Agentes in Rebus – Wie der “antike Verfassungsschutz” im Römischen Reich funktionierte?
Die Kaiser des Römischen Reiches waren nicht nur daran interessiert, was außerhalb ihrer Grenzen geschah. Auch im Inneren gab es zahlreiche Gegner. Immer wieder kam es zu Aufständen, die ganze Provinzen erschütterten, Verschwörer versuchten, den Herrscher zu ermorden, und selbst persönliche Konflikte sowie familiäre Auseinandersetzungen konnten für die Herrschenden gefährlich werden. Daher war es ratsam, sich abzusichern, indem man oppositionelle Kräfte ausspionierte und rechtzeitig handelte. Am effektivsten war dies, wenn es gelang, deren Gruppen durch Geheimagenten zu infiltrieren. Diese Aufgabe übernahmen zunächst die speziell dafür ausgebildeten Speculatores, die in Rom auch als Leibwache fungierten. Bereits Julius Caesar nutzte während seiner Kämpfe in Gallien Kundschafter, um geheime Aufträge in Rom zu erledigen, wo er seine politischen Gegner überwachen und das Netzwerk seiner Unterstützer steuern konnte. Später übernahmen andere spezialisierte Einheiten die Funktion einer Geheimpolizei – wobei der Begriff irreführend ist, da das römische Imperium kein moderner Staat war und ihm die entsprechenden Mittel zur Durchsetzung von Gewalt fehlten.
Die bedeutendste Gruppe, die ab etwa 100 n. Chr. mit Aufgaben der inneren Überwachung betraut wurde, waren die Frumentarii. Ihr Name stammt vom lateinischen Wort für „Getreide“: Frumentum. Ursprünglich waren die Frumentarii Soldaten, deren Hauptaufgabe darin bestand, Nahrungsmittel für die Armee zu beschaffen – sei es durch Kauf oder Beschlagnahme von Getreide, welches das Grundnahrungsmittel der römischen Soldaten darstellte. Wer für die Getreidebeschaffung zuständig war, hatte Zugang zur militärischen Infrastruktur und zum Cursus Publicus. Dadurch reisten sie viel und erhielten Einblick in Angelegenheiten, die sie eigentlich nichts angingen. Aus diesem Grund wurden sie bald auch mit Aufgaben betraut, die über ihre ursprüngliche Funktion hinausgingen. Statthalter setzten Frumentarii für Botengänge ein und schickten sie auf geheime Missionen. Unter Kaiser Domitian wurden die Spezialisten aus den Legionen im Castra Peregrina in Rom zusammengezogen, einem Lager auf dem Caelius, das zur Unterbringung von Soldaten aus den Provinzen diente. Dort bildeten sie eine geschlossene Einheit namens Numerus Frumentariorum.
Berichte darüber, dass die Kaiser die Frumentarii einsetzten, um ihre Mitbürger auszuspionieren, finden sich in der Literatur verstreut. Die Historia Augusta, eine spätantike Sammlung von Kaiserbiographien von zweifelhafter Zuverlässigkeit, erwähnt in der Vita Hadriani, dass dieser unermüdlich im Privatleben seiner Standesgenossen schnüffelte und dazu die Frumentarii einsetzte. Ein Beispiel wird angeführt: Hadrian erfährt von einem Streit zwischen einem Senator und seiner Frau, die sich darüber beschwert hatte, dass ihr Mann ständig den Bädern und Vergnügungen frönte und nie zuhause war. Als der Senator beim Kaiser um Urlaub bittet, wird er von Hadrian gerügt und an seine Vergnügungssucht erinnert.
