass der mittlerweile freigestellte Landesbeamte verdächtigt werde, mindestens 21 gefundene Schädel oder Schädelteile bewusst falsch datiert zu haben.”

“Mindestens 21 gefundene Schädel oder Schädelteile bewusst falsch datiert” 

Wie konnte es also dazu kommen, dass mindestens 21 entdeckte Schädel oder Schädelteile absichtlich falsch datiert wurden? Offensichtlich gibt es eine Wechselwirkung zwischen Kriminalität und der jeweiligen Staatsräson. Es entstehen regelrechte ideologische Denkstrukturen, die bestimmte Verhaltensweisen akzeptieren, was zu einem verzerrten Bild der Geschichte führt. Diese Dynamiken sind besonders bei ethnischen Minderheiten zu beobachten, wo staatliche Institutionen befugt werden, Einfluss auf die Erzählungen über Recht und Unrecht auszuüben. Die Geschichtswissenschaft sollte eigentlich die Verantwortung tragen, diese Ungleichgewichte zu beleuchten und auf das Zusammenspiel von Macht, Normativität und den damit verbundenen Erzählungen hinzuweisen. Tatsächlich ist jedoch häufig eher das Gegenteil zu beobachten.

“Silber für Sklaven – Schätze des Mittelalters” – “Düsteres Kapitel der Geschichte in der Lausitz”

 >>Radio Lausitz<<

“Die Sonderausstellung „Silber für Sklaven – Schätze des Mittelalters“ gibt erstaunliche Einblicke in ein düsteres Kapitel der Geschichte in der Lausitz. Damals seien Männer, Frauen und Kinder verkauft worden, … “

“Düsteres Kapitel der Geschichte in der Lausitz”- “Damals seien Männer, Frauen und Kinder verkauft worden”

Trotz der Tatsache, dass dieser Abschnitt der Geschichte weithin bekannt ist, wird er in der historiografischen Betrachtung häufig vernachlässigt. Allein die Tatsache, dass es sich um eine zeitlich begrenzte Sonderausstellung handelt – und nicht um eine permanente Ausstellung – spricht Bände. Bedauerlicherweise ist dies kein Einzelfall.

“Name Berlin”- “Eine wendische Bezeichnung und bedeutet Siedlungsstätte im Sumpf”

>>Der Tagesspiegel<<

„Dennoch ist es nahezu skandalös, wie der slawische Anteil an der deutschen Geschichte bis heute verdrängt wird“, sagt … . Er arbeitet als Kurator am Wendischen Museum Cottbus und ist immer wieder von der Ahnungslosigkeit vieler Besucher überrascht. „Die glauben, dass der Name Berlin von Albrecht, dem Bären, kommt“, sagt er: „Dabei ist das eine wendische Bezeichnung und bedeutet Siedlungsstätte im Sumpf.“ … Die Deutschen sind später in die Lausitz gekommen.“ Noch 1843 seien 71 Prozent der Bevölkerung im Landkreis Cottbus wendisch gewesen, sagt … – und überhaupt: „In allen 16 Bundesländern, allen 294 Kreisen und 107 kreisfreien Städten Deutschlands leben Menschen mit slawischen Wurzeln, wovon Familiennamen wie Wendt, Wende, Wendisch, Windisch, Wünscher, Konzack oder Noack zweifellos Zeugnis ablegen.“ Das Wendische sei eben Teil der deutschen Geschichte.“

“Skandalös, wie der slawische Anteil an der deutschen Geschichte bis heute verdrängt wird”

Es geht in diesem Zusammenhang nicht so sehr um neue Informationen, sondern vielmehr um Gegebenheiten, die entweder vernachlässigt oder gelegentlich vollständig ignoriert werden. Gleichzeitig sollten bestimmte Behauptungen zumindest als kontrovers betrachtet werden.

Steile Thesen mit umstrittener Beweislage

>>Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung<<

“Die Vorfahren der heutigen Sorben/Wenden, ursprünglich slawische Stämme nordöstlich der Karpaten, kamen vor rund 1500 Jahren in das Gebiet zwischen Ostsee und Erzgebirge.”

