Warum sich Steuern einer nachvollziehbaren schlüssigen Logik entziehen?

Es ist festzustellen, dass der Staat seine Steuern nicht nach nachvollziehbaren Grundsätzen und einer schlüssigen Logik erhebt. Hehre Gerechtigkeitsmaßstäbe oder Überlegungen zur Fairness werden dabei vollkommen ignoriert. Wäre es doch nur möglich, dass er dies auf eine Art und Weise tun würde, die den Betroffenen ermöglicht, zu verstehen, warum und wann welche Steuer in welcher Höhe erhoben wird. Seit langer Zeit besteht der Wunsch nach einem einfachen Steuerrecht, welches in dem Sinne verständlich ist.
Das Problem ist keineswegs neu. Dem Genie Einstein wird nachgesagt, dass seine Ausbildung als Physiker und Mathematiker für die Erstellung seiner Steuererklärung nicht ausreiche; man müsse dazu ein Philosoph sein. In der öffentlichen Diskussion der letzten Jahre hat vor allem Paul Kirchhoff mit großem Engagement für eine grundlegende Steuerreform gekämpft und eigene Vorschläge unterbreitet. Der Erfolg dieser Bemühungen ist bekannt. Als Wissenschaftler, der in die Politik ging, wurde er zwischen den politischen Lagern zermahlen. Seine Vorschläge landeten in Schubladen. Selbst eine Partei wie die FDP, die sich die Vereinfachung des Steuerrechts auf die Fahnen geschrieben hat, oder eine Regierung, die dies in das Grundlagenpapier der schwarz-gelben Koalition aufnahm, haben in der Realität nie ernsthafte Anstrengungen unternommen, das deutsche Steuerrecht an irgendeiner Stelle klarer, übersichtlicher oder einfacher zu gestalten.
Stattdessen tritt regelmäßig das Gegenteil ein. Zu jeder Regel existiert eine Ausnahme. Zu jeder Ausnahme gibt es eine Gegenausnahme. Und zu dieser Gegenausnahme folgt ein Unterfall, der wiederum zu einer völlig anderen Lösung führt.
Jetzt ist der Moment gekommen, in den Dschungel der Steuerregeln einzutauchen. Doch keine Sorge: Der Autor wird Sie sicher leiten und Ihnen helfen, mehr Klarheit in diese Materie zu bringen. Wenn man sich anschaut, wie das deutsche Steuerrecht mit Verlusten umgeht, kann einem schwindelig werden. Grundsätzlich dürfen Verluste mit anderen positiven Einkünften verrechnet werden, um einen Ausgleich zu schaffen. Denn das deutsche Einkommensteuerrecht beabsichtigt, den Bürger nur entsprechend seiner Leistungsfähigkeit zu besteuern. Aufgrund von Verlusten sinkt diese Leistungsfähigkeit. Es wäre daher nicht korrekt, Einkünfte zu besteuern, wenn ihnen Verluste in gleicher Höhe gegenüberstehen.
Das klingt zunächst plausibel. Doch der erste Fehler, den ein Steuerpflichtiger machen könnte, besteht darin, dass er diese Verluste im Ausland erleidet. Handelt es sich dabei um Nicht-EU-Länder, gibt es eine lange Liste von Einkunftsquellen, aus denen ausländische Verluste überhaupt nicht anerkannt werden. Offensichtlich geht der deutsche Fiskus davon aus, dass ausländische Verluste die Leistungsfähigkeit weniger beeinträchtigen als inländische Verluste. Allerdings erlaubt die entsprechende Vorschrift wiederum eine Gegenausnahme. In einer relativ engen Definition werden die zuvor vom Verlustausgleich ausgeschlossenen ausländischen Einkünfte doch anerkannt – vorausgesetzt, sie stammen aus einer ausländischen Betriebsstätte, die überwiegend mit der Herstellung und Lieferung von Waren sowie mit dem Abbau von Bodenschätzen oder gewerblichen Dienstleistungen beschäftigt ist. Diese Gegenausnahme wird jedoch erneut eingeschränkt: Bei den Waren dürfen es keine Waffen sein und bei den Dienstleistungen nicht solche, die dem Tourismus oder der Vermietung von Wirtschaftsgütern dienen. Dann sind auch diese ausländischen Verluste nicht abziehbar. Haben Sie das verstanden?
Hoffentlich; denn nun geht es munter weiter. Eine Regel wie diese kann innerhalb der Europäischen Union nicht aufrechterhalten werden, da nationale Steuerrechtsregelungen innerhalb der EU nicht zu einer Benachteiligung von Auslandsaktivitäten führen dürfen. Dies könnte schließlich den angestrebten Binnenmarkt und die in der EU geschützten Grundfreiheiten wie beispielsweise die Niederlassungsfreiheit gefährden. Und es könnte potenzielle Investoren abschrecken, wenn sie befürchten müssen, dass sie anfallende Anfangsverluste steuerlich nicht geltend machen können. Daher gilt alles Vorangegangene bezüglich ausländischer Verluste nicht für solche aus der EU.