Auch in anderen Viten der Historia Augusta wird der Begriff Frumentarii verwendet, wenn Kaiser Spitzel beauftragten, ihre Untertanen auszuhorchen. Der kurzlebige Kaiser Macrinus (217–218 n. Chr.) soll beispielsweise Frumentarii angewiesen haben, sich in die privaten Angelegenheiten ihrer Kameraden einzumischen. So kam ans Licht, dass Soldaten eine sexuelle Beziehung mit der Magd des Hauses hatten, in dem sie untergebracht waren. Gallienus (253–268) erfuhr durch Frumentarii von Gerüchten über seinen fähigsten General Claudius, der hinter seinem Rücken als „rechter Lüstling“ bezeichnet wurde. Gallienus war alarmiert: Er befürchtete wohl, dass Claudius belastendes Material gegen ihn sammeln könnte, um eine Usurpation zu planen. Deshalb beauftragte er seine Soldaten damit, Claudius durch seine Offizierskollegen zu beschwichtigen und ihm Geschenke zu machen, um ihn gnädig zu stimmen. Die Vita gibt an, aus einem Originalbrief zu zitieren und erwähnt große Mengen an Gold- und Silbergeschirr sowie wertvolle Kleidung – darunter parthische Schuhe und ein Taschentuch aus dem phönizischen Sarepta – sowie eine beträchtliche Summe von 450 Aurei.
Nicht nur in der Historia Augusta werden Elitesoldaten als Spione bezeichnet. Laut dem bithynischen Senator und zweimaligen Konsul Cassius Dio stiegen unter Caracalla (211–217) zwei Offiziere namens Ulpius Julianus und Julianus Nestor zu Prätorianerpräfekten auf. Zuvor hatten sie als Kommandanten der Castra Peregrina gedient und sich das Vertrauen des Kaisers durch ihre Spionagetätigkeiten erworben. Mehrere Kaiser bedienten sich qualifizierter Soldaten als mobile Exekutionskommandos. Nachdem Septimius Severus nach einem Jahr Bürgerkrieg seinen Rivalen Pescennius Niger besiegt hatte, musste er den zweiten Usurpator Clodius Albinus eliminieren, der in Britannien residierte. Um einen weiteren Bürgerkrieg zu vermeiden, entschloss sich Severus dazu, getarnte Killer nach Britannien zu senden, um Albinus zu beseitigen. Der griechische Text des Zeithistorikers Herodian ist nicht ganz eindeutig; vermutlich handelte es sich um Frumentarii, die den Usurpator bei der Übergabe der Briefe ermorden sollten und zusätzlich Gift dabei hatten, um es ihm bei Gelegenheit ins Essen zu mischen. Doch Albinus war misstrauisch und erkannte den Plan. Die Abgesandten aus Rom wurden entwaffnet und gefoltert; daraufhin gaben sie die finsteren Absichten ihres Herren preis. Severus sah sich gezwungen, gegen Albinus vorzugehen: Der erneute Bürgerkrieg zog sich über zwei Jahre hin, bevor Albinus besiegt wurde.
Es ist ratsam, solche verstreuten Informationen nicht überzubewerten; eine organisierte „Geheimpolizei“ im modernen Sinne waren die Frumentarii nicht – dies wäre jenseits der Möglichkeiten eines rudimentären Staates gewesen. Vielmehr waren sie Soldaten mit einem breiten Aufgabenspektrum; Schnüffeln gehörte ebenfalls dazu – insbesondere in Bezug auf ihre eigenen Kameraden und wohlhabendere Bürger. Hier schien das Motto zu gelten: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Ein Hinweis darauf, dass die Frumentarii möglicherweise nicht besonders beliebt waren, findet sich bei Aurelius Victor; er bezeichnet diese Truppe als Pestilens Genus „schädliche Typen“ und lobt Kaiser Constantius für seine Entscheidung zur Abschaffung der Frumentarii. Vermutlich bezieht sich dies auf Constantius I. (293–306), den Vater Konstantins des Großen. Wir würden gerne wissen wollen, ob die Soldaten aus den Castra Peregrina allgemein so verhasst waren oder ob Victor möglicherweise selbst negative Erfahrungen mit den Zuträgern des Kaisers gemacht hatte.