Wenn Historiker voneinander abschreiben

Für diese “These” existieren tatsächlich keine überzeugenden Belege. Weder ist der besagte geheimnisvolle Ort in den Karpaten verortet, noch lassen sich spezifische Informationen über die angenommene Völkerwanderung bereitstellen. Vielmehr basiert sie überwiegend auf der Vorstellungskraft von Historikern und auf entdeckten Artefakten, die so eingeordnet werden, dass eine Anpassung der Geschichtsschreibung nicht erforderlich ist. Dadurch lässt sich auch nachvollziehen, weshalb 21 gefundene Schädel oder Schädelteile absichtlich falsch datiert wurden. Solche Tendenzen sind ebenfalls bei der Lausitzer Kultur und den Lausitzer Sorben zu beobachten.

„Imposantesten Burgwallanlagen – Deren Entstehung auf etwa 1200 v. Z. datiert wird“ 

>>Die Lausitzer von Günter Wermusch (Buch) <<

„Auf dem Gebiet der Lausitzer Kultur sind bislang etwa 150 befestigte Siedlungen, davon 30 in der Mark Brandenburg, bekannt. Auf die Reste einer der imposantesten Burgwallanlagen, deren Entstehung auf etwa 1200 v. Z. datiert wird, trifft man in der Nähe von Sacrow bei Potsdam. 19 Meter über dem Ufer des Lehnitzsees gelegen, erstreckte sie sich über eine Fläche von zwei Hektar, war von einem sechs Meter hohen Ringwall in Holz-Erde-Konstruktion umgeben und beherbergte schätzungsweise 1000 Menschen. Die im Volksmund „Römerschanze“ genannte Anlage wurde von den Slawen bis Anfang des 13. Jahrhunderts n. Z. genutzt. Das ursprüngliche Gebiet der Lausitzer Kultur war von sesshaften Bauern besiedelt. Die lernten sehr bald, durch gemeinschaftliche Unternehmungen Wasserläufe zu regulieren, Kanäle zu graben und Neuland urbar zu machen, das entweder zu trocken oder zu feucht war. Sie legten Dämme an, um Wasser zu speichern und damit das Land in sommerlichen Trockenzeiten zu bewässern.“

„Das ursprüngliche Gebiet der Lausitzer Kultur war von sesshaften Bauern besiedelt“

Es wird von Historikern viel unternommen, um die Lausitzer Kultur und die Lausitzer Sorben historisch voneinander abzugrenzen. Dabei lebten sie jedoch im gleichen Gebiet und nutzten dieselben Wallanlagen. Daraus wird deutlich, dass Geschichtsschreibung nicht lediglich die Wiedergabe von Ereignissen darstellt, sondern ein gezielter Prozess ist, der die Interessen der Staatsräson widerspiegelt. Gleichzeitig sind auch gegenwärtige Fragestellungen von Bedeutung. Hierzu zählt die Anerkennung der Lausitzer Sorben als indigenes Volk gemäß der ILO-Konvention 169, sowie das Thema der kulturellen Autonomie.

Geschichtsschreibung: “Zeitliches Bewusstsein durch die Linse der Macht betrachtet wird”

>>Von Zeit und Macht von Christopher Clark (Buch) <<

“Wie die Schwerkraft das Licht, so beugt die Macht die Zeit. Dieses Buch zeigt, was geschieht, wenn zeitliches Bewusstsein durch die Linse der Macht betrachtet wird. Es befasst sich mit den Formen der Geschichtlichkeit, welche die Machthaber sich aneigneten und ihrerseits artikulierten. Mit Geschichtlichkeit oder »Historizität« meine ich keineswegs eine Lehre oder Theorie über den Sinn der Geschichtsschreibung, geschweige denn eine bestimmte Schule der historiographischen Praxis.”

“Eine Lehre oder Theorie über den Sinn der Geschichtsschreibung”

Die Mechanismen der Geschichtswissenschaft, die zur Verzerrung von Erzählungen führen, sind vielfältig und oft subtil. Stateffizienzen verselbständigen sich, indem sie durch selektive Erinnerung und die Hervorhebung bestimmter Narrative das kollektive Gedächtnis formen.