Und schon stehen wir vor dem nächsten Hindernis. Denn auch dies genügt dem Fiskus noch nicht. Nachdem er nun grundsätzlich Verluste aus dem EU-Ausland anerkennen musste, fiel ihm auf, dass zwischen den EU-Staaten Doppelbesteuerungsabkommen bestehen. Viele dieser Verluste wirken sich daher nicht unmittelbar auf die Bemessungsgrundlage der Steuer in Deutschland aus; sie fallen lediglich unter den sogenannten Progressionsvorbehalt. Dieser betrifft Einkünfte, die nicht unmittelbar in Deutschland steuerpflichtig sind – egal ob positiv oder negativ – aber dennoch Einfluss auf den Steuersatz haben können, der auf hierzulande steuerpflichtige Einkünfte angewendet wird. Da EU-Verluste jedoch den deutschen Steuersatz und damit die Steuerlast mindern können, wurde der Progressionsvorbehalt für positive sowie negative Einkünfte aus dem EU-Ausland kurzerhand abgeschafft.
Gut für diejenigen, die ihre Verluste im Inland erleiden. Doch auch mit inländischen Verlusten gestaltet sich die Situation kompliziert. Denn entgegen dem zuvor genannten Grundsatz – dass jeder nur gemäß seiner Leistungsfähigkeit besteuert wird und daher Verluste zum Ausgleich zugelassen werden müssen – gilt dies für viele Verluste gerade nicht. So können beispielsweise Verluste aus gewerblicher Tierzucht nur mit Gewinnen aus derselben Quelle verrechnet werden; Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften (früher Spekulationsverluste) dürfen nur mit entsprechenden Gewinnen verrechnet werden. Ist man zudem Anlieger im Rahmen eines sogenannten Steuerstundungsmodells – dessen Komplexität hier nicht näher erläutert werden soll –, dürfen dort entstandene Verluste nur mit Gewinnen aus eben dieser Anlage verrechnet werden. Und so ließe sich die Liste an Fallstricken weiterführen, die letztlich dazu führen können, dass einem der Verlustausgleich verwehrt bleibt.
Lassen Sie uns weiter durch das Dickicht gehen; auch wenn Ihnen vielleicht langsam schwindelig wird im Kopf. Es gibt auch Probleme für den Fall, dass die Verluste eines Jahres höher sind als die positiven Einkünfte des gleichen Zeitraums. In diesem Fall hat man einen negativen Gesamtbetrag an Einkünften, der im laufenden Jahr steuerlich nicht mehr genutzt werden kann. Der Steuerpflichtige könnte dann denken: „Moment mal – ich habe doch im letzten Jahr viele Steuern gezahlt unter der Annahme, dass ich im Folgejahr ähnlich gut verdienen würde! Jetzt habe ich jedoch hohe Verluste erlitten und müsste dringend etwas von den Steuern des Vorjahres zurückbekommen; schließlich war meine tatsächliche Leistungsfähigkeit nicht so hoch wie angenommen.“
Doch auch hier kalkuliert der Steuerpflichtige ohne den Fiskus. Um sicherzustellen, dass einmal eingenommene Gelder möglichst nicht zurückgegeben werden müssen, ist der Verlustvortrag begrenzt. Der zulässige Höchstbetrag von 1 Million Euro mag großzügig erscheinen; doch nützt er wenig für einen mittelständischen Unternehmer, dessen Gewinne über zwanzig Jahre hinweg versteuert wurden und der nun aufgrund von Wettbewerbsdruck durch chinesische Konkurrenten insolvent gehen muss und auf seinen Verlusten sitzenbleibt – da er diese nicht zurücktragen kann.
Wer hingegen hofft, in Zukunft wieder Gewinne zu erzielen, mag sich damit trösten wollen, dass er seine Verluste zumindest zeitlich unbegrenzt vortragen darf – allerdings nicht finanziell ohne Beschränkung. Erzielt man im nächsten Jahr wieder Gewinne – auch wenn diese geringer sind als die Vorjahresverluste –, verlangt das Finanzamt dennoch Steuern von einem. Das Gesetz hat nämlich den möglichen Verlustvortrag auf 1 Million Euro jährlich plus 60 Prozent der darüber hinausgehenden Einkünfte begrenzt.
Die Spirale lässt sich noch weiter drehen: Hat man einen Verlustvortrag innerhalb einer Kapitalgesellschaft angesammelt? Diese wird zwar als juristische Person ebenfalls besteuert; dennoch lässt sich ein Verlustvortrag dort nicht unbegrenzt nutzen – insbesondere dann nicht mehr, wenn sich die Tätigkeitsschwerpunkte oder Beteiligungsverhältnisse einer Gesellschaft geändert haben sollten. Das deutsche Steuerrecht besagt dann schlichtweg: Es handelt sich nicht mehr um dieselbe Kapitalgesellschaft wie zuvor; folglich verfällt der Verlustvortrag.
Sind Sie noch dabei? Auf unserem Weg durch den Steuerdschungel haben wir nun eine wichtige Wegmarke erreicht: Wir haben verstanden, womit das Gesetz sowohl den Steuerpflichtigen als auch deren Berater belastet. Diese Regeln zum Verlustausgleich zeigen deutlich: Der deutsche Fiskus versucht offenbar Gewinne zu sozialisieren – also steuerlich zu erfassen –, während er gleichzeitig versucht Verluste zu privatisieren und deren steuerliche Anerkennung so weit wie möglich zu vermeiden.”