Verhörmethoden & Vernehmungsfolter: “Die dies kategorisch ablehnen, ihre Position überdenken müssen”

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Die Anwendung von Folter galt lange Zeit als ein Bruch mit den Werten der zivilisierten Gesellschaft. In der heutigen Zeit hat sich diese Sichtweise jedoch gewandelt, und es wird zunehmend von sogenannten Rettungsfolter und Vernehmungsfolter gesprochen. Parallel dazu sind die Befugnisse der Polizei erheblich gestiegen, was sich auch in der allgemeinen behördlichen Einstellung widerspiegelt.

“Jurastudenten befürworten in einer Befragung Quälereien”

>>taz<<

“Jurastudenten befürworten in einer Befragung Quälereien, um etwa Terroranschläge zu verhindern. … Jeder zweite junge Jurastudent befürwortet Folter, um Menschen zu retten. … Weitere 29,2 Prozent der Befragten akzeptierten Folter zumindest „zur Abwehr schwerster Gefahren für die Allgemeinheit“, etwa bei drohendem Einsatz von Massenvernichtungswaffen durch Terroristen.”

“Jeder zweite junge Jurastudent befürwortet Folter”

zur Abwehr schwerster Gefahren für die Allgemeinheit“ – Diese „Begründung“ erweist sich bei näherer Analyse als wenig aussagekräftig. Was genau wird unter der „Allgemeinheit“ verstanden? In der Regel werden derartige vage „Einschränkungen“ fortlaufend angepasst, bis sie letztlich bedeutungslos werden. Ein Beispiel dafür ist die schrittweise Aushöhlung des Bankgeheimnisses. Letztlich erwies sich die formale Aufhebung nur noch als ein unbedeutender bürokratischer Vorgang. Und die Voraussetzungen für die Einführung von Folter sind bereits seit geraumer Zeit geschaffen.

“Rettungsfolter” – “Die dies kategorisch ablehnen, ihre Position überdenken müssen”

>>Grundrechte: sowie Grundzüge der Verfassungsbeschwerde von Rolf Schmid (Buch) <<

“Ob „Rettungsfolter“ bzw. deren Androhung ein angemessenes Mittel ist, ist zwar nicht unbedenklich, allerdings werden diejenigen, die dies kategorisch ablehnen, ihre Position überdenken müssen, sollte der vom Verfasser konstruierte Fall Wirklichkeit werden. Auch das BVerfG grenzt neuerdings „Berührungen“ von „Verletzungen“ der Menschenwürde ab und macht offenbar „Berührungen“ der Menschenwürde einer Abwägung mit anderen Verfassungsgütern zugänglich.”

“Rettungsfolter” – “Von subjektiven ethischen Überzeugungen abhängig”

Die dies kategorisch ablehnen, ihre Position überdenken müssen” – Hört sich beinahe wie eine Drohung an? Tatsächlich ist man in der Rechtspraxis längst schon weiter, was manche Fälle recht anschaulich zeigen.

“Hamburger Folteropfer – Achidi John: Verdrängt und vergessen”

>>taz<<

“Hamburger Folteropfer – Achidi John: Verdrängt und vergessen  – Am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg verstarb 2001 ein 19-Jähriger nach dem Einsatz von Brechmitteln. Bis heute gibt es keine Aufarbeitung. … Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt, fünf Polizisten fixierten seine Beine und drückten seinen Oberkörper zu Boden. Währenddessen flößte ihm eine Rechtsmedizinerin mit der Magensonde 30 Milliliter des Brechsirups Ipecacuanha und 800 Milliliter Wasser ein. Infolgedessen fiel John ins Koma. Vier Tage später wurde die intensivmedizinische Behandlung abgebrochen und John verstarb noch im Krankenhaus.”

“Brechsirups” – “Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt, fünf Polizisten fixierten seine Beine und drückten seinen Oberkörper zu Boden”

Zur Vollständigkeit: Die entdeckten illegalen Substanzen hatten einen Straßenverkaufswert von wenigen Euro und der Einsatz von Brechmitteln war zu diesem Zeitpunkt rechtlich zulässig. Dieses grundlegende Muster lässt sich auch auf andere Fälle übertragen. Durch Verfügung, Gesetz oder Urteil wird eine Praxis – wie die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln – legitimiert, die Exekutive – also die Polizei – hat dadurch weitreichende Befugnisse und letztlich dominiert das Prinzip der organisierten Verantwortungslosigkeit. Ähnliche Vorgänge finden auch bei der zwangsweisen Entsperrung von Mobiltelefonen statt.

“Handy zu entsperren” – “Der Ermittlungsrichter ordnete an, dass dem Mann Fingerabdrücke abgenommen werden”

>>Rechtsanwalt Udo Vetter<<

“Ein Beschuldigter hatte sich geweigert, sein Handy zu entsperren. Er war vor allem nicht bereit, den passenden Finger auf den Fingerabdrucksensor zu legen. Der Ermittlungsrichter ordnete an, dass dem Mann Fingerabdrücke abgenommen werden. Mit den Prints entsperrte die Polizei selbst das Handy. Diese Maßnahme ist nach Auffassung des Landgerichts Ravensburg durch § 81b Abs. 1 StPO gedeckt. Dieser Paragraf lässt die Abnahme von Fingerabdrücken zu, soweit dies für das Strafverfahren notwendig ist. Natürlich war die Vorschrift nie und nimmer dafür gedacht, biometrische Sperren zu umgehen. Als sie in Kraft trat, war das Leben noch 100 % analog, und es ging um den Vergleich von Tatortspuren oder Identifizierung von Personen. Doch für die Ravensburger Richter ist das kein großes Problem. Sie meinen, der „statische Wortlaut“ sei eben „technikoffen“ formuliert.”