Victor teilt uns zudem mit, dass die Frumentarii den Agentes in Rebus späterer Zeiten sehr ähnlich seien: „ganz und gar ähnlich“. Wurde hier also ein Etikettenschwindel betrieben? Wer waren diese Agentes in Rebus? Der Name dieser Einheit lässt wenig erkennen; er bedeutet so viel wie „Generalbevollmächtigte“. Tatsächlich schien auch bei ihnen das Aufgabenspektrum nicht klar umrissen gewesen zu sein; anders als bei den Frumentarii waren sie jedoch nicht den Prätorianerpräfekten unterstellt, sondern organisierten sich in einer eigenen Einheit – spätantiker „Schola“ genannt. Sie waren zwar Soldaten mit einer Besoldung wie Angehörige der Kavallerietruppe; gleichzeitig gehörten sie auch zur stark wachsenden kaiserlichen Verwaltung jener Zeit – gewissermaßen Kommissköpfe und Bürokraten zugleich.
Ursprünglich hatten die Agentes in Rebus den Auftrag erhalten, vertrauliche Dienstangelegenheiten für den Kaiser und die Provinzverwaltungen zu transportieren. Da sie somit eifrige Nutzer des Cursus Publicus waren, wurden einige Agentes in Rebus zusätzlich mit der Aufsicht über das Postsystem betraut; vor allem sollten sie sicherstellen, dass kein Missbrauch des Cursus Publicus stattfand. Als Vielreisende befanden sie sich in einer idealen Position für Berichte über Auffälligkeiten in den Provinzen – zudem hatten sie auch das Recht einzuschreiten bei Gesetzesverstößen; diese Aufgabe wurde ihnen gesetzlich übertragen.
Der Codex Theodosianus enthält ein Edikt des Kaisers Constantius II., das vorschreibt: Die Agentes in Rebus sollten ihrem Kaiser alles mitteilen, was sie im Staat beobachteten, außerdem sollten sie dafür sorgen, dass Übeltäter bestraft werden.
Ammianus Marcellinus gibt uns einen Eindruck von ihrem Vorgehen: In Sirmium in der Provinz Pannonia secunda im heutigen Serbien richtet Statthalter Africanus ein Galadiner aus; einige Gäste haben am späten Abend bereits übermäßig Alkohol konsumiert. Wie oft lockert Alkohol die Zunge; so äußern diese Herren ihre Meinung über Constantius II. und dessen Regierung – negativ natürlich – und denken laut über einen Regierungswechsel nach. Was sie nicht wissen: Ein gewisser Gaudentius hört ihnen zu – ein Agentes in Rebus, wie Ammianus berichtet. Dieser Gaudentius informiert sofort seinen Vorgesetzten Rufinus – Stabschef des Prätorianerpräfekten für Illyricum sowie Italien und Afrika – also eine hochrangige Person. Rufinus begibt sich schnell zum Hof nach Mailand und berichtet dem Kaiser von diesen Vorkommnissen; zudem hetzt er ihn gegen die Übeltäter auf. Es kommt wie es kommen muss: Africanus und alle Gäste werden festgenommen und nach Mailand gebracht; dort werden sie brutal gefoltert – doch immerhin bleibt ihnen das Leben erhalten.
Agentes in Rebus genossen viele Privilegien – insbesondere Steuerbefreiung sowie Nutzung des Cursus Publicus; ihre Offiziere mussten sich nicht vor gewöhnlichen Gerichten verantworten; zudem erhielten die sogenannten Principes bei Ablauf ihrer Dienstzeit eine Statthalterschaft oder sogar einen Sitz im Senat zugesprochen. Entsprechend groß war das Interesse an diesen Positionen; daher mussten auch immer strengere Einstellungskriterien eingeführt werden bis hin zur Notwendigkeit eines persönlichen Placet des Kaisers selbst.
Nachdem Julian die Zahl der Agentes in Rebus drastisch auf 17 reduziert hatte, dienten später allein im Osten mehr als eintausend von ihnen. Dennoch blieben auch mit diesem Sicherheitsapparat die Möglichkeiten der Kaiser zur Überwachung ihrer Untertanen begrenzt; vor allem hohe Militärs sowie Spitzen der Verwaltung waren diejenigen Personen vor denen sich Agentes in Rebus fürchten mussten – während dem einfachen Mann auf der Straße durch diese Agenten vermutlich ebenfalls Ungemach drohte.