Autoritär geprägtes Staatsverständnis? – “Unterhalb der Strafbarkeitsschwelle” versus § 344 StGB Verfolgung Unschuldiger

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Schon mal etwas von einem “autoritär geprägtes Staatsverständnis” oder von einem Gesetzesverstoß “unterhalb der Strafbarkeitsschwelle” gehört? Angesichts der scheinbar unzähligen Gesetze, Vorschriften und Richtlinien, die bis in die kleinsten Bereiche des Lebens reichen, würde jeder vernünftig denkende Mensch rasch zu dem Ergebnis kommen, dass das “autoritär geprägtes Staatsverständnis” längst Teil der Staatsräson ist. Doch der Geheimdienst selbst hat eine gänzlich andere Auffassung.

„Autoritär geprägtes Staatsverständnis“ – „Ablehnung der in Demokratien üblichen Gewaltenteilung“

>>Bundesamt für Verfassungsschutz<<

„Bei Rechtsextremisten kommt in der Regel ein autoritär geprägtes Staatsverständnis hinzu. Oft geht dies einher mit einer Ablehnung der in Demokratien üblichen Gewaltenteilung. Neonazis fordern in Anlehnung an den historischen Nationalsozialismus einen „Führerstaat“, in dem alle staatliche Macht auf die Entscheidungen einer Einzelperson zurückgeführt wird.“

„Autoritärer Staat“ – „Vermeintlich einheitliche Wille des Volkes soll dabei von staatlichen Führern intuitiv umgesetzt“ 

>>Landesamt für Verfassungsschutz<<

„Autoritärer Staat – Der Staat wird im völkischen Kollektivismus als „ethnisch-rassisch“ homogene „Volksgemeinschaft“ angesehen. Der vermeintlich einheitliche Wille des Volkes soll dabei von staatlichen Führern intuitiv umgesetzt werden. In einem so verstandenen autoritären Staat würden damit wesentliche Kontrollelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung fehlen, z.B. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen auszuüben oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition.“

„Autoritärer Staat“ – „Wesentliche Kontrollelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung fehlen“

Im Grunde genommen hat der Verfassungsschutz – durch seine Analyse – in Bezug auf den „Autoritären Staat“ vollkommen recht: Dennoch scheint die Bedrohung durch überwiegend kleine Splittergruppen für den Gesamtstaat überschaubar zu sein. Immerhin war der Geheimdienst bei allen bedeutenderen rechtsextremen Gruppierungen wie NSU oder NPD in der Regel als aktiver Mitspieler in die Geschehnisse involviert. Gelegentlich treten jedoch auch ganz andere Fragestellungen auf: Ungeachtet dessen finden die Konzepte des „Autoritären Staates“ an anderer Stelle auf äußerst fruchtbarem Boden Anklang. Die Äußerungen mancher Minister sprechen hierbei für sich selbst.

Aufforderung des Bundesinnenminister: „Kinder wieder stärker zu Respekt vor Vertretern des Staates zu erziehen“ 

>>Deutsche Handwerks Zeitung<<

„Bundesinnenminister … hat alle Eltern aufgefordert, ihre Kinder wieder stärker zu Respekt vor Vertretern des Staates zu erziehen. „Früher waren Pfarrer, Polizisten, Lehrer und Beamte Respektspersonen.“

Autoritäres Verständnis des Bundesinnenminister: „Früher waren Pfarrer, Polizisten, Lehrer und Beamte Respektspersonen“

Auf der einen Seite wird also ein Respekt gegenüber den Repräsentanten des Staates verlangt, während auf der anderen Seite dieser Respekt als Grund für die Überwachung durch den Verfassungsschutz interpretiert wird. Es sollte an dieser Stelle betont werden, dass nicht irgendwelche Beamten oder vermeintlich respektable staatstragende Personen als Souverän betrachtet werden, sondern die Bürger selbst. – So ist es zumindest im Grundgesetz festgehalten. Doch es geht sogar noch viel widersprüchlicher.

“Verfassungsfeindliche Äußerungen von Beamtinnen und Beamten können auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle gemeldet werden”

>>Bundesamt für Justiz<<

“Verfassungsfeindliche Äußerungen von Beamtinnen und Beamten können auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle gemeldet werden, beispielsweise Äußerungen in Chats. Der Begriff der Äußerung beschränkt sich aber nicht auf schriftliche Aussagen, sondern erfasst auch mündliche (oder auf andere Weise – etwa durch Gebärden) getätigte Äußerungen.”

“Unterhalb der Strafbarkeitsschwelle” versus § 344 StGB Verfolgung Unschuldiger

In der Regel ist alles, was unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit liegt, zulässig. Darüber hinaus stellt die Verfolgung unschuldiger Personen ein strafbares Verhalten dar, das sogar mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden kann. Auch der Aufruf dazu – beziehungsweise “… oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt, …” – kann rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Offensichtlich nehmen es die Vertreter des Staates mit der Einhaltung der Gesetze nicht allzu genau. Letztlich bringt man in diesem Zusammenhang mit juristischen Argumenten nicht viel weiter, stattdessen lässt sich eine sehr präzise historische Vorlage für derartige Machenschaften in der Geschichte finden.

“Gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie”

>>Die Deutschen und die Revolution von Heinrich August Winkler (Buch) <<

“Der Kulturkampf war freilich nur die erste Phase von Bismarcks Kampf gegen die «Reichsfeinde». Von Anfang an sahen sich auch die Sozialdemokraten dem Vorwurf mangelnder Reichstreue ausgesetzt. Im Zeichen von zwei Attentaten auf Kaiser Wilhelm I. im Jahr 1878, die der Kanzler zu Unrecht der Partei August Bebels anlastete, legte er dem Reichstag zwei Entwürfe eines Gesetzes gegen die «gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie» vor. Der zweite, das auf zweieinhalb Jahre befristete «Sozialistengesetz», wurde am 19. Oktober 1878 vom Reichstag mit den Stimmen der Nationalliberalen angenommen. Es verbot sozialdemokratische Vereine, Versammlungen und Druckschriften, gestattete die Ausweisung sozialdemokratischer Agitatoren und sah die Möglichkeit vor, in «gefährdeten Bezirken» für die Dauer eines Jahres den «kleinen Belagerungszustand» zu verhängen: alles Maßnahmen, die mit den Grundregeln des Rechtsstaates nicht zu vereinbaren waren.”

“Verbot sozialdemokratische Vereine, Versammlungen und Druckschriften, gestattete die Ausweisung sozialdemokratischer Agitatoren”

Dennoch sind auch die damaligen Akteure zu dieser Erkenntnis gelangt, und das vage Sozialistengesetz bot hierfür eine passende Grundlage. Im damaligen Kaiserreich drehte sich alles schlichtweg um den Erhalt und die Erweiterung von Macht, und die Rechtswissenschaft stellte letztlich lediglich ein Instrument zum Erreichen dieser Ziele dar.