“Vorschrift nie und nimmer dafür gedacht, biometrische Sperren zu umgehen”

Sollte der Beschuldigte sich gegen die Entsperrung wehren, scheint es offensichtlich, dass auch körperliche Gewalt erlaubt ist. Böswillig könnte man behaupten, dass auf diese Weise Folter durch die Hintertür legitimiert wird. Zudem stellt sich eine weitere Frage: Ist in diesem Zusammenhang auch die gewaltsame Erfragung von Passwörtern zulässig? Schließlich könnten damit ebenfalls IT-Geräte entsperrt werden. Wie dem auch sei, in jedem Fall zeigen die Tendenzen eine klare Richtung an. Diese Themen finden in der Öffentlichkeit kaum Beachtung; stattdessen steht häufig die Gewalt gegen Polizeibeamte im Vordergrund. Bei genauerer Analyse ist jedoch sehr fraglich, inwieweit die Gewalt gegen Polizisten in Deutschland in letzter Zeit tatsächlich zugenommen hat.

“Aus der Polizei hört man immer wieder, dass heute Vorfälle angezeigt werden, für die sich früher niemand die Mühe eines Berichts gemacht hätte”

>>Die Polizei: Helfer, Gegner, Staatsgewalt von Benjamin Derin & Tobias Singelnstein (Buch) <<

“Die Zahlen offiziell registrierter Fälle in den einschlägigen Lageberichten sind in den vergangenen Jahren zwar gestiegen. Dies ist aber zum Teil auf die verschiedenen Gesetzesänderungen zurückzuführen, die seit 2010 in diesem Bereich vorgenommen wurden und zu einer veränderten Erfassung in der Statistik führen. Dabei kommt es immer auch darauf an, was man zählt – längst nicht jeder Fall des »Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte« ist mit Gewalt verbunden. … Aus der Polizei hört man immer wieder, dass heute Vorfälle angezeigt werden, für die sich früher niemand die Mühe eines Berichts gemacht hätte. Sich dem polizeilichen Griff zu entziehen, eine Hand wegzuschlagen oder eine Beamt:in von sich zu stoßen, geht inzwischen schnell als Gewalt in die Statistik ein, sich in Embryonalhaltung zusammenzukrümmen als strafbarer Widerstand. Insgesamt deutet also vieles darauf hin, dass die gestiegenen Zahlen in den Statistiken vor allem an einer Aufhellung des Dunkelfeldes liegen. Zuzunehmen scheinen eher negative Äußerungen und Respektlosigkeiten sowie auch hier die Sensibilität, dieses Mal die der Beamt:innen, nicht so sehr die körperliche Gewalt selbst oder ihre schweren Folgen.”

“Längst nicht jeder Fall des »Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte« ist mit Gewalt verbunden”

Zumal es auch bestimmte Tricks gibt, um eine vermeintliche Gewalt der Bürger zu provozieren. Die Polizisten treten auf wenige Zentimeter an den Bürger heran, lehnen sich verbal weit aus dem Fenster und sobald es dann zu einer teils banalen Berührung kommt, dann ist ein körperlicher Angriff konstruiert. Oder noch einfacher, die Hand wird auf eine spezielle Weise verdreht, so dass es zu einer automatischen Abwehrreaktion kommt und der Tatbestand “Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte” ist hergestellt. Gleichzeitig zeigt sich innerhalb der Polizeibehörden eine Neigung, eine Vielzahl von Vorfällen zur Anzeige zu bringen, um sich in der Öffentlichkeit als Opfer darzustellen. Die juristische Aufarbeitung solcher Vorfälle verläuft in der Regel sehr einseitig.

“Bei der Polizei herrsche ein code of silence, also ein vereinbartes Schweigen im Fall von Polizeigewalt”

>>Deutschland im Blaulicht von Tania Kambouri (Buch) <<

“Amnesty International erhebt diesbezüglich aber immer wieder den Vorwurf, dass Polizeibeamte nicht so sauber gegen Polizisten ermitteln würden wie gegen normale Bürger. Bei der Polizei herrsche ein code of silence, also ein vereinbartes Schweigen im Fall von Polizeigewalt, um Kollegen zu schützen. Außerdem wird aufgeführt, dass 90 Prozent der Polizisten nicht verurteilt und Verfahren oft sehr schnell eingestellt würden, weil den Beamten eher geglaubt würde als anderen Personen, schließlich sind sie oft als wichtige Zeugen vor Gericht.”

“90 Prozent der Polizisten nicht verurteilt und Verfahren oft sehr schnell eingestellt” 

Die unzureichende rechtsstaatliche Auseinandersetzung mit Polizeigewalt ist seit geraumer Zeit bekannt und wird einfach hingenommen. Gleichzeitig fügt sich dies in ein viel umfassenderes Gesamtbild ein, in dem Folter – teils offen, teils im Verborgenen – wieder gesellschaftsfähig gemacht werden soll. Die Mehrheit der gesetzgeberischen Initiativen und gerichtlichen Entscheidungen weist genau in diese Richtung.