Kirgisistan: Haftstrafe wegen „Anstachelung zu religiöser Feindschaft“
Christ wirbt öffentlich für seinen Glauben und stellt religiöse Regelungen der Regierung infrage
Am 13. September wurde der kirgisische Christ Aytbek Tynaliyev nach sechs Monaten Haft wieder freigelassen. Es war bereits seine zweite Verurteilung innerhalb von zwei Jahren. Anlass waren in beiden Fällen Äußerungen Tynaliyevs in sozialen Medien, in denen er seinen christlichen Glauben weitergegeben und das restriktive Vorgehen der Regierung in religiösen Angelegenheiten kritisiert hatte.
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Von Open Doors
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Gerichtsvertreter verweigern Stellungnahme
Im August 2022 war Aytbek Tynaliyev zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Am 4. Juli 2023 verhängte das gleiche Gericht eine Haftstrafe von etwas mehr als sechs Monaten gegen ihn. Aufgrund der zuvor bereits verbüßten Zeit in Untersuchungshaft endete seine Haftzeit am 13. September.
Bei seiner Verurteilung im Juli konzentrierte sich die Staatsanwaltschaft auf Tynaliyevs Kommentare und Anfragen an einen Erlass hinsichtlich Familienfeiern und Gedenkritualen. Die Regelung war am 24. Februar 2022 von Präsident Sadyr Japarov unterzeichnet worden. Angesichts einer zu 88 % muslimischen Bevölkerung nimmt der Islam eine prägende Rolle in allen Bereichen der Gesellschaft Kirgisistans ein. Dieser Einfluss ist auch in den Bereichen Rechtsprechung und Gesetzgebung spürbar.
Das Justizministerium entsandte eigens zwei „Sachverständige für religiöse Fragen“ zu der Gerichtsverhandlung, um die Anklage zu unterstützen. Wie die Menschenrechtsorganisation Forum 18 berichtet, hätten die beiden jedoch auf Nachfrage hin nicht erklären können, in welcher Weise Tynaliyevs Kommentare den Tatbestand von „Desinformation über die Religion des Islam“ erfüllten. Der zuständige Richter des Bezirksgerichts, Almazbek Jooshbekov, sei zudem nicht bereit gewesen, eine Begründung für Tynaliyevs Haftstrafe zu nennen. Im Rahmen der Anklage hatte die Staatsanwältin ein Strafmaß von zwei Jahren gefordert. Auch sie war jedoch nicht bereit, nähere Angaben zum Hintergrund ihrer Forderung zu machen; etwa, inwiefern die fraglichen Äußerungen gegen geltendes Recht verstoßen.
Erneute Einschüchterung nach Haftentlassung
Kurz nach Tynaliyevs Entlassung im September erhielt er nochmals Besuch von dem Polizeibeamten, der im Mai die Durchsuchung seiner Wohnung geleitet hatte. Er forderte Tynaliyev auf, „vorsichtig zu sein und künftig keine religiösen Materialien oder Aussagen in sozialen Medien zu veröffentlichen“. Dabei gab er acht christliche Bücher zurück, die die Polizei im Mai bei Tynaliyev beschlagnahmt hatte. Der Beamte fügte hinzu: „Die Behörden hätten ein weiteres Verfahren gegen Sie eröffnen können wegen illegalen Besitzes religiöser Literatur zu Hause!“ Man habe sich aber dagegen entschieden. Der Besitz christlicher Literatur ist aufgrund des familiären Drucks zwar besonders für Konvertiten gefährlich, laut Forum 18 aber offiziell zulässig.
Die Geschehnisse der letzten beiden Jahre haben bei Aytbek Tynaliyev tiefe Spuren hinterlassen. Er habe Angst und deshalb aufgehört, in sozialen Medien über seinen Glauben zu sprechen oder die offizielle Religionspolitik der Behörden infrage zu stellen, sagte er im Gespräch mit Forum 18.
Kirgisistan gehört nicht zu den 50 Ländern des Weltverfolgungsindex 2023, in denen Christen am stärksten wegen ihres Glaubens verfolgt werden. Es gehört aber zum erweiterten Kreis der „Länder unter Beobachtung“.